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in das Ritual der großen Familienzeremonien eingeführt hat, der sozialen Bedeutung dieser Zeremonien entspricht. Erst seit Beginn der dreißiger Jahre tauchen Aufnahmen von der Erstkommunion auf, und Photographien aus Anlaß einer Taufe sind noch jüngeren Datums und noch seltener. In jüngster Zeit nutzen manche Bauern den Umstand, daß die Vertreter landwirtschaftlicher Genossenschaften von Photographen begleitet werden, dazu, sich mit ihrem Vieh photographieren zu lassen; aber sie bilden eine Ausnahme. Was die Taufen betrifft, die niemals zu einer großen Zeremonie Anlaß geben und bei denen bloß die nächsten Anverwandten zusammenkommen, so sind Photos von ihnen überaus rar. Meist gibt die Erstkommunion den Müttern eine erste Gelegenheit, ihre Kinder photographieren zu lassen. Daran wird erneut deutlich, daß Bedeutung und Rolle der Photographie eine Funktion der sozialen Bedeutung eines Festes sind:

      »Bei einer Hochzeit wird der Photograph niemals gebeten, die Kinder aufzunehmen. Ausgeschlossen. Das geschieht am Tag der ersten heiligen Kommunion, dem Fest der Kinder. Der Photograph macht ein gutes Geschäft. Der Hochzeitstag ist nicht zu Ehren der Kleinen, er ist nicht ihr Festtag. Um die Kinder kümmert sich an einem solchen Tag kein Mensch.«

      Wie bei der Hochzeit fügt sich auch hier die Photographie in den Kreislauf der rituell auferlegten Tauschhandlungen ein. Das Photo vom Kommunionkind, am Montag nach der Zeremonie in der nächsten Stadt aufgenommen, ist in jüngster Zeit zum Erinnerungsphoto der Erstkommunion hinzugetreten, das die Kinder den Verwandten und Nachbarn als Gegengabe für ein Geschenk überreichten.

      Man kann der Mutter nur beipflichten, die ihre Kinder photographieren läßt. Niemals zuvor stand das Kind ähnlich offen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie heute. Die großen Feste und Zeremonien der Dorfgesellschaft waren vor allem eine Angelegenheit der Erwachsenen. Erst seit 1945 haben die Feste der Kinder, z.B. die Erstkommunion, an Glanz und sozialer Stichhaltigkeit gewonnen: Je größer der Platz wird, den die Gesellschaft den Kindern und zugleich der Frau als Mutter einräumt, desto mehr verstärkt sich der Brauch, sie photographieren zu lassen. In der Sammlung eines kleinen Dorfbauern zeigt die Hälfte der nach 1945 aufgenommenen Bildnisse Kinder, während Kinder auf den Photos aus der Zeit vor 1939 fast nicht vorkommen. Früher photographierte man überwiegend Erwachsene, dann Familiengruppen, wobei sich die Kinder eher beiläufig zu den Erwachsenen gesellten. Heute hat sich diese Hierarchie umgekehrt.

      Doch auch die Photographie von Kindern wird in aller Regel nur deshalb in die Zeremonie mit eingeführt, weil sie eine soziale Funktion erfüllt. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern behält der Frau die Aufgabe vor, die Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern zu pflegen, die weitab, häufig in einem eigenständigen Familienverband leben. Ebenso wie der Brief und mehr noch als dieser dient die Photographie mit dazu, die Bekanntheit der Verwandten untereinander stets auf dem neuesten Stand zu halten. Nicht zufällig führt das Versenden von Photographien nach einer Hochzeit im allgemeinen zu einer Wiederbelebung der Korrespondenz. Es ist üblich, die Kinder (gelegentlich, nach Möglichkeit jedoch regelmäßig) zur Verwandtschaft außerhalb des Dorfes und vor allem, falls die Braut von auswärts stammt, zu deren Mutter mitzunehmen. Es ist stets die Frau, die derlei Besuche anregt, und manchmal unternimmt sie diese auch ohne den Ehemann. Der Austausch von Photos hat den nämlichen Zweck: Mit dem Bildnis präsentiert man dem Ensemble der Gruppe den Neuankömmling, den diese »anerkennen« muß.

      So ist es denn nur natürlich, daß die Photographie zum Gegenstand einer »Lektüre« wird, die als soziologisch gelten kann, und daß sie niemals an sich und für sich, im Hinblick auf ihre technischen oder ästhetischen Qualitäten »gelesen« wird. Vom Photographen wird erwartet, daß er sein Metier versteht, und Vergleichskriterien sind keine zur Hand. Die Photographie soll lediglich eine treue und genaue Darstellung liefern, um das Wiedererkennen zu ermöglichen. Man nimmt eine methodische Prüfung und Längsschnittbeobachtung vor, die derselben Logik gehorcht, die das Kennenlernen von Personen im Alltag beherrscht: Über einen Vergleich des Bildes mit den eigenen Kenntnissen und Erfahrungen ordnet man jede Person unter Berufung auf deren genealogische Linie ein. Die Lektüre alter Hochzeitsphotos nimmt oft Züge eines Kursus in Genealogie an – die Mutter, Expertin auf diesem Gebiet, erläutert dem Kind die Beziehungen, durch die es mit jeder der abgebildeten Personen verbunden ist. Man möchte gern wissen, wie die Paare zusammenfanden, man analysiert und vergleicht das Feld der sozialen Interaktionen jeder der beiden Familien, man registriert die Abwesenden – ein Zeichen für irgendwelche Zwistigkeiten – und die Anwesenden (die wissen, was sich gehört). Kurz, die Hochzeitsphotographie ist ein veritables Soziogramm und wird auch so verstanden.

