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Wirtin erschien und enthob Veronika einer Antwort. »So ein zerstreuter Professor sieht gar nicht, wenn die Kleider mal gewechselt werden müssen! Ein versponnener alter Mann und ein kleines Kind, das geht halt nicht gut.«

      »Hast du denn genügend Kleider mitbekommen, Ika?« forschte Urte.

      Veronika starrte zu Boden und schüttelte den Kopf.

      »Dein Handtuchkleid sieht ja sehr schick aus, aber in die Stadt kann ich dich so nicht mitnehmen. – Sei nicht traurig, ich bringe dir auch was Schönes mit!« fügte Urte hinzu, als sie sah, wie sich das Gesicht des kleinen Mädchens verschattete.

      Veronika konnte es kaum erwarten. Immer wieder rannte sie mit Teddy um die Wette bis zur Brücke. Endlich sah sie das weiße Kleid und das blonde Haar durch die Bäume schimmern. Nun gab es kein Halten mehr. Der Spitz glaubte, daß Veronika das Rennen extra für ihn veranstaltete; er stürmte davon, daß der Sand nur so stob.

      Veronika erreichte Urte völlig atemlos, wurde aufgefangen und durch die Luft gewirbelt. Sie jauchzte hell auf. Als sie wieder auf der Erde stand, schielte sie nach dem Paket, das Urte in der Hand trug.

      »Ja, es ist für dich, Ika!«

      Hastig streifte das Kind die Papierhülle ab. Ein »Oh!« entfloh seinen Lippen. Ungläubig starrte es auf den Inhalt. Es war ein Dirndlkleidchen, schwarzgrundig mit roten Röschen.

      »Darf ich es behalten – für immer?«

      Urte wunderte sich über die merkwürdige Frage. Dann ging ihr ein Licht auf. »Ach, du hast sicher noch kleinere Geschwister, an die du deine Kleider weitergeben mußt?«

      Veronika umging die Antwort, indem sie Urte stürmisch umarmte. »Darf ich es gleich anziehen?«

      »Gleich hier auf der Straße? Aber warum nicht, da können wir gleich sehen, ob es paßt.«

      Die Sicherheitsnadeln waren schnell gelöst und das Dirndl übergestreift.

      »Na also, es paßt ja!« meinte Urte befriedigt.

      Veronika drehte sich vor ihr wie ein Mannequin. Sie hatte einen angeborenen Charme, der sich erst jetzt frei zu entfalten begann.

      »Ganz süß siehst du aus!« stellte Urte fest, und eine große Zärtlichkeit erfüllte sie.

      Sie hob das Kind zu sich empor und drückte es spontan an sich. Doch Veronika zappelte sich ungeduldig wieder frei. »Ich muß Tante Eckstein zeigen, was du mir mitgebracht hast!«

      Die Wirtin stand in der Küche vor den dampfenden Töpfen und stemmte vor Überraschung die Hände in die Hüften. »Na also, warum nicht gleich so! Du warst also beim Opa?«

      »Nein, das hat Urte mir mitgebracht!«

      »Soviel möchte ich auch mal geschenkt bekommen! Jeden Tag etwas Neues.«

      Veronika strahlte, und Urte, die hinter dem Kind auftauchte, sagte lächelnd: »Nur arme Waisenkinder bekommen so viele Geschenke.«

      Veronika entschwand. So glücklich wie in diesen Tagen war sie in ihrem ganzen Leben nicht gewesen.

      Mit wachsender Furcht dachte sie an das Kinderheim. Sie war fest entschlossen, keinem Menschen zu verraten, wo sie hergekommen war.

      *

      Ein attraktives Paar schlenderte über den Rothenburger Marktplatz.

      Der junge Mann war groß und schlank. Lose und wellig zog sich sein schwarzbraunes Haar bis tief in den Nacken. In seinen Augen schwelte ein feuriger Glanz.

      Das Mädchen neben ihm war nur wenig kleiner als er. Auf überlangen Beinen bewegte sie sich mit unnachahmlicher Eleganz über das Kopfsteinpflaster. Ihr schwarzes Haar war im Nacken zu einem mächtigen Knoten verschlungen und gab die ebenmäßigen Linien ihres schlanken Halses frei. In den Ohren trug sie riesige, apart ziselierte Goldgehänge. Das Gesicht war von einer vollendeten, klassischen Schönheit.

