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schleudert ihren Stock in einen Strauch. „Du bist echt keine Freundin.“

      Ich kann nichts sagen, meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich bin schockiert und traurig. Was ist nur los mit Manuela? Seit einigen Wochen verhält sie sich ganz anders als früher. Von einer Sekunde auf die andere wird sie wütend und ungerecht, dann wieder ist sie ganz still und traurig. Und nie, niemals hätte sie früher einem Tierchen etwas zuleide getan so wie vorhin der Schnecke.

      Da biegt plötzlich ein Radfahrer in den Waldweg ein und bremst, als er uns sieht. Es ist Max aus der Klasse über uns, den weder Manuela noch ich leiden können.

      „Guten Tag, die Damen“, grinst er und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

      „Auf Wiedersehen, der Herr.“ Manuela zieht mich am Ärmel. „Komm, Eva, gehen wir.“

      Doch Max fährt langsam neben uns her, als wir losgehen. „Wie geht es deinem Stiefvater? Hat er sich schon erholt?“, fragt er Manuela, die starr geradeaus blickt und schneller geht. „Ich habe ihn nämlich gesehen, weißt du“, sagt Max nun im Plauderton an mich gewandt, „gestern Morgen, als ich auf dem Weg zur Schule war.“

      „Hör sofort auf, sei still!“, schreit Manuela mit plötzlich hochrotem Gesicht und schubst Max so fest, dass er beinahe vom Rad fällt.

      „Er ist mitten auf dem Gehsteig gelegen. Stockbesoffen ...“

      „Halte deinen Mund, du ... sonst ...“ Manuela hebt blitzschnell einen großen Stein auf, hält ihn in Wurfposition.

      Max schaut Manuela an, den Stein, dann mich. „Such dir besser eine andere Freundin“, ruft er mir zu, während er sein Rad wendet und wegfährt. „Die da ist ja echt das Letzte.“

      Manuela lässt den Stein fallen und brüllt Max nach: „Und du bist das Allerletzte!“ Zu mir sagt sie: „Du glaubst doch diesem Lügner nicht.“ Tränen treten in ihre Augen. Sie wischt sie weg, doch es kommen immer neue.

      Sie tut mir leid. Deshalb muss ich auch weinen. „Komm, vergiss es, gehen wir zu mir“, sage ich.

      Schweigend laufen wir den Waldweg entlang, dann durch die zwei kurzen Gassen bis zu meinem Elternhaus. Meine Mama arbeitet gerade im Garten, sie winkt uns zu und lächelt, als sie uns kommen sieht. Ich stürze mich in ihre Arme.

      „Meine Kleine.“ Sie drückt mich zärtlich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann schaut sie Manuela an, die blass und verweint aussieht. „Manuela, schön, dass du zu uns kommst“, sagt Mama. Sie streicht ihr sanft übers Haar.

      Manuela wischt sich über die Augen.

      Mama geht vor ihr in die Hocke, nimmt sie an den Händen. „Liebes“, sagt sie, „ich weiß nicht, was passiert ist, sehe aber, dass du sehr traurig bist. Du weißt, du kannst jederzeit mit mir reden. Über alles.“

      Ich liebe Mama in diesem Moment so sehr, dass es in meinem Bauch ganz warm wird und kribbelt.

      Manuela nickt, schaut zu Boden und schweigt.

      Mama geht mit uns ins Haus hinein. Wir essen gemeinsam Kuchen, trinken Saft und spielen dann mit meiner Katze Mira. Später sitzen Manuela und ich in meinem Zimmer und malen. Ich male eine wunderschöne Prinzessin, die alleine in ihrem gepflegten Schlossgarten unter einem Baum steht. Manuela lässt auf ihrem Blatt Papier eine dunkelrote Sonne in einem wilden tiefblauen Meer versinken.

      „Hast du gestern nach Tarzan Superman in Not gesehen?“, fragt Manuela plötzlich.

      „Superman? Kam gestern gar nicht.“

      „Doch, um acht Uhr. Ich weiß es ganz sicher, denn ich war Superman.“

      Ich sage nichts, tauche den Pinsel ins Wasser, dann in die schwarze Deckfarbe und beginne, zum Schutze der Prinzessin eine hohe Mauer um den königlichen Garten zu malen.

      „Du glaubst mir nicht! Dabei bin ich auch über euer Haus geflogen. Ich habe sogar an dein Fenster geklopft, aber du hast schon geschlafen. Über das ganze Dorf bin ich geflogen. Ich habe Saltos geübt, hoch oben, und dann habe ich mich an der Kirchturmspitze verletzt. Es hat sehr wehgetan. Da, schau her, wenn du mir nicht glaubst!“ Sie springt auf, wendet mir den Rücken zu und zieht ihren Pullover bis zu ihren Schulterblättern hoch.

