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begriff nicht, wie ernst es ihr damit war. Der Film verwirrte ihn. Immer noch versuchte er seine Finger zwischen Tillas weiche, warme Schenkel zu schieben.

      Sie presste die Knie wütend zusammen. Habe ich das nötig?, fragte sie sich. Muss ich mir diese stumpfsinnigen „Lippenbekenntnisse“ bis zum Schluss ansehen und riskieren, dass mir Elmar in seiner Verrücktheit Gewalt antut?

      Sie gab ihm eine Ohrfeige, die stärker ausfiel, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Im ganzen Kinosaal war sie zu hören, und die Zuschauer drehten sich um.

      Tilla war das egal. Sie sprang auf, tänzelte seitwärts gehend durch die Reihe und eilte zum Ausgang.

      Zornig stieß sie die gepolsterte Tür auf, lief einen schwach beleuchteten Gang entlang und ein paar Stufen hoch. Wieder musste sie eine Tür öffnen.

      Diesmal war sie aus Glas, und dann wehte ihr eine kühle Abendbrise ins erhitzte Gesicht. Sie sah die ausgestellten Kinobilder und las, was auf dem Filmplakat stand.

      Wo andere Filme aufhören, fängt ,Lippenbekenntnisse' an!

      Erotisch! Frech! Beeindruckend! Dieser Film geht unter die Haut! Er regt zum Nachahmen an! Deshalb sollten Sie ihn sich auf keinen Fall allein ansehen!

      Gott, warum hatte sie das alles nicht vorher gelesen? Dann wäre ihr einiges an Ärger erspart geblieben.

      Wahrscheinlich tat es Elmar jetzt schon leid, dass er sich nicht hatte beherrschen können. Er würde das Kino ebenfalls verlassen und ihr nachlaufen wollen.

      Welche Richtung sie einschlagen musste, um nach Hause zu kommen, wusste er. Da Tilla sich von ihm aber nicht einholen lassen wollte, ging sie in die andere Richtung.

      Kurz bevor sie um die Ecke bog, sah sie sich um und erblickte Elmar. Er wirkte schuldbewusst und eilte die Straße hinunter. Tilla versuchte vorherzusehen, was Elmar weiter tun würde. .

      Er würde versuchen, mit ihr zu reden, ihr alles zu erklären, doch sie wollte nichts hören. Wenn er sie zu Hause nicht antraf, würde er vor dem Haus, in dem sie wohnte, warten.

      Die junge Frau suchte ein Lokal auf, das man auch allein betreten konnte, ohne dass gleich angenommen wurde, man wäre darauf aus, eine Bekanntschaft zu machen.

      Sie trank Tee mit Zitrone, blätterte mehrere Illustrierte durch, und als zwei Stunden um waren, machte sie sich auf den Heimweg. Wenn sie Glück hatte, stand Elmar nun nicht mehr vor ihrem Haus.

      Vorsichtig lugte sie um die Ecke und atmete erleichtert auf, als sie feststellte, dass die Luft rein war. Rasch überquerte sie die Straße, schloss das Haustor auf und trat ein.

      In ihrer kleinen Wohnung legte sie die Handtasche auf die Garderobenablage und schlüpfte aus den hochhackigen Schuhen, die sie erst vor zwei Wochen gekauft hatte.

      Ihre Füße schmerzten. Sie hatten sich an die neuen Schuhe noch nicht gewöhnt und empfanden es als Wohltat, in die bequemen Hausschuhe schlüpfen zu dürfen.

      Tilla Deltgen betrachtete sich im Garderobenspiegel. Sie hatte ein sehr apartes Gesicht, das von lockigem Goldhaar umrahmt war, und wunderschöne blaue Augen, und jemand hatte einmal zu ihr gesagt, sie sehe aus wie ein Engel.

      Nun, dieser Engel war ein recht lebenslustiges Persönchen, knapp zwanzig und fast immer guter Laune. Tilla hatte viele Freunde und gute Bekannte in Bergesfelden, und alle hatten sie gern.

      Zu gern, in Elmar Spiras Fall.

      Das Telefon läutete. Tilla zuckte zusammen. Sie begab sich ins Wohnzimmer und blickte unschlüssig auf den sandfarbenen Tastenapparat. Sollte sie abheben?

      Das war bestimmt Elmar, und sie hatte kein Verlangen danach, sich von ihm das Ohr volljammern zu lassen, aber Elmar Spira war sehr hartnäckig.