      »Eigentlich müßte ich jetzt erst einmal meinen Vater besuchen!«, meinte der junge Mann. »Er hat sich diesen Sommer im Toppler-Schlöß­chen eingemietet.«

      »Ich kenne das Schlößchen«, erwiderte das Mädchen mit samtdunkler Stimme. »Es ist zwar recht romantisch, aber meinen Urlaub möchte ich dort nicht verbringen. Es hat nicht den geringsten Komfort. Das wäre doch auch nichts für dich, nicht wahr, H.G.B.?«

      Hans-Günther Buss warf seiner Begleiterin einen raschen Seitenblick zu. »Vater macht dort nicht Urlaub, sondern er arbeitet. Er denkt über die Geheimnisse der Natur nach und schreibt ein Buch.«

      »Wir werden ihn ein andermal besuchen!«

      »Ich wollte eigentlich allein hingehen, Toska«, erwiderte Hans-Günt­her Buss. »Weißt du, Vater ist ein bißchen sonderbar. Er lernt nicht gern fremde Leute kennen.«

      Toska von Tersky zog die Augen schmal. Die angeklebten überlangen Wimpern zitterten leicht.

      »Ich werde für deinen Vater ja nicht immer eine Fremde bleiben«, sagte sie betont langsam.

      Hans-Günther Buss blickte starr geradeaus. Die Hand des Mädchens, eine rassige Hand mit langen hellrot gelackten Nägeln, preßte sich um seinen Arm.

      »Ich meine, dein Vater ist doch nicht gerade ein Einsiedler!« Der Samt in der Stimme hatte sich in Metall verwandelt.

      Irgendwo schlug eine Uhr. Die Sommerhitze brütete zwischen den Häuserwänden. Die Luft flimmerte.

      »Ich schlage vor«, sagte Toska von Tersky bedeutungsvoll, »wir gehen erst einmal ins Hotel und machen uns ein wenig frisch.«

      Der Mann nickte zustimmend, und sie steuerten das Hotel »Eisenhut« an. An der Rezeption empfingen sie ihre Schlüssel.

      Hans-Günther fühlte sich sofort wieder von der zauberhaften Atmosphäre Rothenburgs gefangengenommen. Wie in der Stadt, so glaubte er sich auch in diesem berühmten Hotel in ein anderes Zeitalter versetzt.

      Die beiden Zimmer, die Toska und er bewohnten, lagen nebeneinander. Als sie sich voneinander trennten, zögerte das Mädchen sichtlich. In ihrem Blick lag eine unmißverständliche Lockung. Doch Hans-Günther tat so, als bemerkte er nichts.

      »Bis später, Toska.« Dann trat er in sein Zimmer. Gedankenverloren ließ er sich in einen Barocksessel sinken. Er dachte nach. Er überlegte, warum er Toska von Tersky nicht hundertprozentig bejahen konnte. Sie entstammte einem uralten Adelsgeschlecht und war gleichzeitig eine selbstbewußte, moderne junge Frau. Sie sah phantastisch aus. Man würde ihn um dieses Mädchen beneiden.

      Auf sehr dezente Art hatte ihm

      Toska bisher zu verstehen gegeben, daß er ihr etwas bedeute und sie nicht nur berufliche Interessen verbanden.

      Hans-Günther dachte an seinen Vater. Was der wohl dazu sagen würde, wenn er ihm eine Toska von Tersky als Schwiegertochter vorstellte? Wahrscheinlich würde der alte Herr verständnislos den Kopf schütteln. – Eine Luxuspuppe, mein Junge, aber keine Frau zum heiraten…

      Obwohl sie in zwei völlig verschiedenen Welten lebten, mochte Hans-Günther Buss seinen Vater, und der hatte sich oft nach dem Urteil seines alten Herrn gerichtet – obgleich der Vater davon nichts ahnte.

      Ein leises Klopfen an der Tür schreckte den Mann aus seinen Gedanken.

      »Ja, bitte.«

      Die Tür ging auf, und Toska trat ein, in jeder Hand ein hohes, vom Eishauch beschlagenes Whiskyglas. Eines davon reichte Toska dem Mann nun schweigend.

      Hans-Günther ließ seinen Blick über die Erscheinung des Mädchens gleiten. Sie trug ein schlicht geschnittenes cremefarbenes Sommerkleid, dem ein Laie nicht ansah, daß es aus einem der teuersten Pariser Modehäuser stammte. Um ihre zerbrechlich wirkende Taille spannte sich ein zehn Zentimeter breiter Gürtel aus burgunderrotem Lack.

      Hans-Günther spürte, wie ihn eine prickelnde Erregung durchströmte. Unwillkürlich spannte sich seine Hand fester um das hohe Glas.

      Durch

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