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hörte sie Patricks Vater sagen. »Ich bin sicher, Sie… du wirst Patrick eine gute Mutter sein.«

      Da schlug sie die Augen zu ihm auf. Ihre Blicke versanken ineinander, und in Patricks glückliches, unbeschwertes Lachen hinein bat Ingo: »Bitte, bleib bei mir und Patrick!«

      Susanne konnte nur nicken. Der Kloß in ihrem Hals war zu groß. Ihre Augen jedoch strahlten und waren Ingo Antwort genug.

Ein Chefarzt hat keinen Urlaub

      »Verehrter Schwiegervater, ich möchte ja gern noch ein wenig mit dir plaudern, aber der Dienst ruft.« Dr. Alexander Mertens erhob sich vom Frühstückstisch, an dem er gemeinsam mit seiner Frau Astrid und deren Vater, Dr. Hendrik Lindau, Chefarzt der Klinik am See, das Frühstück eingenommen hatte. »Ich muß mich schleunigst um den Jungen kümmern, der gestern abend eingeliefert wurde.«

      »Hast du schon eine Diagnose?« fragte Dr. Lindau interessiert.

      »Sie steht noch nicht hundertprozentig fest, aber ich fürchte, daß der Kleine eine Hirnhautentzündung hat«, antwortete der Kinderarzt. »Ich will nachher gleich zusammen mit Frau Dr. Westphal eine diagnosebestimmende Untersuchung vornehmen.«

      »Tu das, denn es ist ja wichtig, herauszufinden, ob die Ursache Viren oder Bakterien sind«, meinte Dr. Lindau. »Ich würde dir außerdem raten, daß…«

      »Paps, nun ist es aber genug«, wurde Dr. Lindau von seiner Tochter Astrid unterbrochen. Um die Lippen der Kinderärztin huschte ein Lächeln. »Du scheinst vergessen zu haben, daß du bereits seit einer Stunde im Urlaub bist und mit der Klinik und den Pa­tienten nichts mehr im Sinn haben sollst. Jedenfalls gilt das für die kommenden zwei Wochen.«

      »Ja, ja, ist schon gut, Mädchen«, gab Dr. Lindau schmunzelnd zurück. »Aber ich kann nicht über meinen Schatten springen«, fuhr er fort. »Ich bin eben Arzt und werde das immer sein und mich immer als solcher fühlen – auch außerhalb der Klinik.«

      »Meinetwegen, Paps«, entgegnete Astrid. »Nur – jetzt solltest du aber für die kommenden Tage etwas mehr an dich, an deine Gesundheit und an deine Erholung denken. Genieße die Urlaubstage!«

      Dr. Lindau seufzte verhalten. »Ich muß dir gestehen, Astrid, daß es mir gar nicht so leicht fällt, jetzt zum Gardasee zu fahren und dort zu faulenzen«, erwiderte er. »Am liebsten würde ich mit Alexander in die Klinik fahren.«

      »Das fehlte gerade noch«, entrüstete sich Astrid. »Es hat mich genug Mühe gekostet, dich dazu zu bringen, einmal Urlaub zu machen, den du wirklich nötig hast.«

      »Da muß ich Astrid voll und ganz beipflichten«, warf Alexander Mertens ein und lächelte.

      Astrid und ihr Vater hörten ihn wenig später vom Doktorhaus abfahren.

      »Tja, ich werde mich jetzt auch zur Abfahrt fertigmachen«, ergriff Dr. Lindau das Wort, als er mit seiner Tochter allein war. »Zuerst will ich mich aber von meinem Enkel verabschieden. Wo ist er eigentlich?« fragte er.

      »Stefan schläft sicher noch«, erwiderte Astrid. »Komm, wir sehen mal nach!«

      Dr. Lindau folgte seiner Tochter in das kleine Kinderzimmer, das direkt neben dem Schlafzimmer des jungen Paares war.

      Astrid hatte recht – der kleine pausbäckige Junge schlief tatsächlich noch. »Ich werde ihn wecken, denn er muß ohnehin gleich sein Essen bekommen«, sagte sie und machte Anstalten, ihr Kind aus dem Bettchen zu holen.

      »Nein, nein«, wehrte Dr. Lindau ab. »Laß ihn schlafen, bis er von allein aufwacht.« Still betrachtete er seinen Enkel und wandte sich dann ab. »Er wird einmal ein Prachtkerl werden«, sagte er wenig später zu seiner Tochter, als er im Flur mit ihr stand und sich nun auch von ihr verabschiedete. »Vielleicht wird er auch Arzt«, murmelte er.

      »Vielleicht«, meinte Astrid. »Warten wir es ab.« Zärtlich umarmte sie ihren Vater. »Schreib einmal, Paps«, flüsterte sie.

