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      Toska stellte ihr Glas ab und näherte sich dem Mann mit langsamen, fast trägen Schritten. Sie legte die nackten gebräunten Arme um seinen Nacken und sah ihm tief in die Augen. Ihre schweigenden Lippen wirkten wie eine große exotische Blüte – wie die herausfordernde Blüte einer fleischfressenden Pflanze.

      Hans-Günther konnte nicht widerstehen. Er küßte das Mädchen. Er spürte diesen weichen Mund, der sich von einem Augenblick zum anderen in ein glühendheißes Feuermal verwandelte. Diese Leidenschaft war es, die in dem Mann ein Warnsignal auslöste.

      Er fürchtete, daß es kein Zurück mehr geben würde, wenn er sich jetzt hinreißen ließ.

      Unmerklich schob er das schwarzhaarige Mädchen zurück. Doch Toska dachte nicht daran, die Lippen von seinem Mund zu lösen. Wie eine Verdurstende trank sie den Kuß.

      Dann aber wich sie ruckartig zurück. In ihren verschleierten Augen stand eine mühsam unterdrückte Wut.

      Obwohl Toska von Tersky sich sehr zu beherrschen versuchte, schwang in ihrer Stimme wieder der metallische Unterton, als sie sagte: »Man wundert sich, daß ein Eisberg an einem so heißen Sommertag nicht schmilzt.«

      Hans-Günther Buss antwortete nicht. Er fühlte sich von den widerstreitendsten Empfindungen hin und her gerissen. Er wußte, daß er an einem Kreuzweg stand. Wie sollte er sich entscheiden? Sollte er der Stimme seines Blutes folgen? Oder der kühlen Vernunft? Ratlos musterte der Mann das hinreißende Mädchen…

      *

      Für Veronika verlief der neue Tag wie der erste. Am Abend fand sie sich wieder zum Schlafen im Toppler-Schlößchen ein. Professor Buss wunderte sich nicht im geringsten darüber, daß sie ein neues Kleid anhatte – glaubte er doch, daß sich Veronika tagsüber bei ihrer Mutter aufhalte.

      Er brachte das Kind wieder auf den Diwan zu Bett und fragte vorsichtig: »Hast du etwas dagegen, wenn ich jetzt noch ins Gasthaus gehe und einen Schoppen trinke?«

      »Nein, ich habe keine Angst, Opa. Aber was ist das – ein Schoppen?«

      »Ein Schoppen, das ist für alte Herrn das, was für Babys die Milchflasche ist«, erklärte der Gelehrte lächelnd.

      »Das ist aber ulkig!« Veronika lachte hell auf. Sie hatte in diesen zwei Tagen der Freiheit und unter den Strahlen der Liebe das Lachen gelernt.

      Ein ganz anderer Ausdruck beherrschte das Kindergesicht. Veronika sah gelöst und zufrieden aus.

      Der Professor machte sich auf den Weg. Als er die Gaststube betrat, sah er, daß die Wirtin mit einem bildhübschen blonden Mädchen zusammen am Tisch saß. Geistesabwesend ließ der Alte seine Blicke umherschweifen, doch die Augen des Mädchens hatten einen so warmen und sympathischen Ausdruck, daß seine Probleme für einen Moment in den Hintergrund traten. So müßte das Mädchen sein, daß er sich in stillen wehmütigen Stunden manchmal zur Tochter gewünscht hatte!

      Er grüßte und ließ sich auf seinem Stammplatz am Fenster nieder.

      Als die Wirtin das gefüllte Weinglas vor ihn auf den Tisch stellte, fragte sie: »Schläft Ihr kleiner Besuch schon?«

      Professor Buss sah sie erstaunt an: »Woher wissen Sie…?«

      »Na, die Kleine ist doch tagsüber immer hier! Fräulein Söhrens erfüllt Mutterpflichten und ich habe die Tantenstelle übernommen.« Die Wirtin lachte leise. »Ika wickelt uns alle ein!«

      Der Professor hatte nur halb hingehört und dachte: So, das Mädchen ist also schon eine Mutter, das Kind ist also unehelich geboren… Ja, sie

      ist noch eine sehr junge Mutter, sicher will sie abends manchmal ausgehen und ist froh, wenn ich das Kind versorge und wenn es bei mir schläft…

      Urte wurde unter den forschenden Blicken des weißhaarigen Herrn unsicher.

      »Ein reizendes Kind, nicht wahr?« sagte sie verlegen.

