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schnell wie möglich zu verduften, wurde trotzdem nichts.

      «Wie riechst du denn?», quietschte Julie hinter mir.

      «Keinen Hunger?», stiess Mutter aus. «Ohne Frühstück gehst du mir nicht aus dem Haus!»

      Innerlich stöhnend setzte ich mich zu Tisch. Von allen Seiten hagelte es Fragen. Nun war ich Iron Man auf der Pressekonferenz, nachdem mit einer Explosion des Konzernreaktors der Bösewicht ausgeschaltet worden ist und der Held seine wahre Identität verrät. Tapfer kaute ich mein Brot.

      «Wirst du krank?», fragte Mutter.

      «Eher liebeskrank», kicherte Julie.

      Wenn es wirklich einen Gott gibt, wozu hat er kleine Schwestern erfunden? Mit einem «Tz» bedeutete Mutter ihr, still zu sein. Doch ich sah, dass sie schmunzelte. Nur Vater verzog keine Miene.

      Der Arbeitstag wollte nicht zu Ende gehen. Kurz vor vier schmierte der Mail-Server ab, und ich fürchtete schon, ich müsse bleiben. Zum Glück hatte niemand Zeit, mir die Ursache des Absturzes zu erklären und schon gar nicht, mich zu instruieren. Mein Boss merkte nicht einmal, dass ich mich davonschlich.

      Auf der Toilette zog ich mich hastig um. In den Hemden, die ich zur Arbeit trug, sah ich echt bescheuert aus. So wollte ich Nicole nicht unter die Augen treten. Lange hatte ich überlegt, was ihr wohl am besten gefallen würde. Schliesslich hatte ich das eingepackt, was ich immer trug: Jeans und ein weisses T-Shirt. Nicht besonders originell, ich weiss, aber besser als ein Fehlgriff.

      Die Fahrt ins Tösstal kostete ein Vermögen, aber das war es mir wert. Obwohl ich die ganze Zeit aus dem Fenster starrte, nahm ich weder die Landschaft noch die Menschen wahr.

      Die meisten Parkplätze der Recyclingfirma waren besetzt, und aus dem Schrottlager hörte ich ein lautes Grollen. Erleichtert, dass ich nicht zu spät war, stellte ich mich in den Schatten eines Baums. Schon kurz darauf verstummte der Lärm. Alle dreissig Sekunden holte ich mein Handy hervor, um auf die Uhr zu schauen. Nur mit Mühe zügelte ich den Drang, auf dem Parkplatz hin- und herzugehen. Ich wollte nicht nervös wirken, doch ich spürte, wie sich der Schweiss unter meinen Achseln sammelte. Unauffällig roch ich an mir. Vom Rasierwasser und dem Deo war nicht mehr viel übrig.

      Um mich abzulenken, malte ich mir Nicoles Reaktion aus: Sie schleppt sich mit letzter Kraft aus dem Gebäude, völlig erledigt von der schweren Arbeit (warum hütet sie eigentlich nicht Kinder wie normale Mädchen?). Sie stolpert, aber dann sieht sie mich. Ein letztes Mal richtet sie sich auf, breitet die Arme aus, ruft meinen Namen, bevor sie erschöpft zusammenbricht. Ich bin rechtzeitig zur Stelle und fange sie auf. Dankbar schmiegt sie sich an mich, während ich sie zur Bushaltestelle trage.

      Leider glaubte ich nicht, dass ich sie so weit tragen könnte. Sie war zwar lang und schmal, aber nicht so wie diese magersüchtigen Models. An ihr war schon was dran. Muskeln, wenn ich das richtig einschätzte. Ausserdem musste ich zugeben, dass das Ganze eher unrealistisch war.

      Der nächste Versuch: Sie schafft es aus eigener Kraft zum Parkplatz. Dann sieht sie mich unter dem Baum, schlägt die Hand vor den Mund und hüpft vor Freude auf und ab. Gemeinsam schlendern wir zur Bushaltestelle.

      Das passte wohl eher zu Julie als zu Nicole. Mädchen von der Goldküste scheinen nicht zu hüpfen.

      Noch einmal von vorne: Nicole kommt heraus, ziemlich hungrig (Mist, warum habe ich nichts zu essen mitgebracht?). Sie ist müde, denkt an die Hausaufgaben, die sie bis morgen erledigen muss. Dann sieht sie einen bekloppten Shipi mit Schweissflecken unter den Armen. Sie verdreht die Augen, fragt, ob ich mich verirrt hätte und lässt mich wie einen Loser stehen.

      Das war schon realistischer. Aber nun schwitzte ich erst recht.

      Ich war so mit dieser Horrorvision beschäftigt, dass ich Nicole gar nicht sah, als sie endlich herauskam. Erst als ich Schritte hörte, merkte ich, dass jemand auf mich zu rannte. Ja, rannte! Vorsichtig ging ich ihr entgegen. Auf der Kinoleinwand hätte sie sich mir in die Arme geworfen, aber mir reichte es völlig, dass sie vor mir stehen blieb und freudig fragte, was ich hier mache (nicht, ob ich mich verirrt hätte).

