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es gern, weil ihnen der Krieg endlich Anerkennung und vielleicht auch ein paar soziale Zugeständnisse der Regierung einbringen würde.37

      Man konstruierte sogar ein Verlangen von unten und sah sich »in vollster Übereinstimmung mit dem Denken und Fühlen der Massen«, wie Konrad Haenisch – ein Ex-Linksradikaler – nach seinem Rechts-Schwenk bei Kriegsbeginn behauptete.

      Doch die Proletariermassen gingen am 31. Juli gegen den Krieg auf die Straßen, zu einer Zeit, als die Führung der SPD schon mit der Reichsleitung verhandelte.

      Und ein deutsch-französischer Massenstreik hätte durchaus Aussicht auf Erfolg haben können, denn die französischen Gewerkschaften zeigten sich noch auf dem Höhepunkt der Julikrise 1914 streikbereit. Jedoch musste der französische Gewerkschaftsführer Léon Jouhaux bei einem Treffen mit dem deutschen Gewerkschaftsführer Carl Legien am 27. Juli 1914 feststellen, dass es in Deutschland keinerlei entsprechende Bereitschaft gab.38 Auch ein Aufruf Jouhaux’ an Legien zum Generalstreik vom 30. Juli 1914 blieb unbeantwortet.

      Angeblich schlug bei den deutschen Proletariermassen ab 1. August die Stimmung um. Noch 1976 zeigte sich der Historiker Manfred Scharrer überzeugt, die Arbeitermassen seien zu diesem Zeitpunkt für den Krieg gewesen und hätten die Führung zum Opportunismus getrieben.39

      Aber waren die Massen plötzlich von einem Tag auf den anderen kriegsbegeistert geworden? Nicht nur Richard Müller40 oder die DDR-Historiker41, sondern auch neuere Forschungen stellen dies in Zweifel.42 Weder eine große Kriegsbegeisterung noch eine totale Gegnerschaft zum Krieg ist im August 1914 feststellbar.

      Ersteres ist später von führenden Parteigenossen einfach herbeiphantasiert worden. Mehrheitlich herrschte nach dem 1. August bei den Arbeitern eher Niedergeschlagenheit. Man war enttäuscht von der Parteiführung.43 Und wer von den Arbeitern einrückte, tat das ohne Begeisterung. »Alle haben das Gefühl, es geht direkt zur Schlachtbank.«44

      Wenn aber Niedergeschlagenheit vorherrschte, hätte eine konsequente Kriegsgegnerschaft der Führung auch die Masse der Arbeiter gegen den Kriegstaumel immun gemacht, ja für Gegenaktionen geöffnet:

      »Die Massen, Unorganisierte und besonders Organisierte, hätten Mut bekommen, hätten den Krieg besser durchschaut und hätten das getan, was man ihnen heute in Deutschland vorwirft, und was sie leider nicht getan haben: sie hätten die Front erdolcht.«45

      Das wollte die Führung schlicht und einfach nicht.

      Während das Ultimatum an das neutrale Belgien zwecks Durchmarsch Richtung Paris längst vorbereitet war – denn so sah der deutsche »Verteidigungskrieg« gegen Russland tatsächlich aus –, ermahnte Reichskanzler Bethmann Hollweg die SPDFührer zur Mäßigung. Man solle den Kriegsgegner nicht provozieren. Und die Sozialdemokraten, gebauchpinselt von der Audienz beim Reichskanzler, versicherten, endlich anerkannt, »gerade aus dem Wunsch heraus, dem Frieden zu dienen«, dass keine Streikaktionen oder ähnliches geplant seien.46

      Die Führer der ehemals revolutionären Partei ließen sich nur zu gerne hinters Licht führen.

      Schließlich stimmte man am 4. August 1914 den Kriegskrediten zu, schaffte es sogar, die widerstrebenden Linken (darunter Karl Liebknecht) per Fraktionsdisziplin zur Zustimmung zu zwingen. Rosa Luxemburg »wurde von konvulsivischen Wein- und Wutkrämpfen geschüttelt«.47 Selbst Lenin im Schweizer Exil hielt die Nachricht für das, was man heute als Fake-News bezeichnet.48

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      Abb. 4 August 1914: Kaiser Wilhelm II. auf dem Balkon des Stadtschlosses verkündet den Krieg

      Krieg

      »Heute weht die deutsche Flagge auf den Türmen Antwerpens, hoffentlich für immer«, schrieb der Courier, Organ der Transportarbeitergewerkschaft im Oktober 1914.49

      Die Begeisterung, die bei Beginn des Ersten Weltkrieges durch viele Schichten in Deutschland fegte, erfasste nun endgültig zahlreiche Kader der SPD: »Mit eherner Entschlossenheit, bereit zu allen Opfern an Gut und Blut, voll Vertrauen zu den berufenen Führern, steht das deutsche Volk einig und geschlossen, ohne Unterschied der Partei, in lückenloser Schlachtreihe, um den aufgezwungenen Kampf gegen übermächtige Gegner abzuwehren.«50 So stand es in Gustav Bauers Zeitschrift Der Bureau-Angestellte Mitte August 1914.

