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seine Schwester von Prinz Antonio fasziniert gewesen war, dann konnte Lord Mere verstehen, daß auch er Jennie unwiderstehlich gefunden haben mußte. Sie war blond, blauäugig und besaß einen makellosen Teint - der Traum eines jeden Künstlers von der »vollendeten englischen Rose«.

      Er hatte oft bedauert, daß sie in jungen Jahren mit einem fünfundzwanzig Jahre älteren Mann verheiratet worden war.

      Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus gesehen, konnte man die Verbindung als glänzend bezeichnen. Der Marquis of Kirkham war persona grata im Windsor Castle und bald nach der Hochzeit zur Position des Master of the Horse aufgestiegen. Seine erste Frau hatte im Kindbett den Tod gefunden. Danach war eifrig darüber spekuliert worden, wer die nächste Marquise des vornehmen Witwers werden würde.

      Bei der ersten Begegnung mit Jennie, einem achtzehnjährigen Mädchen, hatte er sein Herz verloren. Vor der überstürzten Hochzeit hatte sie kaum Zeit gefunden, sich zu fragen, ob es klug war, einen um so viele Jahre älteren Mann zu heiraten.

      Damals schien dies keine große Rolle gespielt zu haben. Nun aber, da Jennie vierunddreißig Jahre zählte und ihr Gatte bald sechzig wurde, war er trotz aller guten Vorsätze ein älterer Herr.

      Obwohl Lord Mere das Ende der Geschichte erraten konnte, bat er: »Erzähl weiter, Jennie.«

      »Gestern abend gab ich Antonios Flehen nach«, sagte Jennie mit kaum hörbarer Stimme. »Wir hatten schon am Abend zuvor zusammen gespeist. Irgendwie, ich weiß nicht wieso, konnte ich ihm widerstehen. Ich dachte immer wieder daran, daß ich schließlich Arthurs Frau bin, wie schwierig er auch ist, und daß ich mich so verhalten muß, wie er es von mir erwartet.«

      »Natürlich«, stimmte ihr Bruder zu.

      »Gestern abend aßen Antonio und ich wieder zusammen. Wir waren allein, und danach...« Die Marquise hielt inne, und die Farbe stieg ihr in die Wangen, ehe sie hinzufügte: »Du kannst nun erraten, was geschah.«

      »Das kann ich, und ich verstehe dich nur zu gut.«

      Im Stillen wunderte er sich darüber, daß dies nicht schon viel früher geschehen war. Der Marquis war mit den Jahren nicht nur anmaßend geworden, sondern er behandelte seine Umgebung unduldsam und diktatorisch, besonders aber seine Frau.

      Gleichzeitig war er ein außerordentlich stolzer Mann. Wenn er die leiseste Ahnung von Jennies Untreue hätte, wären die Folgen äußerst unangenehm.

      »Ich schäme mich jetzt, daß ich einen solchen Fehltritt begangen habe«, sagte Jennie. »Aber es ist nicht nur das!«

      »Was ist noch geschehen?« fragte ihr Bruder.

      »Gestern abend trug ich das florentinische Halsband, weil ich wußte, daß es Antonio interessieren würde.«

      Vor zwei Jahren hatte sie dem Marquis nach der Geburt zweier Töchter einen Sohn und Erben geschenkt und vom stolzen Vater ein außergewöhnlich kostbares Halsband erhalten, zum Zeichen seiner Dankbarkeit. Es war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angefertigt und mit jener Feinheit und Pracht gestaltet worden, die den Ruhm der florentinischen Juweliere begründet hatte. Blüten aus fünf Diamanten mit Blättern aus Smaragden bedeckten ein brillantenbesetztes Band. Ein kunstvoller Anhänger in Form einer Blume hing in der Mitte herab, und an diesem wiederum befanden sich zwei kleinere Anhänger aus rosaroten Diamanten. Wie alle Schmuckstücke jener Zeit war das Halsband in Silber eingefaßt, und jeder Stein steckte in einer gewölbten Fassung, durch die das Licht stärker reflektiert wurde.

      Beim Anblick dieses schönen, ungewöhnlichen Geschenks war Jennie überwältigt gewesen. Der Marquis hatte erklärt, daß es ihm von einer alten florentinischen Familie angeboten worden war, mit der Erklärung, wenn sie es schon verkaufen müßten, dann sähen sie es lieber in seinen Händen als in anderen.

      Geschmeichelt über dieses Kompliment, hatte der Marquis, wie Lord Mere vermutete, mehr als den tatsächlichen Wert für den Schmuck bezahlt. Aber dies war wohl ein gewisser Ausgleich dafür, daß er seine Frau aus altersbedingten Gründen nicht mehr als glühender Liebhaber verwöhnen konnte.

