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alles auf eine Karte, weil ihm die Verfolgung durch den möglicherweise leeren Schlosshof zu gewagt erschien. Er spurtete los und rannte durch die Löwengasse Richtung Marktplatz, bog in die Orangeriegasse ein und gelangte heftig schnaufend an den Haupteingang des Schlosses in der Herrngasse. Als er diese hinabsah, sah er die Frau, die ein Stück vor ihm in die Altstadt schlenderte.

      Timo folgte in ungefährlichem Abstand. Plötzlich drehte sie sich um, spazierte dann unbeirrt weiter. Bevor sie das Homburger Haus erreichte, wandte sie sich erneut blitzschnell um. Er hatte das Glück, gerade noch in einen Hauseingang springen zu können. Hoffentlich hatte sie ihn nicht gesehen.

      Er wartete ein paar Minuten, und nahm ein leeres weißes Kuvert aus der Innentasche seines Sakkos, das er zuklebte. Er betrat das Hotel, orientierte sich kurz und lief zielstrebig auf die Rezeption zu. Ein junger Angestellter schaute ihn erwartungsvoll an.

      „Guten Tag.“ Timo zögerte und legte den Umschlag, zusammen mit einem 10-Euroschein, auf den Tresen. „Ich habe ein etwas ungewöhnliches Anliegen. Vorhin hatte ich das Vergnügen, mit der fantastisch aussehenden Dame, die gerade hier reinkam, im Café am Marktplatz zu sitzen. Könnten Sie ihr vielleicht den Briefumschlag aushändigen?“ Er lächelte den Rezeptionisten mit einem verschwörerischen Blick an.

      „Ah, das war bestimmt Frau Gramberg.“ Der Mitarbeiter zwinkerte ihm zu. „Klar, mache ich sofort. Ich kann sie schnell anrufen.“ Er griff zum Hörer.

      Timo hob erschrocken die Hände. „Nein, bloß nicht, dann ist die Überraschung dahin. Bitte sagen Sie ihr nicht, wer das abgegeben hat. Sie soll ein wenig rätseln. Sie verstehen, was ich meine?“ Ein weiterer 10-Euroschein wanderte über den Tresen.

      Der Angestellte verengte die Augen. „Okay, wie Sie wollen.“ Er steckte den zweiten Geldschein ein, nahm einen Stift und schrieb zu Timos Freude Frau ­Melanie Gramberg, Zimmer 212, auf den Umschlag.

      22. April

      ­Melanie saß auf ihrem vertrauten Stuhl in der Erlöserkirche und ließ die Geschehnisse des vergangenen Tages Revue passieren. Wie verblüfft war sie gewesen, als der Hotelangestellte ihr am Abend einen leeren Briefumschlag mit einem verschmitzten Lächeln übergeben hatte. Nach einigem Hin und Her erbarmte sich der nette Herr, den Überbringer zu beschreiben. Der Typ aus dem Kurpark! Da war sie sicher. Was wollte der Kerl von ihr? Viel mehr beunruhigte sie der Umstand, dass er sie kannte und wusste, in welchem Hotel sie übernachtete. Sie musste unbedingt herausfinden, wer ihr neuer Verehrer war!

      Das Treffen mit dem obdachlosen Grafen wertete sie als aufschlussreich. Abgesehen von der Tatsache, dass sie von ihm die Namen von ­Sabrinas Freunden erfahren hatte, kam ihr deren Verschwinden ebenfalls seltsam vor. ­Melanie war nach ihrer Begegnung mit dem Stadtstreicher überzeugt, dass das Gerücht, er sei einmal Staatsanwalt gewesen, stimmte. Gerade das verlieh seinen Beobachtungen Glaubwürdigkeit.

      Sie erhob sich und verließ die Kirche. Vor dem Eingang setzte sie sich auf eine Bank und wählte Fred Spiegels Nummer.

      Wider Erwarten ging er ans Telefon. „Hi, Mel. Was darf ich für die werte Ex-Kollegin tun?“

      „Hallo, Fred. Du könntest ein paar Personen recherchieren und schauen, ob du etwas Ungewöhnliches über sie findest.“

      „Ts, ts, du weißt schon, dass das illegal ist und mich den Job kosten kann, oder?“ Er schnaufte übertrieben.

      „Ach, wer hatte mir noch gesteckt, dass du von oberster Stelle die Anweisung hast, meinen Auftrag zu unterstützen?“ Sie wusste nicht so recht, wie ernst es ihm mit dem Einwand war, wurde jedoch sofort beruhigt.

      „Ja, ja, da will ich mal nicht so sein“, gab er sich gönnerhaft. „Zur Not fange ich bei dir in der Detektei an.“ Es raschelte in der Leitung. „Schieß los, ich hab Papier und Stift.“

      Sie gab ihm die Namen der Gaststättenbesucher, die sie bisher kennengelernt hatte, des Weiteren erzählte sie ihm kurz von Leo Schneider. Schließlich erwähnte sie die merkwürdigen Begegnungen mit dem Herrn aus dem Kurpark, der ihr den Umschlag ins Hotel gebracht hatte.