      Jedem geladenen Gast wird die Photographie zur Trophäe, zum Zeichen gesellschaftlicher Geltung und zur Quelle von Prestige. Als Angehöriger einer »kleinen Familie« besitzt B.M., ein Dorfbauer, nur drei Hochzeitsbilder.13 J.B. dagegen, ein gutsituierter Städter, verheiratet mit der jüngeren Tochter einer »großen Familie«, besitzt eine stattliche Anzahl solcher Aufnahmen, wobei zu diesen noch Photos von Kollegen hinzukommen, die bei Spaziergängen oder Ausflügen aufgenommen wurden. Bei näherer Betrachtung der eingeladenen Gäste treten bedeutsame Unterschied hervor: Die Gäste von B.M. sind vorwiegend Verwandte und Nachbarn, das Auswahlprinzip ist traditionell; bei der Heirat von J.B. erschienen außer den obligatorisch Geladenen auch die »Kameraden« des Bräutigams und sogar die Freundinnen der Braut.

      Wer sich photographieren läßt, ist damit einverstanden, daß seine Gegenwart bezeugt wird – unverzichtbare Gegenleistung für die durch die Einladung empfangene Wertschätzung; damit bringt man zum Ausdruck, daß man die Ehre der Einladung würdigt und daß man teilnimmt, um anderen seine Wertschätzung zu bekunden.

      »Du warst bei Gott weiß was für einer Hochzeit, aber nicht mit auf dem Photo. Das ist aufgefallen. Du warst nicht mit der Gruppe dabei, man hat gesagt, daß M. L. nicht mit auf dem Photo war. Man hat gedacht, daß du dich entzogen hast, das wird übel aufgenommen.« (Junge Frau aus einer kleinen Provinzstadt zu ihrem Mann im Verlauf einer Unterhaltung)

      Wie auch sollten Stimmung und Haltung der abgebildeten Personen nicht von Feierlichkeit gekennzeichnet sein? Keinem kommt es in den Sinn, sich den Anordnungen des Photographen zu widersetzen, mit seinem Nachbarn zu sprechen oder nicht zur Kamera zu blicken. Das wäre gegen jeden Anstand, geradezu ein Affront gegenüber der ganzen Gruppe und, in den Augen des Familienoberhaupts, gegenüber denen, die »ihren Ehrentag« begehen, den Familien der Neuvermählten.

      Das Photographieren von großen Zeremonien ist deshalb – und nur deshalb – möglich, weil die Photographie gesellschaftlich gebilligte und geregelte, d.h. bereits in den Rang des Feierlichen erhobene Verhaltensweisen festhält. Nichts darf photographiert werden außer dem, was photographiert werden muß. Die Zeremonie darf photographiert werden, weil sie von der alltäglichen Routine abweicht, und sie muß photographiert werden, weil sie das Bild verwirklicht, das die Gruppe als Gruppe von sich zu vermitteln wünscht. Das, was photographiert wird und was der »Leser« der Photographie erfaßt, sind strenggenommen keine Individuen in ihrer Besonderheit, sondern soziale Rollen: der Jungvermählte, der Erstkommunikant, der Soldat, oder soziale Beziehungen: der Onkel aus Amerika oder die Tante aus Sauvagnon.

      So enthält beispielsweise die Sammlung von B.M. ein Bild, das den ersten Typus perfekt illustriert: Es zeigt den Schwager des Vaters von B. M. in der Uniform des städtischen Briefträgers. Die Schirmmütze auf dem Kopf, das weiße Hemd mit Stehkragen, die weißkarierte Krawatte, der Gehrock ohne Revers, auf der Brust eine Blechmarke mit der Nummer 471, die mit goldenen Knöpfen verzierte Weste hochgeschlossen, die Uhrkette sichtbar drapiert, so posiert er stehend, mit der rechten Hand auf ein kleines Podest in orientalischem Stil aufgestützt. Dieses Bild, das die in einen anderen Ort gezogene Tochter ihrer Familie schickte, ist nicht die Photographie ihres Mannes, sondern das Symbol seines gesellschaftlichen Erfolgs. – Eine Illustration für den zweiten Typus ist eine Photographie, die aus Anlaß eines Besuchs des Schwagers von B.M. in Lesquire aufgenommen wurde und die die Begegnung der beiden Familien feiert, indem sie auf einem Bild Onkel und Nichten, Neffen und Tanten vereint. So als habe man bekunden wollen, daß das eigentliche Objekt der Photographie nicht die Individuen sind, sondern die Beziehungen zwischen ihnen, tragen die Eltern der einen Familie auf ihren Armen die Kinder der anderen.16

      Die meisten bäuerlichen Familien »verstauen« die Photographien in einer Schachtel, ausgenommen das Hochzeitsbild und bestimmte

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