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Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit. Marie Brennan
Читать онлайн.Название Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit
Год выпуска 0
isbn 9783966580762
Автор произведения Marie Brennan
Жанр Языкознание
Серия Der Onyxpalast
Издательство Bookwire
Wäre der Sprecher im Raum gewesen, hätte er die Antwort darauf erkannt. Jeder Muskel im Körper des Toten Rick war vor Verlangen angespannt. Wenn er den gesammelten Staub und Müll aus seiner Zeit auf dem Goblinmarkt beiseitewischte, lag darunter eine blanke Steinplatte – nein, das war ein zu angenehmer Vergleich. Jene neueren Erinnerungen waren der Schorf über einer Wunde und verbargen die klaffende, blutige Leere darunter. Eine nie heilende Wunde, die ihm alles raubte: seine Vergangenheit, sein Selbst – sogar seinen Namen, bis Cyma ihm diesen zurückgegeben hatte.
Wie viel würde er bezahlen, um wiederzubekommen, was Nadrett ihm genommen hatte?
Misstrauen half ihm, die Kontrolle über seine Stimme zurückzuerlangen. »Du hast schon einen Preis im Sinn, sonst hättest du das Angebot nicht gemacht.«
»Sehr aufmerksam. Ja, ich habe meinen Preis, und noch besser, ich glaube, du wirst ihn angenehm finden. Ich möchte, dass du dich gegen deinen Herrn wendest.«
Nadrett. Die Hand an der Leine, die Stimme, die ihn Hund nannte und das Wort schmerzen ließ. Es brauchte viel, dass sich ein Hund gegen seinen Herrn wandte, aber Nadrett hatte jene Messlatte vor Jahren übersprungen. Allerdings … »Wenn ich ihn töten könnte, hätte ich es bereits getan«, sagte der Tote Rick.
»Dann trifft es sich gut für dich, dass der Tod nicht das ist, was ich im Sinn habe. Tatsächlich würde ich es derzeit vorziehen, wenn er am Leben bliebe. Sein Ableben würde mir nichts nützen. Noch nicht zumindest. Aber sobald ich habe, was ich will …« Die Stimme lachte. »Dann werde ich die Kette von deinem Hals streifen und zusehen, wie du ihm die Kehle herausreißt.«
Der bloße Gedanke rief ihm den Geschmack von Blut in den Mund. Nadrett durch den Nachtgarten zu jagen, bis die Beine des Bastards nachgaben und ihm die Puste ausging und er zu Boden fiel, und sich dann mit gefletschten Zähnen auf ihn zu stürzen …
Oder ihn einfach zu erschießen oder ihm ein Messer in den Rücken zu stechen. Der Tote Rick scherte sich ehrlich nicht darum, wie Nadrett sterben würde. Solange er nur sein Gedächtnis zurückbekäme.
Doch wie der Sprecher gesagt hatte, das hier war der Goblinmarkt. Und man durfte niemandem hier vertrauen. »Du erwartest von mir, dass ich meinen Hals für dich riskiere – wenn ich nicht einmal weiß, wer du bist?«
Was auch immer für ein Gesicht am anderen Ende jener Stimme war, der Tote Rick konnte sich vorstellen, wie es lächelte. »Derzeit nicht. Wir werden dieses Bündnis einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen angehen, wobei jeder den anderen auf Anzeichen eines Betrugs hin beobachtet. Für den Moment ist das, worum ich bitte, kein besonderes Risiko. Bloß Informationen, die du für mich finden sollst.«
Der Tote Rick spuckte auf das Gestein und fragte sich, ob der Fremde es hören konnte. »Nein. Ich mache gar nichts für einen Geist, den ich nicht sehen kann. Woher soll ich überhaupt wissen, dass du tun kannst, was du sagst?«
Ein Seufzen antwortete ihm. »Also gut. Als Beweis für meinen guten Willen, lass mich dir etwas geben: ein Bruchstück deiner Vergangenheit.«
Dem Skriker stockte der Atem, seine Nackenhaare stellten sich wieder auf – aber nicht aus Zorn oder Furcht.
»Die erste Aufgabe, die Nadrett von dir verlangt hat«, sagte die Stimme, »war es, einen Sterblichen aus der Welt oben zu stehlen. Einen jungen Mann – wenig mehr als einen Jungen eigentlich. Ire, und arm. Er hatte eine Freundin, ein Mädchen im selben Alter. Nach dem, was ich gehört habe, versuchte sie, dich zu töten, als ihr klar wurde, was du gerade tatest.«
Eine Pause. Der Tote Rick zwang Spucke zurück in seinen trockenen Mund und sagte: »Nach dem, was du gehört hast. Also kennst du die Geschichte. Na und?«
»Die Geschichte endet nicht damit. Oder eher, sie beginnt nicht damit. Der Junge, den du gestohlen hast, und das Mädchen, das seine Freundin war – sie waren beide Freunde von dir.«
Ihre Schreie waren eines der ersten Dinge, an die er sich erinnerte. Wie sie in der Leere seines Gedächtnisses widerhallten. Nur halb kohärent – nur halb Englisch … er hatte nie verstanden, was sie da schrie, doch der Sinn ihrer Worte war leicht auszumachen gewesen. Ebenso wie das Entsetzen in ihrem Gesicht.