      Sie war genau so verschwitzt wie ich, doch im Gegensatz zu mir stank sie nicht. Wie immer trug sie ein enges T-Shirt, unter dem sich alles abzeichnete. So unauffällig wie möglich musterte ich sie aus dem Augenwinkel. Das waren wirklich Muskeln.

      «Hast du früher Basketball gespielt?», fragte ich, während wir zur Bushaltestelle schlenderten.

      «Nicht in einer Mannschaft. Aber Ballsportarten fand ich schon immer super. Allerdings nicht so toll wie das Tanzen.» Sie erzählte, dass sie elf Jahre ins Ballett gegangen sei.

      Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. «Das ist kein Sport!»

      Sofort schoss ihr Kinn in die Höhe. «Und ob! Ballett ist anstrengender als Basketball.»

      «Auf den Zehenspitzen herumtrippeln soll anstrengend sein?»

      «Versuch es doch mal!»

      «Ich?» Ich lachte immer lauter.

      «Feigling», spottete sie.

      Das fand ich nun gar nicht zum Lachen. Mich bezeichnet niemand als Feigling, schon gar kein Mädchen! Ganz die arrogante Zicke baute sie sich vor mir auf. Innerlich begann ich zu kochen. Aber dann kam die Abendsonne hinter einer alten Fabrik hervor und schien direkt auf ihre Haut. Ich stand so nah, dass ich die goldenen Härchen an ihrem Hals sah. Dass ich überhaupt noch denken konnte, grenzte an ein Wunder. Ich konnte jedoch nicht nur denken, ich hatte sogar eine geniale Idee. Ich schlug einen Tausch vor: Wenn sie mir etwas über sich erzählte, würde ich ihr vortanzen. Zu meiner Überraschung stieg sie darauf ein.

      Auf der Fahrt nach Zürich schilderte sie ihr Leben an der Goldküste mit Segelboot und allem drum und dran. Sie sei total glücklich gewesen – bis ihr Vater wegen Betrugs verhaftet wurde.

      Ich hing an ihren Lippen.

      Während sie berichtete, wie die Bullen ihr Haus auf den Kopf gestellt hatten, fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Augen. In Gedanken sah ich das Foto auf ihrem Laptop. Ich fragte mich, wie sich das anfühlte, einen Vater zu haben, der zugleich ein Kumpel war. Zwar ehrte ich meinen Vater, aber mit ihm zu quatschen so wie mit Chris, konnte ich mir nicht vorstellen.

      «Seitdem lebe ich mit Mam in Zürich», fuhr sie fort. «Aber nicht für lange. Bald kehren wir nach Erlenbach zurück.»

      «Wo ist dein Vater jetzt?»

      In der für sie typischen Art hob sie das Kinn. «Immer noch im Knast.»

      Ich war geschockt, versuchte aber, mir nichts anmerken zu lassen.

      «Vor eineinhalb Jahren habe ich das Taxi meines Vaters … ausgeliehen», gestand ich. «Ich wurde dabei erwischt.» Ich weiss nicht, warum ich ihr das erzählte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es würde sie trösten. «Die beiden Polizisten, die mich angehalten hatten, führten mich in Handschellen ab, als wäre ich gemeingefährlich.» Die Erinnerung war mir immer noch peinlich. Das war wieder so eine Situation gewesen, in der ich am liebsten «Escape» gedrückt hätte. Davon gab es einige in meinem Leben.

      Inzwischen waren wir in die S-Bahn umgestiegen.

      «Warum gehst du nicht mehr aufs Gymnasium?», fragte ich.

      Sie lächelte verlegen. «Weil ich Mam eins auswischen wollte. Fürs private Gymnasium reichte das Geld nach Dads Verhaftung nicht mehr. Ich war sauer. Aber jetzt ist mir klar, dass ich das gar nicht will. Aufs Gymnasium gehen, meine ich.» Sie erzählte von ihrem Traum, Balletttänzerin zu werden. «Das wollte ich schon immer. Aber natürlich gingen die Ballettstunden flöten, wie alles andere auch. Ich habe gedacht, mein Traum sei geplatzt, übte gar nicht mehr. Das war ein Riesenfehler. Vor einigen Wochen habe ich Marta Kryslowa kennengelernt. Da wurde mir bewusst, wie weit mich die Pause zurückgeworfen hat.»

      Diese Marta war eine Nachbarin, die früher anscheinend eine berühmte Tänzerin gewesen war. Sie hatte Nicole angeboten, sie zu unterrichten. Im Gegenzug putzte Nicole regelmässig die Wohnung der alten Frau und kaufte für sie ein. Bewundernd schüttelte

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