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sind das hübsche Mädchen aus dem Silbernen Bein.“ Er zwinkerte ihr zu. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis Sie bei mir auftauchen.“

      Sie zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie kommen Sie darauf?“

      „Weil du neugierig bist.“ Er duzte sie auf einmal. „Und außerdem irgendwie zur Justiz gehörst. Das habe ich sofort gemerkt. Übrigens halte ich dich für eine Hamburger Deern!“

      ­Melanie verstand zunächst nicht, worauf er hinauswollte, doch plötzlich dämmerte es ihr. Woher konnte er wissen, dass sie bei der Polizei gewesen war? „Waren Sie wirklich früher Staatsanwalt, wie man munkelt? Ich meine, bevor Sie …“

      „Bevor ich Penner wurde“, ergänzte er den Satz grinsend. „Kann sein, vielleicht auch nicht. Die Leute quatschen viel, bis es abends dunkel wird.“ Er zog an seiner Zigarette.

      „So wie Sie?“, provozierte ­Melanie. Auf eine gewisse Art und Weise fand sie ihn sympathisch.

      Der Graf lachte kurz lauthals, wurde dann wieder ernst. „Nein, alles, was ich in der Kneipe gesagt habe, stimmt. Ich hab keine Ahnung, warum du hier bist und was du im Schilde führst.“ Er hob die Hände wie zur Abwehr. „Ich will es nicht wissen. Behalte es für dich und erzähle es am besten niemandem. Dass du hier sitzt und nicht abstreitest, bei der Justiz zu arbeiten, gibt mir Vertrauen.“ Er nahm einen tiefen Zug und begann erneut zu husten.

      Ein merkwürdiger Kauz. Er sprach mit ihr, als kenne er sie schon ewig.

      „Was meinten Sie mit der gefährlichen Umgebung und den Dingen, die hier geschehen?“

      Der Graf lachte trocken. „Du fällst natürlich gleich mit der Tür ins Haus. Gefällt mir! Ich drücke es mal so aus: Mir verschwinden rund um die Kneipe in letzter Zeit zu viele Menschen.“

      ­Melanie setzte zu einer Frage an, doch er hob eine Hand. „Warte einen Moment. Ich will nicht sagen, ­Sabrina könnte etwas damit zu tun haben. Aber sie steht irgendwie im Mittelpunkt. Sie hat es allerdings wirklich nicht einfach.“

      In ­Melanies Bauch breitete sich plötzlich ein Ameisenvolk aus. Endlich schien sie weiterzukommen. „Wer ist denn verschwunden?“

      „Nun, vor zehn Jahren machte sich ihr Onkel vom Acker, der bei ihr im Haus wohnte. Ein schrecklicher Typ. Er hat seine Sachen gepackt und ist abgehauen. Hat die Kleine mit der Wirtschaft allein gelassen. Dann waren da ihre Freunde. Eigentlich nette Typen. Keiner hat es lange ausgehalten und einer nach dem anderen haute über Nacht ab. Schon komisch.“ Er drückte die Zigarette im Kies aus, nahm eine Plastiktüte aus der Jackentasche und steckte die Kippe hinein. Die Tüte wanderte zurück in die Jacke.

      ­Melanie holte ihr Smartphone aus der Hosentasche. „Kennen Sie die Namen der Männer?“

      „Lass mich nachdenken.“ Falls ihn ihre direkte Frage verwunderte, zeigte er es jedenfalls nicht. Stattdessen nannte er ihr zwei Namen und wusste sogar noch, aus welcher Region sie kamen. Sie machte sich Notizen.

      Sie stutzte, als er die Aufzählung beendete. „Das sind alle?“

      Der Graf schlug sich vor die Stirn. „Den letzten hätte ich beinahe vergessen. Ist erst ein paar Monate her. Er hieß Jan Wolter und kam aus Hamburg.“ Er zwinkerte und beugte sich ein wenig vor. „Den musst du dir ja nicht aufschreiben, den kennst du ja schon.“ Erneut lachte er, als habe er einen Witz gemacht.

      Langsam wurde es ­Melanie mulmig. Wie leicht sie der Obdachlose zu durchschauen schien. „Hilft ­Sabrina niemand im Lokal?“

      „Doch, ihre Cousine Katja ist Teilhaberin. Sie ist jedoch oft in der Welt unterwegs, wie derzeit auch. Zudem unterstützt Olli sie ab und zu.“

      ­Melanie überlegte. „Das ist so ein Langhaariger, der vergessen hat, wie alt er ist, oder? Ich meine, wegen seines Äußeren.“

      „Ja, du hast ihn prima beschrieben. Macht ein bisschen auf Rocker. Eigentlich ist er gemütlich.“ Zu ihrer Überraschung nahm er ein Handy aus dem Rucksack und schaute darauf.