      Er würde die ganze Nacht anrufen. Wenn sie Wert auf einen ungestörten Schlaf legte, musste sie sich jetzt melden, oder ein großes Daunenkissen auf das Telefon legen.

      Tilla entschloss sich, dem Mann die Möglichkeit zu bieten, sich zu entschuldigen, damit auch er ruhig schlafen konnte. Rasch ergriff sie den Hörer und meldete sich mit einem kühlen, unpersönlichen „Hallo!“

      „Tilla, ich bin es“, kam Elmars zerknirschte Stimme durch die Leitung. „Bitte leg’ nicht auf.“

      „Hast du inzwischen eine kalte Dusche genommen?“

      „Die kalte Dusche war deine Ohrfeige“, gestand Elmar. „Was vorgefallen ist, tut mir schrecklich leid, Tilla. Du hattest vollkommen recht, mich zu ohrfeigen. Ich hab’s verdient. Der Schlag ins Gesicht hat mir den Kopf wieder zurechtgerückt. Ich weiß nicht, was in mich fuhr... Dieser Film ... Was ich sah, ging mir irgendwie unter die Haut... Es erregte mich ... Kannst du das verstehen? Ich dachte, du würdest genauso empfinden. Ich dachte ... Ach, ich dachte eigentlich überhaupt nichts. Mein Blut geriet in Wallung. Ich verlor den Kopf. Ich war wirklich nicht bei Sinnen, Tilla. Die zeigen einem auf der Leinwand soviel vor ... Und da sitzt eine Frau neben einem, die man gern hat, die man schon seit langem begehrt. Ich hielt das plötzlich nicht mehr aus, still neben dir zu sitzen. Ich wollte... Ich nahm an, du wolltest es auch ... Bitte verzeih mir meinen Irrtum.“

      Tilla war kein nachtragender Mensch. Ihr Zorn war inzwischen verraucht, deshalb sagte sie: „Also gut, ich nehme deine Entschuldigung an, Elmar.“

      „Wirklich?“ Es klang wie ein Freudenschrei. „Du... du bist mir nicht mehr böse?“

      „Wir wollen die Angelegenheit vergessen“, sagte die junge Frau versöhnlich.

      Elmar lachte. „Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

      „Aber einen solchen Film sehe ich mir mit dir nicht mehr an“, bemerkte Tilla. „Das belastet zu sehr unsere Freundschaft.“

      „Du bist mir nicht mehr böse!“, rief Elmar. „Du weißt nicht, wie glücklich du mich damit machst.“

      „Gute Nacht, Elmar“, sagte Tilla. „Warte!“, rief er hastig. „Nur noch einen Augenblick. Ich muss dir noch etwas sehr Wichtiges sagen. Ich habe im Kino gesagt, dass ich dich liebe, und das stimmt. Ich möchte dich nicht erschrecken, Tilla, aber... ich bin verrückt nach dir. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Ich brauche dich. Ich kann ohne dich nicht leben. Ich werde warten, wie ich es versprochen habe. Ich werde dich nicht drängen. Mir genügt deine Freundschaft. Es ist für mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn ich mit dir zusammen sein darf. Du bekommst von mir die Zeit, die du brauchst, um für die Liebe bereit zu sein. Es macht mir nichts aus, zu warten. So etwas wie heute Abend wird ganz bestimmt nicht noch mal passieren. Das war es, was ich dir sagen wollte. Und nun ... Schlafe gut. Ich werde von dir träumen. Ich träume fast jede Nacht von dir, und wenn ich erwache, bin ich immer sehr glücklich. Ich bin nur ein kleiner Aushilfslehrer. Mit meinem Gehalt kann man keine großen Sprünge machen, aber glaube nicht, dass ich dir nichts bieten kann. Ich habe eine Erbschaft in Aussicht.“

      „Ich bin an Geld nicht interessiert, Elmar“, sagte Tilla Deltgen. „Ich finde, darauf lässt sich keine dauerhafte Beziehung aufbauen.“

      „Ich würde dich gern mit Geschenken überhäufen“, sagte der junge Mann. „Eines Tages werde ich dazu in der Lage sein. Gute Nacht, Tilla.“

      „Gute Nacht“, erwiderte die blonde Frau und legte auf.

      Warum hatte er die Erbschaft erwähnt? Damit sie sich mehr zu ihm hingezogen fühlte? Auf manche Frau mochte Geld anziehend wirken. Tilla gehörte nicht dazu.

      Für sie gab es andere Werte im Leben.

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