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als sie die Wissenschaft von den Prozessen der Verinnerlichung der Objektivität, in deren Verlauf sich die Systeme unbewußter und dauerhafter Dispositionen wie Klassenhabitus und Klassenethos ausbilden, aus ihrem Gesichtsfeld verbannt; sie bleibt abstrakt, solange sie nicht untersucht, in welcher Weise die tausend »kleinen Wahrnehmungen« des Alltags und die gleichgerichteten und unausgesetzten Sanktionen des ökonomischen und gesellschaftlichen Universums unmerklich von Kindheit an und das ganze Leben lang durch unablässige Mahnungen dieses »Unbewußte« ausgestalten, dessen Charakteristikum – paradox genug – der praktische Rekurs auf objektive Bedingungen ist.

      Es sollten die Wissenschaften vom Menschen der Philosophie den Streit um die Scheinalternative überlassen zwischen einem Subjektivismus, der darauf beharrt, den Entstehungsort einer schöpferischen, auf Strukturdeterminismen nicht weiter reduzierbaren Handlung aufzusuchen, einerseits und einem objektivistischen Panstrukturalismus andererseits, der durch eine Art von theoretischer Parthenogenese die Strukturen unmittelbar von den Strukturen selbst aus zu erzeugen beansprucht und dessen ›Wahrheit‹ sich am ehesten dort verrät, wo er in den Idealismus allgemeiner Gesetze der Ideologie umschlägt und unter dem Deckmantel einer materialistischen Terminologie die Weigerung verbirgt, die symbolischen Ausdrücke mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Hervorbringung in Zusammenhang zu bringen. Das notwendige, aber noch abstrakte Moment des methodischen Objektivismus gebietet dessen Überwindung: Wer der Konstruktion objektiver Beziehungen die Konstruktion von Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren und diesen objektiven Beziehungen opfert oder das Problem des Verhältnisses zwischen diesen beiden Beziehungstypen ignoriert, der verschreibt sich einem Realismus der Struktur, der den Realismus des Strukturelementes von seinem Platz verdrängt und objektive Beziehungssysteme zu verselbständigten Totalitäten verdichtet, die angeblich vor jeder Geschichte des Einzelnen oder einer Gesellschaft und unabhängig von dieser existieren. Es muß nicht zwangsläufig der Naivität des Subjektivismus verfallen, wer daran erinnert, daß die objektiven Beziehungen einzig in dem und durch das Produkt der Verinnerlichung objektiver Bedingungen, in dem System der Dispositionen vorkommen und sich tatsächlich verwirklichen. Zwischen die Systeme der objektiven Regelmäßigkeiten und der unmittelbar beobachtbaren Verhaltensweisen schiebt sich allemal eine Vermittlungsinstanz, eben der Habitus, geometrischer Ort äußerer Determinanten und individueller Entscheidung, berechenbarer Wahrscheinlichkeiten und gelebter Erwartungen, objektiver Zukunft und subjektiver Entwürfe. Es ist der Klassenhabitus, verstanden als System organischer oder psychischer Dispositionen, unbewußter Schemata des Denkens, der Wahrnehmung und des Handelns, der dazu führt, daß die handelnden Subjekte in der wohlbegründeten Illusion der Schöpfung unvorhersehbarer Neuartigkeit und in freier Improvisation Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen hervorbringen können, die objektiven Regelmäßigkeiten entsprechen, weil der Klassenhabitus selbst im Rahmen und aufgrund von Bedingungen entstanden ist, die durch diese Regelmäßigkeiten objektiv bestimmt sind. Nur eine mechanistische Auffassung der Dialektik zwischen den objektiven Beziehungen und den diese determinierenden handelnden Subjekten kann in Vergessenheit geraten lassen, daß der Habitus, selbst das Produkt von Bedingtheiten, die Bedingung der Hervorbringung von Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen ist, die ihrerseits wiederum nicht das unvermittelte Ergebnis von Bedingtheiten sind, obgleich sie, einmal hervorgebracht, allein durch Kenntnis dieser Bedingtheiten oder, besser gesagt, des in diesen verankerten Produktionsprinzips verstanden werden können. Kurz, als Prinzip einer zwar strukturierten, aber nicht strukturalen Praxis umschließt der Habitus, die Verinnerlichung der äußeren Konstellation, den Grund aller Objektivierung der Subjektivität.

      Was Hegel von der Philosophie gesagt hat: »Keiner andern Kunst und Wissenschaft wird diese letzte Verachtung bezeigt, zu meinen, daß man sie geradezu innehabe«4, könnte auch für die Photographie gelten. Im Unterschied zu anspruchsvolleren kulturellen Tätigkeiten wie dem Zeichnen, der Malerei oder dem Musizieren, ja, selbst im Unterschied zum Besuch von Museen oder Konzerten setzt das Photographieren weder Schulbildung noch eine Lehrzeit und die Beherrschung des »Handwerks« voraus, die ihren Wert dergestalt auf jene kulturellen Konsumhandlungen und Aktivitäten, die man gemeinhin für die erhabensten hält, übertragen, daß der Zugang zu ihnen nicht jedem beliebigen offensteht.5

