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KHAOS. Lin Rina
Читать онлайн.Название KHAOS
Год выпуска 0
isbn 9783959914208
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, wie Boz es wohl anstellen wollte, diese genetisch hochgezüchteten Menschen für seine Zwecke zu nutzen, wo sie doch nach seinen Angaben nicht zu kontrollieren waren. Doch dass er vorhatte, ihnen einfach ihren freien Willen zu nehmen, schockierte mich.
Sumpfsauger waren eine der wenigen Tierarten, die es auf diesem Planeten gab. Sie lebten in den schwefeligen Sumpflöchern, die man in den unterirdischen Höhlen fand. Glibberig, von der Größe eines Fingers und mit stacheligen Tentakeln am vorderen Ende, fristeten sie blind und taub ihr Dasein und waren doch der Grund, wieso es für die Wüstenclans so schwer war, an Wasser zu gelangen. Denn mit diesen Monstern wollte man nicht in Kontakt kommen. Einmal an der Haut festgesaugt, war es beinahe unmöglich, sie wieder loszuwerden. Sie krochen einem über den Körper und setzten sich an die Hauptschlagadern, um einem ihre Tentakeln ins Fleisch zu graben und dadurch zu vergiften.
Und wenn man wirklich Pech hatte, dann fanden sie ihren Weg in den Nacken und schoben einem ihre grässlichen Nadeln in den Hirnstamm. Jeder, dem so etwas passierte, verlor als Erstes die Fähigkeit, frei zu denken und Dinge selbst zu entscheiden. Man wurde leicht zu beeinflussen, doch diese Möglichkeit der Kontrolle war nicht von langer Dauer.
Die Sumpfsauger ernährten sich von den Hirnsäften und pumpten dafür ihr Gift in den Organismus zurück. Sie verursachten Wahnsinn, Schmerzen und töteten ihren Wirt schlussendlich, wenn dieser das in seiner Verzweiflung nicht selbst schon vorher übernahm.
Ich hatte gesehen, was das mit einer Seele anstellte. Der Wahnsinn riss sie in Stücke, teilte sie so grausam, dass ich mich damals beim Zusehen hatte übergeben müssen. Es war die schlimmste Art zu sterben, die ich je hatte mit ansehen müssen. Eine Folter bis zum letzten Augenblick.
Ich schluckte hart, riss mich jedoch zusammen, um nicht das Gesicht zu verziehen. Nickend senkte ich den Blick zu Boden, entfernte mich von Boz und ging zu der Kryokapsel, auf die er gezeigt hatte.
Darin befand sich ein Mann. Blondes kurzes Haar, einen grimmigen Zug auf den schmalen Lippen. Sein Kiefer war breit, seine Stirn kurz, mit ausdrucksstarken Augenbrauen. Sein Hals war dick und sehnig und ging in muskelbepackte Schultern über. Kein Wunder, dass Boz ihn haben wollte. Er sah aus wie ein skrupelloser Schlächter. Und doch zeigten seine gerade Nase und seine makellose Haut einen königlichen Stolz. Er würde sich niemals freiwillig jemandem wie Boz unterwerfen.
Ich zog mich in mein Loch in der Wand zurück, wickelte mich in eine Decke ein und wartete darauf, dass das Kommen und Gehen der Männer draußen endete.
Boz lachte laut, verkündete, dass dies ihren Schlüssel zum Sieg bedeutete und dass es ein Glück war, dass ich mich wie ein feiges Gaq’krl benahm, das sich in Löchern verkroch und ihnen so den direkten Weg ins Eldorado gezeigt hatte.
Ich hatte keine Ahnung, was Eldorado bedeuten sollte. Aber es schien etwas Wertvolles zu sein. Und ich ärgerte mich, dass ich an alldem schuld war.
Drei Tage hatte Boz mir gegeben und ich wusste nicht weiter. Zum einen, weil ich keine Geräte hatte, zum anderen, weil ich nicht gewillt war, diese Menschen einem so grausamen Schicksal zuzuführen. Es wäre besser für sie, in Gleichgültigkeit zu vegetieren, als an einer zerfetzten Seele zu sterben.
Obwohl ich todmüde war, konnte ich nicht einschlafen. Die glimmenden Funken so nah bei mir zu haben, machte mich nervös und meine Gedanken hörten nicht auf, sich zu drehen. Ich zählte die Seelen durch, überprüfte die Zahl zweimal und kam auf dreiundzwanzig. Dreiundzwanzig schlafende Seelen.
Ich seufzte. Eine kurze Kontrolle ins untere Stockwerk zeigte mir, dass man beschlossen hatte, etwas zu essen und sich beinahe alle unten im Speisesaal versammelten.