      *

      Obwohl Dr. Lindau gerade erst vierundzwanzig Stunden von der Klinik am See fort war und am Gardasee seinen Urlaub begonnen hatte, machte sich in der Klinik unter den Ärzten und unter dem übrigen Personal eine merkwürdige Stimmung breit. Allen fehlte etwas – der Chefarzt nämlich. Obwohl der Dienstbetrieb reibungslos und ohne jegliche Komplikationen weiterging, vermißten viele doch den Chefarzt, der sonst überall gegenwärtig war, der eben irgendwie zum fe­sten Bestandteil dieser Klinik geworden war. Es war natürlich nicht etwa so, daß Dr. Lindau als unersetzbar angesehen wurde – am allerwenigsten nahm er selbst dieses Privileg für sich in Anspruch –, aber es fehlte eben seine An- und Aussprache zu und mit den Ärzten, mit den Schwestern, und nicht zuletzt auch die freundlichen, aufmunternden und tröstenden Worte, die er stets für die Patientinnen übrig hatte. Es war gewiß nicht so, daß sich die einliegenden Frauen mit den übrigen Ärzten nicht verstanden. Nein, das war es nicht. Im Grunde genommen standen sie alle in gutem Ansehen – ob das nun Dr. Hoff war oder Dr. Reichel, Dr. Bernau, Dr. Köhler und auch Frau Dr. Westphal, die während der Abwesenheit des Chefarztes das Kommando führte. Doch alle waren sich darin einig, daß Dr. Lindau eben die Seele der Klinik war, der mit Ruhe, Verständnis und sicherem Gefühl die Geschicke der Klinik und der darin liegenden Patienten leitete.

      Einen gab es aber, der geradezu unter der Abwesenheit Dr. Lindaus litt – Marga Stäuber, die Sekretärin und rechte Hand des Chefarztes gewissermaßen. Sie tröstete sich aber damit, daß ihr Doktor ja in zwölf Tagen zurück sein würde. Das gab sie auch unumwunden der Ärztin zu verstehen, als diese am zweiten Tag nach Dr. Lindaus Abwesenheit sich um die Wartezimmerpatienten – es waren diesmal nur zwei – kümmerte.

      »Sie mögen den Chefarzt wohl sehr, Frau Stäuber?« fragte die derzeitige Klinikleiterin und lächelte. Sie stand vor dem Schreibtisch der Sekretärin. Im Wartezimmer war niemand mehr, und sie wollte sich wieder hinauf zur Station begeben.

      »Das kann man laut sagen«, gab Marga Stäuber im Brustton der Überzeugung zurück. Eine leichte Verlegenheitsröte überzog ihr rundliches Gesicht. »Ich kann Sie aber auch ganz gut leiden, Frau Doktor«, fügte sie mit verhaltener Stimme hinzu.

      Die Ärztin schmunzelte. »Das beruhigt mich ja«, meinte sie. »Ich stimme Thnen aber gern zu – unser Chefarzt ist wirklich nicht leicht zu ersetzen.«

      »Da haben Sie recht, Frau Doktor«, pflichtete Marga Stäuber der sympathischen Ärztin lebhaft bei. »Weder als Arzt noch als Mensch. Er ist einfach einmalig.«

      »Da sind wir uns einig, Frau Stäuber.« Die Ärztin sah zur Uhr. »Ich muß jetzt rauf«, sagte sie. »Wenn etwas ist, wissen Sie ja, wo ich zu erreichen…« Sie unterbrach sich, weil sich in diesem Augenblick das Telefon auf dem Schreibtisch der Sekretärin meldete und Margar Stäuber abhob.

      »Ja, bitte? Klinik am See…«

      Die Sekretärin lauschte einige Sekunden und winkte dann der Ärztin, die gerade den Raum verlassen wollte. Sie deckte den Hörer mit der Hand zu und rief ihr verhalten zu: »Frau Hofstätter möchte gern morgen einen Termin haben, Frau Doktor.«

      Anja Westphal drehte sich um. »Morgen nicht«, erklärte sie. »Wir haben doch bekanntgegeben, daß wäh­rend der Abwesenheit von Dr. Lindau nur zweimal in der Woche eine Konsultation stattfindet – es sei denn, es handelt sich um einen akuten Fall. Sagen Sie also, daß die Dame erst in drei Tagen kommen kann.« Fragend sah sie die Sekretärin an. »Oder ist es etwas Dringendes?« wollte sie wissen.

      Die Sekretärin zuckte mit den Schultern. »Das hat sie nicht gesagt«, erklärte sie.

      »Also dann – in drei Tagen«, gab die Ärztin zurück.

      »Frau Doktor…« Wieder deckte Marga Stäuber den Hörer mit der Hand ab. »Es handelt sich um die Frau unseres neuen Bürgermeisters«, rief sie. »Ich meine, daß wir da schon eine Ausnahme machen sollten.«

      In die Augen der Ärztin trat ein interessierter und gleichermaßen wachsamer Ausdruck. »Die Frau des

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