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Auferstehung. Лев Толстой
Читать онлайн.Название Auferstehung
Год выпуска 0
isbn 9783849624477
Автор произведения Лев Толстой
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
So war er zum Beispiel sehr neugierig, ob Tschembock seine Beziehungen zu Katuscha erraten hätte.
»Also darum hast du plötzlich eine so große Zuneigung zu deinen Tanten gefaßt?« sagte Tschembock, als er das junge Mädchen erblickte, »Ich glaube, an deiner Stelle hätte ich meinen Urlaub auch verlängert; das ist ja eine wahre Schönheit!«
Nechludoff dachte nun, daß es doch eigentlich sehr vorteilhaft für ihn war, jetzt wegfahren zu müssen, denn so konnte er die Beziehungen abbrechen, die er doch nur sehr schwer hätte aufrecht erhalten können. Er dachte ferner daran, daß es seine Pflicht war, Katuscha Geld zu geben, nicht ihretwegen oder um ihr zu Hilfe zu kommen, sondern weil das jeder Ehrenmann unter solchen Umständen thut.
Nach dem Essen erwartete er sie auf dem Korridor, Sie wurde blutrot, als sie ihn erblickte und wollte entfliehen, indem sie auf die halboffenstehende Zimmerthür Matrenas zeigte. Doch er hielt sie am Arm zurück und sagte, während er ihr ein Kouvert, in das er einen Hundertrubelschein gelegt, in die Hand zu stecken versuchte:
»Ich wollte dich um Verzeihung bitten ... da, nimm ...«
Sie betrachtete das Kouvert, runzelte die Stirn und stieß die Hand des jungen Mannes zurück.
»Da nimm,« murmelte er und steckte ihr das Kouvert in das Mieder. Dann zog auch er die Stirn kraus, seufzte, als wenn er sich verletzt hätte, und lief in sein Zimmer, wo er noch lange Zeit auf und nieder ging. Doch was sollte er thun, handelte nicht jeder ebenso? Hatte nicht Tschembock ebenso bei einer Gouvernante gehandelt, die er verführt? Hatte nicht sein Onkel Gregor dasselbe gethan? War nicht sein Vater ebenso verfahren, als ihm eine Bäuerin den natürlichen Sohn schenkte, der jetzt noch lebte? Wenn es alle so trieben, so mußte man eben auch so handeln. Mit solchen Gründen suchte er sich zu beruhigen, ohne daß es ihm aber vollständig gelang. Die Erinnerung an die letzte Zusammenkunft mit Katuscha brannte auf seinem Gewissen. Im tiefsten Grunde seines Herzens fühlte er, daß er so gemein, so häßlich und grausam gehandelt, daß er von jetzt ab nicht nur das Recht verloren, jemanden zu beurteilen, sondern überhaupt einem Menschen ins Gesicht zu sehen. Trotzdem war er gezwungen, sich als einen Mann von Adel, Ehre und Großmut zu betrachten, denn nur um diesen Preis konnte er das Leben, das er führte, fortsetzen. Dazu gab es aber nur ein einziges Mittel; er durfte an das, was er gethan, nicht denken.
Die neue Existenz, die sich ihm eröffnete, das Reisen, die Kameraden, der Krieg machten ihm die Sache leicht, und je mehr Zeit verging, desto mehr vergaß er, so daß er schließlich alles vergessen hatte.
Dennoch schnürte sich ihm das Herz zusammen, als er mehrere Monate nach dem Kriege wieder seine Tanten besuchte und dort erfuhr, Katuscha wäre nicht mehr bei ihnen, hätte das Haus kurz nach seiner Abreise verlassen, ein Kind zur Welt gebracht und wäre nach Aussage der beiden alten Damen vollständig verkommen. Als die Tanten ihm das erzählten, hatten sie hinzugefügt, Katuscha wäre, bevor sie sie verließ, völlig verdorben; sie wäre überhaupt eine lasterhafte und schlechte Natur wie ihre Mutter.
Dieses Urteil von seiten der beiden Tanten gefiel Nechludoff, denn er fühlte sich dadurch gewissermaßen gerechtfertigt und beruhigt. Trotzdem hatte er zuerst die Absicht gehabt, Katuscha und das Kind zu suchen; da ihm aber im Grunde genommen die Erinnerung an sein Benehmen immer noch peinlich war und er sich dessen schämte, so that er die beabsichtigten Schritte nicht, vergaß seine Schuld noch mehr und dachte schließlich gar nicht mehr daran.
Jetzt aber rief ihn ein merkwürdiger Zufall wieder alles ins Gedächtnis zurück und brachte ihm die Selbstsucht, Grausamkeit und Gemeinheit zum Bewußtsein, die es ihm ermöglicht hatten, mit einem solchen Verbrechen auf der Seele neun Jahre lang ruhig zu leben. Doch noch war ihm das Bewußtsein seiner Unwürdigkeit durchaus nicht klar geworden, und in diesem Augenblick dachte er nur an die Mittel, einer Entdeckung vorzubeugen, damit Katuscha und ihr Verteidiger ihn in den Augen aller andern nicht bloßstellen konnten.