      „Mel, das gefällt mir nicht“, unterbrach Fred. „Finde heraus, wer das ist. Sei bloß vorsichtig! Es muss einen Grund geben, warum er sich für dich interessiert. Nicht, dass er etwas mit Wolters Verschwinden zu tun hat!“

      „Ich passe schon auf und weiß mich gegebenenfalls zu wehren. Das weißt du.“

      „Mel, deine schwarzen Gürtel nützen dir im Zweifel wenig. Nimm das nicht auf die leichte Schulter! Besorg dir wenigstens eine Waffe.“

      Der schlagartig einsetzende Regen zwang ­Melanie, aufzuspringen und sich in den Kircheneingang zu flüchten.

      „Ich komme auch so zurecht. Trotzdem danke für deine Fürsorge.“ Sie lachte und bemerkte sofort, wie falsch es klang. „Ich kann dir ein Bild von ihm senden“, schob sie schnell nach. „Vielleicht schaust du mal.“

      „Mach das. Hab aber nicht zu viel Hoffnung. Erstens müsste die Gesichtserkennung funktionieren und er zweitens erfasst sein.“

      „Logisch. So, jetzt haben wir noch diesen Architekten Frank ­Schüttler und die Ex-Freunde von ­Sabrina Eskir. Als da wären: Matthias Leber aus Düren und Philipp Heimke aus Michelstadt in Hessen. Check bitte, ob Vermisstenmeldungen vorliegen.“ Sie machte eine winzige Pause. „Du bist übrigens ein Schatz.“

      Er räusperte sich. „Das weiß ich. Dir ist hoffentlich klar, dass ich einen klitzekleinen Job habe. Außerdem bin ich ab morgen bei einem überregionalen Training.“

      Sie grinste. „Ist doch super. Da kannst du es nicht liegen lassen und wirst mir die Ergebnisse heute schicken.“

      Fred pustete in die Leitung. „Ich glaub es nicht. War's das?“

      „Fast, einen weiteren gibt es noch.“ Sie berichtete ihm von dem Grafen und dem Verdacht, dass er früher Staatsanwalt gewesen sein könnte.

      Nach ein paar belanglosen Neckereien legte sie auf. Der Platzregen war vorübergezogen und gleißendes Sonnenlicht bahnte sich seinen Weg durch die Restwolken. Eben typisches Aprilwetter.

      ***

      ­Melanie betrat das Hotelzimmer kurz vor 12 Uhr. Sie zuckte zusammen und plötzlich vibrierten ihre Nerven. Irgendetwas stimmte nicht! Zunächst wusste sie nicht, was sie störte, bis ihr Blick auf den Fußboden fiel. Vor dem Koffergestell glänzte eine unscheinbare Pfütze. Als sei jemand nass hereingekommen und habe an der Stelle eine Weile gestanden.

      Eine heiße Welle durchfuhr sie. Das Zimmermädchen dürfte es kaum gewesen sein, da sie aufgeräumt hatte, während ­Melanie beim Frühstück war.

      Vorsichtig spähte sie ins Badezimmer. Leer. Sie öffnete den Koffer. Trotz ihrem Hang zur Ordnung befanden sich verschiedene Dinge nicht dort, wo sie aus ihrer Sicht hingehörten.

      Zum Glück hatte sie Wolters Unterlagen im Safe verschlossen. Sie hielt kurz inne, nur um mit bangem Gefühl zum Schrank zu eilen. Die Tresortür war verschlossen. Sie entriegelte sie und atmete tief aus. Die Dokumente lagen exakt in derselben Position, in der ­Melanie sie zurückgelassen hatte.

      Schnell überprüfte sie, wo der ungebetene Gast überall gewesen war. Das Bettlaken wirkte an den einigen Stellen nachlässig in den Rahmen gestopft, was nicht zum exzellenten Service des Hotelpersonals passte. Außerdem war eine ohnehin leere Schreibtischschublade nicht vollständig geschlossen. ­Melanie ließ sich in den Sessel fallen. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Wer war eingebrochen und warum?

      Sie stand auf und öffnete die Tür. Am Schloss gab es nicht die geringste Einbruchsspur. Der Eindringling war kein Anfänger! Sie war in der Lage, das zu beurteilen, waren doch die wenigsten Türen ein wirkliches Hindernis für ihre eigenen filigranen Werkzeuge.

      Gedankenverloren verschloss sie die Zimmertür und ging zurück zum Sessel. Es lag auf der Hand, dass das das Werk des Rotbärtigen sein musste, der anscheinend nicht nur herausgefunden hatte, wo sie übernachtete.

      Sie schien ihm auf die Füße

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