      Es hatte Lord Mere sogar überrascht, daß Jennie im Gegensatz zu den schönen Frauen vom Marlborough House-Clan dem Marquis so lange treu geblieben war. Da der Prince of Wales die Mode der Freizügigkeit förderte, nahm man keinen Anstoß daran, wenn sich die berühmten Schönheiten auf heimliche Liebesaffären einließen, sobald sie ihren Gatten einen Erben geschenkt hatten und mindestens zehn Jahre verheiratet waren. Es galt auch als normal, daß ihre Gatten dabei großzügig ein Auge zudrückten.

      Lord Mere nahm an, daß der Marquis nichts dergleichen tun würde, wenn seine Schwester in diese Situation käme. Sein Schwager würde sich vielmehr kleinlich zeigen. Und wenn er seiner Frau das nicht geben konnte, wonach sie sich sehnte, würde sie ohne dies auskommen müssen.

      Doch da Lord Mere seine Schwester liebte, wollte er sie glücklich sehen. Er mutmaßte schon seit einiger Zeit, daß Jennie unzufrieden und frustriert war, obwohl sie nie darüber gesprochen hatte. Offenbar war der Seitensprung unvermeidlich gewesen.

      Nur schade, daß Jennie einen Ausländer zum Liebhaber gewählt hatte. Nicht, daß Lord Mere etwas gegen Ausländer im allgemeinen gehabt hätte, abgesehen davon, daß sie oft unberechenbar waren und einer Frau in der Regel nicht die unerschütterliche, standhafte Treue schenkten, die er sich für seine Schwester wünschte.

      Als er nun ihr ängstliches Gesicht sah, sagte er sich, daß etwas schiefgegangen war, und er fragte sich, was es sein mochte.

      Jennie sagte leise: »Antonio verließ mich in der Morgendämmerung. Ich machte mir Sorgen, daß die Dienstboten schon wach sein und ihn sehen könnten.«

      »Und was geschah dann?« fragte Lord Mere.

      Er war sicher, daß der Marquis zu so früher Stunde nicht zurückgekehrt sein konnte und daß das Personal seine Schwester nicht der Untreue bezichtigen würde.

      »Als Antonio gegangen war«, flüsterte Jennie, »war mein Halsband verschwunden, obwohl ich es zuerst gar nicht glauben konnte.«

      Ein langes Schweigen entstand. Lord Mere starrte seine Schwester erstaunt an.

      »Du willst doch damit nicht etwa sagen...«, begann er schließlich. »Du nimmst doch nicht an, daß der Prinz es gestohlen hat?«

      »Es ist wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe es in das Etui auf meinem Ankleidetisch gelegt. Nachdem mein Mädchen mir das Frühstück gebracht hatte, fragte es: ,Soll ich Ihren Schmuck in den Tresor legen, Mylady?' Und ich antwortete: ,Ja, natürlich, Rose. Aber geh mit dem Halsband vorsichtig um.' Rose öffnete das Etui, um zu sehen, ob das Halsband ordentlich darin lag, und rief: ,Aber es ist nicht da, Mylady!'«

      Als Jennie nun ihren Bruder ansah, waren ihre Augen dunkel vor Furcht.

      »Es ist weg! Ich habe es überall gesucht! Ich erinnere mich ganz deutlich daran, wie ich es vorsichtig in das Etui legte und dabei dachte, wie schön es auf dem schwarzen Samtfutter aussieht.«

      »Du mußt dich irren.«

      »Nein! Ich erinnerte mich später, daß ich es auch am ersten Abend trug, als ich Antonio kennenlernte. Er bewunderte es und machte mir Komplimente. Zum Beispiel sagte er, von allen Hälsen, die es seit 1725, dem Jahr der Anfertigung, geziert habe, sei meiner der schönste.«

      Lord Mere erwiderte nichts darauf, und Jennie fuhr fort: »Heute früh dachte ich wieder an das Gespräch und hielt es nun für sehr merkwürdig, daß Antonio das genaue Herstellungsjahr kannte, während Arthur in dieser Hinsicht nicht sicher war.«

      »Der Prinz kann es erraten haben«, wandte Lord Mere ein. »Was ist noch geschehen?«

      »Als ich das Halsband einmal nicht trug, fragte Antonio: ,Wo ist Ihr florentinisches Juwel? Ich bewundere Sie, und nichts anderes ist kostbar genug, um Ihre Haut zu berühren.'«

      »Und deshalb hast du es gestern abend bei diesem Dinner zu zweit getragen.«

      »Ja, natürlich«, bestätigte Jennie. »Als er den Salon betrat, sagte er,

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