      »Ja, das Goldtöchterchen ist sehr niedlich und mich stört es nicht. Im Gegenteil.«

      »Das glaube ich,« lächelte die Wirtin. »Wenn das Kind nur zum Schlafen zu Ihnen kommt.«

      Der Gelehrte machte schon wieder einen in sich gekehrten Eindruck. Das Gespräch war beendet.

      So wurde auch an diesem Abend Veronikas Geheimnis noch nicht gelüftet.

      Als der Gelehrte ins Toppler-Schlößchen zurückkehrte und noch einmal nach dem kleinen Mädchen sah, fand er es sehr unruhig. Die Bäckchen glühten und ein leichter Husten schüttelte das Kind.

      »Na, na, du wirst doch wohl nicht krank werden?« sagte der Alte besorgt. Er legte seine breite Hand auf die brennende Stirn des Kindes. Schlagartig wurde Veronika ruhiger – als fühlte sie noch im Schlaf die sorgende Hand.

      »Kinder haben mal einen Schnupfen«, tröstete sich der Professor und stieg in sein Arbeitszimmer hinauf.

      Doch am nächsten Morgen erwachte er voller Unruhe. Er spürte förmlich, daß irgend etwas nicht stimmte. Hastig erhob er sich und hastete die schmale Stiege hinunter. Er trat an den Diwan und sah, daß sein Goldtöchterchen fiebrig glänzende Augen hatte. Rote Flecken glühten auf den Wangen. Der Husten war stärker geworden.

      »Mein Hals tut so weh«, klagte Veronika.

      »Das ist ja eine schöne Bescherung!« brummte der Gelehrte. »Ich hole dir erst einmal ein Glas Milch, und dann werden wir weitersehen.«

      Er nahm sich vor, anschließend gleich ins Gasthaus zu gehen und die Mutter zu informieren. Doch als hätten seine intensiven Gedanken sie hergezogen, tauchte Urte Söhrens im Schlößchen auf.

      »Ah, gut, daß Sie kommen, junge Frau!« begrüßte sie Professor Buss. »Das Goldtöchterchen ist nicht auf dem Damm. Anscheinend handelt es sich um eine heftige Erkältung.«

      »Ach, das tut mir aber leid!«

      »Kommen Sie doch bitte mit nach oben. Ich glaube, wir müssen das Kind ins Krankenhaus bringen.«

      Der alte Mann und das blonde Mädchen betraten das Zimmer.

      Veronika sah ihnen aus großen glänzenden Augen ängstlich entgegen. Sie ahnte, daß nun alles herauskommen würde. Außerdem jagte ihr das Wort Krankenhaus einen panischen Schrecken ein.

      »Bitte, bitte nicht ins Krankenhaus!« flehte sie und streckte die

      Ärmchen nach Urte aus.

      »Nein, das wird auch nicht nötig sein«, erwiderte Urte rasch. »Mit ein paar Halswickeln und Hustentropfen kriegen wir das schon wieder in Ordnung.«

      »So, meinen Sie?« fragte der Professor. »Nun, dann nehmen Sie das Kind erst einmal in Ihre Obhut, junge Frau.«

      Urte wunderte sich, mit welcher Selbstverständlichkeit der alte Herr das von ihr verlangte.

      »Ja«, antwortete sie zögernd. »Ich würde mich natürlich gern um das Kind kümmern, aber dann muß ich Frau Eckstein erst einmal fragen, ob sie noch ein Bett oder eine Couch in mein Zimmer stellen kann.«

      »Haben Sie denn gar kein Bett für das Kind?« fragte der alte Gelehrte verblüfft.

      Urte hielt diese Bemerkung für einen Scherz. Sie erwiderte lächelnd: »Bisher war das ja noch nicht nötig, bisher besuchte uns Ika nur am Tage im ›Oberen Felsenkeller‹.«

      Der Professor stutzte. »Ja, aber Sie konnten doch nicht von vornherein ahnen, daß die Kleine bei mir einen Unterschlupf für die Nacht finden würde!«

      Jetzt war das Erstaunen bei Urte. »Aber…, aber Sie sind doch der Großvater! Die Kleine ist doch bei Ihnen zu Besuch!«

      »Bei mir zu Besuch?« wiederholte der Professor fassungslos. »Ich denke, Sie sind die Mutter? Ich bin doch nur der Nenn-Opa des Goldtöchterchens!«

      Urte stieß überrascht die Luft aus.

      »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!« Sie ließ sich auf den Rand des Diwans sinken.

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