      „Mädchen, du musst gehen. Ich erwarte Besuch. Es wäre nicht ratsam, wenn wir zusammen gesehen würden.“ Jetzt neigte er sich weit vor. „Pass auf und mach deinen Job, wie immer der aussieht. Sei vorsichtig mit den Leuten, mit denen du sprichst. Es gibt hier richtig üble Gestalten. Ralf kannst du vertrauen. Der ist okay. Außerdem musst du wissen, dass die Wände Ohren haben und Menschen bisweilen verfolgt werden. Sieh dich also vor. So, und nun hau ab! Geh durch den Park zurück.“ Er zeigte in die entgegengesetzte Richtung zu der, aus der sie gekommen war.

      Sie stand auf und holte aus ihrer Geldbörse einen 50-Euroschein, den sie ihm hinhielt.

      „Was soll das?“, fragte er mit einem Stirnrunzeln.

      „Das, mein lieber Graf, ist ein Zuschuss für einen ehemaligen Fastkollegen.“

      Er nahm das Geld und deutete eine Verbeugung an. Sie hörte ihn noch eine Weile lachen, als sie den Weg geradeaus hinauf zum Schloss ging. Sie hatte es fast erreicht, als eine Frau den Park betrat, in etwa so alt wie sie selbst. Sie war schlank, hatte schulterlange, gelockte Haare und trug ein blaues Kostüm mit einer weißen Bluse und Pumps. Nicht gerade die Kleidung für einen Spaziergang im Schlosspark. Sie folgte dem Weg an der Mauer entlang, der zu Goethes Ruh führte und den ­Melanie vor nicht allzu langer Zeit gegangen war.

      Merkwürdig, dachte sie. Ob das der Besuch war, den der Graf erwartete? Sie interessierte brennend, wer die Dame wohl sein mochte, verwarf jedoch den Gedanken, zurückzugehen.

      Stattdessen schlenderte sie zum Schlossflügel, neben dem eine riesige Libanonzeder stand. Auf einem Schild vor dem Baum las sie, dass die Zeder im Jahr 1822 gepflanzt wurde und ein Geschenk des englischen Königshauses an den damaligen Landgrafen zu dessen Hochzeit war. Das Gehölz hatte seine königliche Ausstrahlung in jedem Fall bewahrt, wie ­Melanie fand.

      Sie durchquerte den Flügel, in dem sich ein Café befand, und gelangte in den Schlosshof mit dem hohen weißen Turm, der ihr bereits von der Stadt aus aufgefallen war. Bald kam sie in die Altstadt und lief in Richtung Hotel, wo sie duschen und sich umziehen wollte.

      Sie sah sich um. Ein undefinierbares Gefühl sagte ihr, dass ihr jemand folgte. Sie konnte allerdings nichts Ungewöhnliches entdecken. Wurde sie wegen der Ratschläge des Obdachlosen plötzlich paranoid?

      Kurz bevor sie den Eingang ihrer Unterkunft erreichte, drehte sie sich abrupt um. Rund fünfzig Meter hinter ihr verschwand ein Mann in einem Hauseingang, sonst war niemand zu sehen. Sie schüttelte den Kopf und betrat das Homburger Haus.

      ***

      Interessant, dachte Timo, der das Gartenhäuschen in Goethes Ruh von Weitem beobachtete. Die Frau, die ihn im Kurpark vermutlich fotografiert hatte, hockte beim Grafen. Sie unterhielten sich offenbar prächtig.

      ­Schüttler hatte ihm nicht nur von dem Besuch in der Gaststätte berichtet, sondern auch vermutet, dass die Frau dort gesessen haben könnte, als er mit ­Sabrina Eskir gesprochen hatte.

      Timo vermochte sich lebhaft vorzustellen, wie die Unterhaltung ausgesehen hatte. Er war stinksauer darüber, dass sein Chef schon wieder einen Alleingang unternommen und damit die Maßnahmen, die er selbst angeleiert hatte, in Gefahr brachte. Schließlich war er zum Schlosspark aufgebrochen, um sich zu beruhigen.

      Jetzt stand sie auf und reichte dem Obdachlosen einen Geldschein. Bezahlte sie ihn für irgendetwas? Für Informationen?

      Die Besucherin hielt fast direkt auf ihn zu, sodass er schnell hinter einen Baum verschwand. Als sie seinen Standort passiert hatte, sah er ihr vorsichtig hinterher. Sie war stehengeblieben, als eine weitere Person den Park betrat.

      Was wollte die denn hier? Er schüttelte den Kopf, als er sah, dass die Dame ebenfalls auf dem Weg zu dem Stadtstreicher zu sein schien. Hatte er heute Besuchstag? Timo hätte hier mit einigen Menschen gerechnet, aber nicht mit Nadine Gissel. Zu gern hätte er gewusst, was sie mit dem Grafen zu tun hatte und überlegte. Dem Bubikopf folgen, um endlich herauszufinden, wer sie war, oder zu erfahren versuchen, was die Redakteurin des Taunusblicks

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