      Carl Legien, der Vorsitzende der Generalkommission der Gewerkschaften, kannte nicht nur keine Parteien, sondern auch keine Demokratie mehr: »Wie die Dinge liegen, hört die Demokratie in den Gewerkschaften auf, jetzt haben die Vorstände in eigener Verantwortung zu entscheiden.«51

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      Abb. 5 Deutsche Soldaten auf dem Weg an die Front

      Und Philipp Scheidemann vom Parteivorstand betonte im April 1916, man müsse ein politischer Kindskopf sein, wenn man sich einbilde, dass »kein einziger Grenzstein verrückt werden darf«52. Auch Eduard David setzte sich für Annexionen ein, etwa die Belgiens. Im Osten sah er die Dünalinie (in Weißrussland) als ideale deutsche Grenze.53 In Afrika müsse Belgien der Kongo weggenommen werden.54

      Der Chefredakteur der Chemnitzer Volksstimme, Ernst Heilmann, schrieb im Sommer 1915, laut Paul Frölich: »Ein Verteidigungskrieg werde dadurch noch lange kein Eroberungskrieg, wenn man am Ende etwas gewinne.«55 Und laut Noske: »In diesem Kampfe bestimmt nur Deutschlands Interesse die Mittel. Zu besonderer Schonung sind wir gegen niemand mehr verpflichtet.«56

      Heilmann meldete sich freiwillig und erhielt einen Kopfschuss, der ihn ein Auge kostete. Er wurde noch später als Jude und Sozialdemokrat von den Nazis ins KZ gesperrt und ermordet. Sein ganzer Nationalismus hatte ihm nichts genützt.

      Redaktionskollege Noske hatte schon im Mai 1915 festgestellt: »Nur ein Idiot kann für den Status Quo vor dem Kriege sein.«57 Noske war auch Anhänger von Bethmann Hollwegs imperialistischem Septemberprogramm58 mit Groß-Deutschland und Österreich-Ungarn als Kern und den Mittel- und Kleinstaaten Europas als Satelliten.

      Keiner jener Arbeiterbürokraten verschwendete einen Gedanken daran, dass dieser »Verteidigungskrieg« gegen den russischen Bären mit dem Überfall auf Belgien und Frankreich begonnen hatte. Um ihn durchhalten zu können, unterstützte man den »Kriegssozialismus« Ende 1916 mit einem Hilfsdienstgesetz, das die Fabrikdisziplin zur Militärdisziplin (Arbeitszwang) verschärfte und für welches man minimale soziale Zugeständnisse erhielt.59 Noch Jahrzehnte später würden SPDHistoriker das Opfern von Millionen Proletariern als für die Sozialreform lohnend erkennen.60

      Und Bauer glaubte, dass die feindlichen Staatsmänner endlich einsehen müssten, »dass Deutschland nicht besiegt werden kann«61. Aber nicht einmal das Dreiklassenwahlrecht (zum preußischen Landtag) wurde während des Kriegs in ein allgemeines Wahlrecht umgewandelt wie von der SPD gefordert, wo doch Ludwig Frank (SPD) das Bonmot kreiert hatte: »Statt eines Generalstreiks führen wir fürs preußische Wahlrecht einen Krieg.«62 Er starb schon einen Monat nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich als Kriegsfreiwilliger an der Front. Ein allgemeines Wahlrecht bekam Preußen erst durch die Revolution.

      Je länger der Krieg dauerte, je mehr Menschen in Deutschland durch Misswirtschaft und die britische Blockade verhungerten – am Schluss waren es mindestens 700 000 –, umso mehr kehrte bei einigen Sozialdemokraten die Fähigkeit zurück, sich auf ihre antimilitaristischen Wurzeln zu besinnen.

      Hatte Liebknecht, nachdem er in Belgien die Massaker der deutschen Truppen gesehen hatte, als Erster im Reichstag (Dezember 1914) gegen die Kriegskredite gestimmt, waren es im März 1915 schon 30 SPD-Abgeordnete, die durch Fernbleiben der Abstimmung ihre Zustimmung zum imperialistischen Krieg versagten.63

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