      Nichts steht in krasserem Gegensatz zu der gängigen Vorstellung von künstlerischer Schöpfung als die Tätigkeit des Amateurphotographen, der häufig von seinem Apparat verlangt, an seiner Statt die nötigen Operationen auszuführen, wobei er die Perfektibilität des von ihm benutzten Geräts mit dem Grad der Automatisierung der Funktionen des Gerätes gleichsetzt.6 Doch selbst wenn die Produktion des Bildes gänzlich dem Automatismus des Apparats anvertraut wird, so bleibt doch die Aufnahme selbst der Ausdruck einer Wahl, der ästhetische und ethische Kriterien zugrunde liegen: Während theoretisch das Prinzip und die Fortschritte der photographischen Technik dazu tendieren, alles objektiv »photographierbar« zu machen, wählt, jedenfalls innerhalb der theoretischen Unendlichkeit aller Photographien, die ihr technisch möglich sind, jede Gruppe praktisch ein endliches und bestimmtes Sortiment möglicher Gegenstände, Genres und Kompositionen aus. »Der Künstler«, sagt Nietzsche, »wählt seine Stoffe aus: das ist seine Art zu loben.«7 Weil sie eine Wahl ist, die lobt, weil sie der Absicht folgt, festzuhalten, d.h. zu feiern und zu verewigen, darf die Photographie nicht den Zufälligkeiten der individuellen Phantasie ausgeliefert werden. Durch die Vermittlung des Ethos, die Verinnerlichung objektiver und allgemeiner Regelmäßigkeiten, unterwirft die Gruppe diese Praxis der kollektiven Regel, so daß noch die unbedeutendste Photographie neben den expliziten Intentionen ihres Produzenten das System der Schemata des Denkens, der Wahrnehmung und der Vorlieben zum Ausdruck bringt, die einer Gruppe gemeinsam sind.

      Anders gesagt, es zeigt sich, daß das Feld dessen, was sich einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse als wirkliche Objekte der Photographie darstellt (d. h. die Teilmenge der »machbaren« Photographien, im Unterschied zur Universalmenge der Realitäten, die objektiv Photographien werden können, sofern der Apparat die technischen Möglichkeiten hierzu bietet), durch implizite Modelle definiert wird, die sich über die photographische Praxis und ihre Produkte dingfest machen lassen, da sie objektiv den Sinn bestimmen, den eine Gruppe dem photographischen Akt als der fundamentalen Aufwertung eines wahrgenommenen Objekts zu einem Objekt verleiht, das für würdig befunden wird, es zu photographieren, d.h. es festzuhalten, zu konservieren, zu kommunizieren, vorzuzeigen und zu bewundern. Die Normen, welche die photographische Aneignung der Welt entsprechend dem Gegensatz zwischen Photographierbarem und Nicht-Photographierbarem organisieren, sind untrennbar mit dem System impliziter Werte verknüpft, die einer Klasse, einer Berufsgruppe oder einer Künstlervereinigung eigentümlich sind, deren photographische Ästhetik niemals etwas anderes als lediglich einen Aspekt dieses Systems bildet, auch wenn sie für sich in Anspruch nimmt, autonom zu sein. Das adäquate Verständnis eines Photos, ob dieses nun von einem korsischen Bauern, einem Kleinbürger aus Boulogne oder einem Berufsphotographen aus Paris stamme, stellt sich nicht allein dadurch her, daß man die Bedeutungen übernimmt, die es verkündet, d.h. in gewissem Maße die expliziten Absichten ihres Urhebers; man muß auch jenen Bedeutungsüberschuß entschlüsseln, den es ungewollt verrät, soweit es an der Symbolik einer Epoche, einer Klasse oder einer Künstlergruppe partizipiert.

      Da die Beschäftigung mit der Photographie – im Gegensatz zu den künstlerischen Tätigkeiten, die, wie die Malerei oder die Musik, etwas ganz und gar Weihevolles an sich haben – technisch wie ökonomisch jedermann zugänglich erscheint, und da diejenigen, die sich ihr widmen, von sich selbst nicht das Gefühl haben, an einem System expliziter und kodifizierter Normen gemessen zu werden, das die legitime Praxis im Hinblick auf ihren Gegenstand, ihre Anlässe und ihre Modalität festlegte, ist die Analyse der subjektiven oder objektiven Bedeutung, die die Subjekte der Photographie als Praxis oder als kultureller Tätigkeit beimessen, besonders geeignet, an deren authentischer Ausdrucksform jene Ästhetiken (und Ethiken) zu ermitteln, die für unterschiedliche Gruppen oder Klassen kennzeichnend sind, vor allem die »Ästhetik« des »einfachen Volkes«, die sich hier in Ausnahmefällen offenbaren kann.

      Obwohl diese Tätigkeit ohne Traditionen und ohne Ansprüche, gänzlich anarchisch, individuelle Improvisation zu sein scheint, sieht es zugleich so aus, als sei nichts stärker der Reglementierung und der Konvention unterworfen als die Amateurphotographie und deren Produkte: Die Anlässe ebenso wie die aufgenommenen

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