      Erschrocken erkenne ich blaue Flecken und rote Striemen auf Manuelas Haut.

      „Und, glaubst du mir jetzt?“ Manuela zieht den Pullover wieder hinunter, dreht sich zu mir um.

      „Manuela, wer hat das getan?“

      „Du bist so gemein!“ Meiner Freundin schießen Tränen in die Augen. „Ich habe dir doch vorhin erzählt, wie es passiert ist. Nie glaubst du mir. Du bist nicht mehr meine beste Freundin!“ Sie greift fahrig nach ihrem Zeichenblatt, zerknüllt es und wirft es auf mich.

      Abwehrend fange ich es mit der linken Hand. Das Blau des Meeres rinnt vermischt mit dem Rot der Sonne über meinen Handrücken.

      Manuela wendet sich ab, geht zum Fenster und starrt hinaus. Ich sehe auf meine Zeichnung. Sie gefällt mir nicht. Die Prinzessin wirkt einsam hinter der dunklen Mauer. Ich zerknülle das Papier. Und plötzlich weiß ich ganz genau, was ich tun muss.

      „Doch, Manuela“, sage ich und gehe zu ihr ans Fenster. „Doch, ich bin deine beste Freundin. Und Freundinnen sind immer füreinander da. Bitte, reden wir mit Mama. Sie kann uns helfen, das weiß ich.“

      Manuela sagt lange nichts, dann fragt sie mit ganz leiser Stimme: „Meinst du wirklich?“

      „Ganz bestimmt“, sage ich. „Komm!“

      Ich nehme sie an der Hand, wir gehen zu Mama. Und dann erzählt Manuela. Sie erzählt, dass ihr Stiefvater in letzter Zeit oft zu viel Alkohol tränke und dass er dann sie und ihre Mama schlüge, dass ihre Mama sich von ihm trennen wolle, es aber noch nicht geschafft habe. Und sie sagt zu mir, dass sie das mit dem Tarzan und dem Superman nur erfunden habe, weil sie sich geschämt hätte für ihren Stiefvater. Und dass es ihr leid tue wegen der Schnecke und weil sie in den letzten Wochen so oft gemein zu mir gewesen sei.

      Ich umarme sie und sage ihr, dass ich das alles verstehe. Und Mama erklärt, dass sie sehr stolz wäre auf uns beide. Auf Manuela, weil sie so mutig sei und uns alles erzählt habe, und auf mich, weil ich mich so verhalten hätte, wie sich eine echte Freundin verhalten müsse.

      Mama telefoniert anschließend lange mit Manuelas Mama. Wir dürfen inzwischen einen lustigen Zeichentrickfilm ansehen, essen Chips und streicheln Mira, die mit dem hinteren Teil ihres Katzenkörpers auf meinem Schoß und mit ihrer vorderen Hälfte auf Manuelas Schoß liegt und schnurrt.

      Mama setzt sich nach dem Telefonat zu uns und sagt, dass Manuelas Mama sich nun endgültig von Manuelas Stiefvater trennen würde. Die Polizei und der Frauenschutz würden sie dabei unterstützen. Manuelas Mama würde noch heute Abend zu uns kommen. Erstens, weil sie Manuela sehen und in die Arme schließen wolle, und zweitens, weil sie Kleidung, Spielzeug und Schulsachen von Manuela vorbeibrächte, denn, wenn wir beide damit einverstanden seien, würde Manuela so lange bei uns wohnen, bis alles geklärt, der Stiefvater ausgezogen und alle seine Sachen aus Manuelas Haus geräumt wären.

      Manuela strahlt. Ich freue mich. Und ob wir damit einverstanden sind! Wir fallen zuerst Mama um den Hals und dann umarmen Manuela und ich einander und Manuela flüstert mir ins Ohr: „Eva, du bist meine aller-, aller-, allerbeste Freundin.“

      Claudia Dvoracek-Iby, geboren 1968, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in Wien. Veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten in diversen Anthologien.

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      Blaue Augen

      Anna ist neun Jahre alt, hat lange braune Haare und immer Flausen im Kopf. Sie liebt es, ihrem älteren Bruder Niklas Streiche zu spielen. Es ist ihr egal, ob sie erwischt wird und von ihren Eltern Stubenarrest bekommt. Sie lebt ganz nach dem Motto: Alles geben für den perfekten

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