ТОП просматриваемых книг сайта:
Auferstehung. Лев Толстой
Читать онлайн.Название Auferstehung
Год выпуска 0
isbn 9783849624477
Автор произведения Лев Толстой
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Advokat brachte sein Plaidoyer schnell zu Ende, und nach ihm ergriff der Staatsanwalt von neuem das Wort. Er wollte seine Ansichten über den Atavismus verteidigen und auf die gegen dieselben gerichtete Kritik antworten. Er erklärte, wenn auch die Botschkoff ein natürliches Kind wäre, der wissenschaftliche Wert der Theorie über den Atavismus würde dadurch keineswegs geschmälert; »denn,« sagte er, »diese Theorie ist von der Wissenschaft so klar festgestellt, daß wir jetzt vom Atavismus nicht nur das Verbrechen ableiten, sondern sogar auch vom Verbrechen auf den Atavismus schließen können.« Was die Behauptung des zweiten Verteidigers beträfe, die Maslow wäre angeblich von einem Verführer dem Laster zugeführt worden – er betonte das Wort » angeblich« mit ironischem Nachdruck – so ließen alle Angaben darauf schließen, daß stets sie die Verführerin der zahllosen Opfer gewesen war, die ihr der Zufall in die Hände gespielt. Darauf setzte er sich mit triumphierender Miene.
Der Präsident fragte nun die Angeklagten, ob sie etwas zu ihrer Verteidigung hinzuzufügen hätten, und Euphemia wiederholte zum letztenmale, sie hätte nichts gethan, wisse nichts und nur die Maslow wäre an allem schuld, während sich Simon auf die Worte beschränkte:
»Thut, was ihr wollt, ich bin unschuldig!«
Als die Maslow an die Reihe kam, sagte sie gar nichts, sondern richtete nur die Augen auf den Präsidenten und ließ sie wie ein gehetztes Wild durch den ganzen Saal schweifen; dann schlug sie sie wieder zu Boden und begann laut zu schluchzen.
»Was haben Sie?« fragte der Kaufmann seinen Nachbar Nechludoff, der eben einen merkwürdigen Schrei ausgestoßen, der eigentlich ein Schluchzen war. Doch Nechludoff war sich über seine neue Lage immer noch nicht klar, und schrieb dieses plötzliche Schluchzen, wie auch die Thränen, die ihm aus den Augen stürzten, seinen aufgeregten Nerven zu.
Als die Angeklagten gesagt, »was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hatten,« setzte man die Fragen auf, die den Geschworenen vorgelegt werden sollten, und der Präsident ging die Thatsachen noch einmal durch.
Er erklärte den Geschworenen ausführlich, daß der einfache Diebstahl nicht mit dem Einbruchsdiebstahl verwechselt werden dürfte, und die Entwendung eines Gegenstandes aus einem geschlossener Raum sorgfältig von der Entwendung aus einem offenen Raume getrennt werden müsse. Dann erklärte er, daß der Mord eine Handlung darstelle, aus der der Tod eines Menschen hervorginge, und daß die Vergiftung infolgedessen ein Mord sei. Darauf sagte er den Geschworenen, wenn der Diebstahl und der Mord vereint ausgeführt würden, so hätte ein sogenannter Raubmord stattgefunden.
Dabei vergaß der Präsident durchaus nicht, daß er Eile hatte, die Sache so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Doch er war an seinen Beruf so gewöhnt, daß er nicht mehr aufhören konnte, wenn er einmal zu sprechen anfing. Deshalb erklärte er den Geschworenen ausführlich, wenn ihnen die Angeklagten schuldig erschienen, so hätten sie das Recht, sie für schuldig zu erklären; erschienen sie ihnen dagegen als unschuldig, so hätten sie das Recht, sie für unschuldig zu erklären.
Als er ihnen dann aber noch auseinandersetzen wollte, daß sie, wenn sie eine der vorgelegten Fragen bejahten, auch die sämtlichen vorgelegten Fragen bejahen müßten, wenn sie aber nur einen Teil der oder jener Fragen bejahen wollten, sie dieselben sorgsam erläutern müßten, kam ihm der Gedanke, auf die Uhr zu sehen, und er bemerkte erschrocken, daß es schon 3 Uhr 5 Minuten war. Deshalb beeilte er sich, zum Kern der Sache zu kommen, und wiederholte noch einmal, was die Verteidiger, der Staatsanwalt und die Zeugen schon so oft gesagt hatten.
Während der Präsident sprach, sahen die beiden Beisitzer heimlich nach der Uhr und fanden, daß die Rede ein bißchen lang, aber doch vortrefflich, d. h. so wie sie sein mußte, war. Das war auch die Ansicht des Staatsanwalts, des ganzen Gerichtspersonals und sämtlicher Anwesenden.