Die Stimme sagte: »Nadrett wollte seine Kontrolle über dich testen und sichergehen, dass du dich an gar nichts erinnern konntest. Du hättest nie einem von ihnen geschadet, wenn du es gewusst hättest. Und es amüsierte ihn, dich dazu zu bringen, dich gegen die zu stellen, die dir vertrauten.«
Der Zorn, der im Toten Rick aufstieg, war ein seltsames Ding, mit einer völligen Leere im Kern. Er konnte nicht wirklich wütend sein wegen der Freunde, die er betrogen hatte. Er erinnerte sich nicht, wer sie waren. Nein, es ist schlimmer als das, dachte er in grimmiger Verzweiflung. Ich erinnere mich nicht, was Freunde sind. Wem hätte er diesen Namen geben können? Cyma? Aber der Instinkt war da, der Impuls zur Loyalität, egal, wie sehr dieser in den letzten sieben Jahren gebeutelt worden war, und deshalb zitterte er vor Wut, die kein Ventil hatte. Der Tote Rick jaulte beinahe, nur um irgendetwas hinauszulassen.
In dem Augenblick, als er diese Zerreißgrenze erreichte, sprach der Fremde wieder, als hätte er die Belastbarkeit des Toten Rick bis auf das letzte Quäntchen ausgemessen. »Nadrett hat dich von allen isoliert, die dich davor kannten, dir verboten, den Goblinmarkt ohne seinen Befehl zu verlassen, jene eingeschüchtert, die vielleicht mehr hätten sagen können. Ich bin nicht an seine Einschränkungen gebunden. Für jedes bisschen Information, das du mir bringst, jede Aufgabe, die du für mich ausführst, werde ich dir ein Stück deiner eigenen Vergangenheit erzählen.«
Das unterdrückte Jaulen hatte sich wie ein Knoten in seinem Hals festgesetzt, der beim Schlucken schmerzte. Mit belegter Stimme sagte der Tote Rick: »Du könntest Dinge erfinden.«
»Das könnte ich. Aber das werde ich nicht. Tatsächlich gebe ich dir vielleicht Möglichkeiten, um zu überprüfen, was ich sage. Aber das führt am Thema vorbei. Am Ende geht es darum, Nadrett zu schaden. Willst du mir helfen?«
Die dicken Nägel an den Füßen des Toten Rick kratzten über das Gestein, während sich seine Zehen nach unten krallten, als würde er gleich springen. Doch in welche Richtung?
Es ist dumm. Es ist verdammt dumm. Einzuwilligen, mit jemandem zusammenzuarbeiten, den du nicht einmal sehen kannst – du weißt, dass man niemandem an diesem Ort trauen darf …
Aber das Verlangen und die Rachegelüste waren stärker als sein Verstand. Und der Fremde hatte ihn beim Namen genannt.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte der Tote Rick.
»Ausgezeichnet.« Freude schwang in diesem Wort mit, machte aber schnell Platz für kühle Anweisungen. »Erzähl mir: Was weißt du über Passagen ins Feenland?«
Der Tote Rick schnaubte. »Bist du nicht derjenige, der hierhergekommen ist und betont hat, dass ich keine Erinnerungen habe?«
»Du hattest sieben Jahre, um neue zu erlangen. Weißt du gar nichts?«
Der Skriker glitt an der Wand hinunter, bis er in einer bequemen Hocke saß, und kratzte an seinem zerfetzten Ohr. »Nur den üblichen Blödsinn. Jeder sagt, dass er irgendetwas weiß, und so gut wie jeder lügt.«
»Weil die meisten Passagen, die wir kannten, verschwunden sind. Die Eisenbahnen sind nicht nur eine Bedrohung für den Onyxpalast. Sie haben auf dem Land sehr viel Zerstörung angerichtet. Du hast hier natürlich die Flüchtlinge gesehen. Ihre Heime sind das Geringste, was verloren gegangen ist. Diese Gleise aus Eisen, die die Sterblichen über das Land verlegt haben, wirken wie Gräben und Kanäle, die formen, wie das Wasser fließt. Sie machen die üblichen Wege unpassierbar.«
»Du willst, dass ich einen Weg für dich finde, um ins Feenland zu kommen?« Der erste Schritt war einfach: England verlassen. An irgendeinen Ort gehen, der nicht so gründlich mit Eisen bedeckt worden war, noch nicht. Und dann hoffen, dass man irgendwo im amerikanischen Grenzland eine Passage finden konnte, oder die Rakshasas oder wen auch immer in Indien überzeugen, einen durchzulassen, und sich auf sein Glück verlassen, wie