Sechstes Kapitel
In dieser Gemütsverfassung befand sich Nechludoff, während er im Geschworenenzimmer die Wiederaufnahme der Sitzung erwartete. Er sah am Fenster, hörte kaum auf die Unterhaltungen seiner Kollegen und rauchte unaufhörlich Cigaretten.
Der Obmann der Geschworenen gab Erklärungen ab, aus denen man schließen konnte, der ganze Knotenpunkt der Sache ruhe auf den gerichtlichen Sachverständigen. Peter Gerassimowitsch scherzte mit dem jüdischen Kommis, und alle beide lachten laut.
Als der Gerichtsdiener mit seinem hüpfenden Gange in das Zimmer trat, um die Geschworenen wieder hereinzurufen, empfand Nechludoff ein Gefühl der Angst, als sollte er nicht urteilen, sondern abgeurteilt werden. Im Grunde seines Herzens war er sich jetzt klar, daß er ein erbärmlicher Mensch war, der den andern nicht ins Gesicht sehen durfte. Trotzdem war die Kraft der Gewohnheit so stark in ihm, daß er mit dem sichersten Schritte wieder auf die Estrade stieg und seinen Sessel in der ersten Reihe, ganz in der Nähe des Präsidenten, wieder einnahm; darauf kreuzte er ruhig seine Beine und fing an, mit seinem Pincenez zu spielen. Auch die Angeklagten waren aus dem Saale geführt worden, und wurden jetzt wieder hereingebracht.
Neue Gestalten erschienen auf der Estrade; das waren die Zeugen; Nechludoff bemerkte, daß Katuscha eifrige Blicke aus eine dicke, in Samt und Seide gekleidete Dame warf, die einen großen Hut mit riesigen Bändern trug. Diese Dame saß in der ersten Zeugenreihe und hielt einen höchst eleganten Beutel in der Hand. Das war, wie Nechludoff bald darauf erfuhr, die Wirtin des öffentlichen Hauses, in welchem die Maslow arbeitete.
Man nahm nun den Zeugenaufruf vor und fragte dieselben nach ihrer Religion, Vornamen, Namen und so weiter und so weiter. Als man sie dann gefragt, ob sie unter ihrem Eide oder nicht vernommen werden wollten, erschien der alte Pope mit mühsamen Schritten wieder auf der Estrade; von neuem wandte sich der Greis, indem er das auf seiner Brust hängende Kreuz tätschelte, dem Kruzifix zu, wo er den Zeugen und den Sachverständigen den Eid abnahm, immer mit derselben Ruhe und in derselben Ueberzeugung, er übe eine ungeheuer ernste und nützliche Thätigkeit aus.
Als diese Ceremonie beendet war, ließ der Präsident alle Zeugen hinausgehen, mit Ausnahme der dicken Dame, einer Frau Kitajeff, welche aufgefordert wurde, alles zu sagen, was sie über die Vergiftungsgeschichte wüßte. Mit affektiertem Lachen, wahrend sie den Kopf bei jedem Satze hin- und herwiegte, erzählte die Dame mit stark ausgesprochen deutschem Accent sorgfältig und ausführlich, wie der reiche sibirische Kaufmann Smjelkoff zum erstenmal in ihr Haus gekommen war, und wie er schließlich, weil er nicht genügend Geld bei sich hatte, die »Lubka« in das Hotel geschickt, in welchem er wohnte.
»Möchte die Zeugin uns ihre Meinung über die Maslow sagen?« fragte der Verteidiger der letzteren, ein junger Mann, der sich dem Beamtenstande zuwenden wollte, und den das Gericht zum Offizialverteidiger der Angeklagten bestimmt, die Frau Kitajeff.
»Meine Meinung über sie ist die denkbar beste,« versetzte Frau Kitajeff. »Sie ist eine junge Person von ausgezeichneten Manieren, die viel »Chik« besitzt, ist in einer vornehmen Familie erzogen worden und kann sogar französisch. Sie trank wohl manchmal ein bißchen zu viel, hat sich aber nie eine einzige Minute vergessen.«
Katuscha sah Frau Kitajeff noch immer an, richtete die Blicke dann auf die Geschworenen, besonders auf Nechludoff, der in demselben Augenblick einen ernsten, fast strengen Ausdruck annahm. Lange Zeit blieben diese beiden Augen mit ihrem seltsamen Ausdruck auf Nechludoff gerichtet, und trotz seines Entsetzens konnte er die seinigen nicht von ihnen abwenden. Er dachte wieder an jene für sein Leben ausschlaggebende Nacht, an das Krachen des Eises auf dem Flusse, den Nebel und den abnehmenden Mond, der gegen Morgen aufgegangen war und etwas Düsteres