Der Präsident hatte alles gesagt, was zu sagen war, doch er konnte sich noch immer nicht zum Schlusse entschließen, mit so großem Vergnügen hörte er die einschmeichelnden Laute seiner Stimme, und darum hielt er es für angemessen, den Geschworenen über die Bedeutung des Rechts, das das Gesetz ihnen einräumte, über die Weisheit und den Scharfsinn, mit dem sie sich dieses Rechts bedienen sollten, noch einige Worte zu sagen. Er sagte ihnen, sie wären das Gewissen der Gesellschaft, das Geheimnis ihrer Beratungen müsse gewahrt bleiben u. s. w. u. s. w.
Von dem Augenblick an, da der Präsident zu sprechen angefangen, hielt die Maslow die Augen auf ihn gerichtet, als fürchte sie, auch nur ein einziges seiner Worte zu verlieren. So konnte sie auch Nechludoff lange betrachten, ohne fürchten zu müssen, ihrem Blicke zu begegnen. Und er fühlte, wie das in ihm vorging, was bei jedem von uns vorgeht, wenn wir nach Jahren ein uns früher vertrautes Gesicht wiedersehen. Zuerst war er von den eingetretenen Veränderungen betroffen, doch nach und nach verwischte sich dieser Eindruck, und das Gesicht wurde wieder, wie es vor zehn Jahren gewesen. Sein geistiges Auge gewann die Oberhand über seine Sinne, und er sah nur noch die Hauptzüge, die die Individualität des jungen Weibes ausdrückten und die keine Veränderung hatte zerstören können.
Ja, trotz der Gefängniskleidung, trotz des stärker gewordenen Körpers, trotz der kräftig entwickelten Brust, trotz des dicken Gesichts, trotz der Runzeln an der Stirn und den Schläfen, trotz der Anschwellung der Lider und des gleichzeitig Mitleid erregenden und schamlosen Gesamteindrucks des Gesichts war es dieselbe Katuscha, die ihn in einer Osternacht mit ihren verliebten, glücklich lächelnden und lebensfreudigen Augen so unschuldig angeblickt!
»Und ein so wunderbarer Zufall! Gerade in der Session, in der ich Geschworener bin, muß dieser Fall zur Verhandlung gelangen, damit ich Katuscha, der ich seit zehn Jahren nie begegnet bin, hier auf der Anklagebank wiedersehe! Und wie wird das alles enden? Ach, wenn es doch überhaupt zu Ende ginge!«
Noch immer gab er nicht dem Gefühl der Reue nach, das sich nach und nach in ihm bildete und immer stärker wurde. Er sah darin nur einen einfachen Zufall, der ohne Störung seines Lebens vorübergehen würde. Und dabei erkannte er doch schon, wie gemein er gehandelt; er hatte die Empfindung, eine mächtige Hand führe ihm mit Gewalt seine Schuld vor; doch er wollte die wahre Bedeutung seiner That noch immer nicht sehen, und nicht verstehen, was diese Hand, die ihn vorwärts stieß, von ihm verlangte. Er wollte nicht glauben, daß es sein Werk war, was da vor ihm stand. Doch die unsichtbare Hand hielt ihn, schnürte ihn ein und schon ahnte er, sie würde ihn nicht mehr loslassen.
Er bemühte sich, kräftig zu erscheinen, kreuzte mit behaglicher Miene die Beine, spielte mit seinem Pincenez und behielt eine ruhige und natürliche Haltung bei, als er da in der ersten Zeugenreihe saß. Und dabei kam ihm doch schon während dieser Zeit die ganze Schmach nicht nur seines Verhaltens Katuscha gegenüber, zum Bewußtsein, nein, er erkannte auch die Schmach dieses unnützen, verrohten, boshaften und erbärmlichen Lebens, das er seit zwölf Jahren führte. Und der Vorhang, der ihm bis dahin die Infamie seines Verhaltens Katuscha gegenüber und die ganze Hohlheit seines Lebens verborgen, dieser Vorhang begann sich vor ihm zu lüften und ließ ihn das sehen, was er bis dahin bedeckt hatte.
Endlich beendete der Präsident seine Rede und übergab das Blatt, das die Liste der Fragen enthielt, dem Obmann der Geschworenen. Die Geschworenen erhoben sich und gingen im Gänsemarsch in das Beratungszimmer. Sobald sich die Thür hinter ihnen geschlossen hatte, stellte sich ein Gendarm vor diese Thür, zog seinen Säbel aus der Scheide und stellte sich als Schildwache auf. Auch die Richter erhoben sich und gingen hinaus, und die Angeklagten führte