Es fehlten nur wenige. Erikson und Nefrot zum Beispiel. Und noch vier weitere, die draußen patrouillierten.
Auch wenn ich wusste, dass es wahrscheinlich dumm war, schnappte ich mir mein Waschtuch, ein Stück Seife und ein paar saubere Kleidungsstücke und schlich mich in die Waschräume.
Ich beeilte mich, obwohl das wüstenwarme Wasser wie Balsam für meine überspannten Muskeln war, und eilte mit nassen Locken zurück in meine Krankenstation. Kurz schreckte ich zusammen, als mir dreiundzwanzig glimmende Seelen entgegenblinzelten.
Nachdem ich mein Zeug ins Loch in der Wand gestopft hatte, lehnte ich mich daneben an und starrte auf die Kapseln. Mein Leben hing wahrscheinlich davon ab, diese Menschen in den Tod zu führen.
Ich musste nicht einmal wirklich danach suchen, sondern erkannte seine Seele sofort. Selbst wenn sie genauso gleichmütig war wie die der anderen.
Seine Kapsel stand weiter vorne, obenauf, und ich kletterte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, über die anderen hinweg, um zu ihm zu gelangen.
Die feinen Züge seines Gesichtes trafen mich wieder wie eine Schockwelle und ich legte mich vorsichtig auf den Deckel, das Kinn in die Hände gestützt. Wieder betrachtete ich ihn und genoss die eigenartigen Gefühle, die sich dabei in meinem Bauch bildeten.
Welche Augenfarbe er wohl hatte? Und wie es wohl wäre, in seine Seele zu schauen?
Sofort schloss ich die Augen und konzentrierte mich ganz auf ihn. Ich blendete alle Funken um mich herum aus, strengte mich an, die äußere glimmende Schicht zu durchdringen, um mich zur nächsten vorzutasten.
Die Ruhe, die mich empfing, war beinahe so vollkommen, dass es mir Mühe bereitete, überhaupt irgendeine Regung zu finden.
Langsam tastete ich mich weiter in die Tiefe, ließ mich selbst ein wenig mehr los und öffnete den Blick für das Innere eines anderen. Denn auch im Kryoschlaf blieb ein Mensch der Mensch, der er nun einmal war, auch wenn es keine nennenswerten Gehirnaktivitäten gab.
Das Innerste war das Wichtigste, der Kern einer Persönlichkeit, die Parameter, die das Handeln bestimmten.
Ich fand zwei Dinge im Innersten des Mannes mit dem schönen Gesicht: abgrundtiefen Hass und überwältigende Liebe.
Erschrocken zuckte ich nach hinten, schnellte in meinen eigenen Körper zurück und fiel keuchend vom Deckel der Kapsel. Schweiß stand mir auf der Stirn und mein Puls raste. Wenn ich nicht aufpasste, wäre der nächste Anfall nicht weit.
Doch vielmehr beschäftigte mich, was ich gesehen hatte. Hass und Liebe. Das war ungewöhnlich. In den meisten Menschen, bei denen ich mich bisher getraut hatte, in ihr Innerstes zu sehen, war das Streben nach Macht am häufigsten vorgekommen. Geltungssucht hatte ich gesehen, die Freude an Grausamkeit und auch Hass.
Doch nur in meiner Mutter hatte ich Liebe gesehen. Für mich.
Beides zusammen in dieser Kombination war mir noch nicht untergekommen. Vor allem nicht so stark vertreten, dass es mich wie ein Schlag getroffen hatte.
Wem galt all der Hass? Und diese Liebe? Die Neugierde packte mich und ich wusste, dass ich, so wie es gerade stand, leider nicht mehr herausfinden konnte. Außer ich schaffte es, die Gefühle weiter an die Oberfläche zu locken. Was nur möglich war, wenn ich ihn aufweckte.
Ächzend zog ich mich wieder auf die Füße.
Hatte ich überhaupt eine Wahl, außer zu tun, was Boz mir befohlen hatte? Na ja, außer zu sterben natürlich. Ich wollte nicht wirklich umgebracht werden, aber ich wollte genauso wenig daran schuld sein, dass jemand mit einem Sumpfsauger infiziert wurde.
Laut seufzend wuschelte ich mir durch die Haare und versuchte, beides miteinander zu vereinen.
Was, wenn ich sie aufweckte und ihnen dann erzählte, was Boz mit ihnen vorhatte? Vielleicht würden sie sich auch so auf seine Seite schlagen. Vielleicht aber auch nicht, und ich hätte nicht nur Verrat begangen, sondern würde auch noch eine riesige Katastrophe auslösen. Oder unser aller Tod riskieren.
Doch meiner lag ohnehin nicht mehr weit entfernt. Ob es nun meine Krankheit war, Boz oder die Fremden in den Kryokapseln.