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heute wirst du gehenbleiben. Gertraud Löffler
Читать онлайн.Название heute wirst du gehenbleiben
Год выпуска 0
isbn 9783749794089
Автор произведения Gertraud Löffler
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Ein wiederkehrender Zyklus, den die Damen „Schlachtungsfütterung“ nannten. Er funktionierte seit Jahren reibungslos. Balsam für die unstillbare Neugierde und den Tatendrang ihrer Tante. In Kombination mit einer anderen Eigenschaft erwuchs daraus fast ein energetisches perpetuum mobile an Lebensfreude, denn Tante Astrid war ein Mensch mit unumstößlichem Optimismus. Sie spielte, verlor, freute sich darüber, denn schließlich wurde das Schwein befüttert, lachte und spielte wieder und so weiter und sofort. In allen anderen Lebenslagen hielt sie es ähnlich. Wenn sie einmal ausrutschte und hinfiel, was Gott sei Dank selten vorkam, konnte es durchaus sein, dass sie über das ganze Gesicht strahlte und mit blutenden Knien und einer Schürfwunde am Kopf beglückt ausrief:
„Prima! Nix gebrochen! Ein Dankeschön nach oben!“
Und zur Feier des Tages könnte es passieren, dass sie sofort ins nächste Café eilte und auf ihr eigenes Wohl ein Gläschen Prosecco trank. Ihr positives Denken prägte ihr gesamtes Leben und schirmte sie ab vor Rückschlägen. Die Liste der Begebenheiten, in denen sich Tante Astrid klar für Glück entschied, anstatt für Unglück, war unendlich lang. Mitunter war es auch schon vorgekommen, dass ihr beim Bäcker jemand das letzte Vinschgauer weggeschnappt hatte, was äußerst ärgerlich war, wenn man wusste, welch wahren Genuss diese Semmel mit Butter und Salz für sie darstellte. Aber auch in dieser Lage gelang es Tante Astrid blitzschnell einen Schalter umzulegen und sich zu freuen, dass sie endlich einmal in Ruhe ein neues Gebäckstück probieren konnte. Wie herrlich war es doch, dass sie nicht wegen des eventuell verpassten Genusses wieder ein Vinschgauer nehmen musste!
Und noch während sie die Fachverkäuferin mit einem fröhlich altmodischen: „Fräulein - was ist denn das mit den dunklen Körnern drauf?“, ansprach, lief ihr schon in Vorfreude auf die Neuentdeckung zur abendlichen Brotzeit das Wasser im Mund zusammen. Lizzy fand sie einfach großartig und Tante Astrid trug mit Stolz die Bezeichnung Lieblingstante.
Der Kiesweg machte unter Lizzys Turnschuhen eine kleine Biegung und führte zu einer hübschen Springbrunnenanlage am Rand eines kleinen Wäldchens. Die Wasserbecken bestanden aus hellem Marmor und strahlten durch die rundlich barocken Formen etwas Märchenhaftes aus. Mehrere steinerne Engel hockten gemütlich nebenund übereinander und blickten verträumt dem Plätschern nach. Becken und Figuren schmiegten sich kunstvoll mit ihren Bäuchen an die Rückseite einer Buxhecke, deren kleine Blättchen anscheinend regelmäßig von Stadtarbeitern eine aufgeräumte Laubfrisur verpasst bekamen. Lizzy lächelte triumphierend, als sie die Botschaft auf einem kleinen Messingschild unterhalb eines der leicht bekleideten pausbackigen Engel entziffern konnte.
Trinkwasser
Stadtverwaltung Engelsberg
Wie eine Prophetin hielt sie beide Arme zum Himmel gestreckt und blickte dem Engel direkt in die stumpfen Steinaugen.
„Danke, Tante Astrid!“, rief sie.
„Danke, Bengelengel!“
Lizzy blickte streng zu dem Steinjungen mit seinen fleischigen Ärmchen und Beinchen aus hart gewölbtem Babyspeck auf, der unbeirrt weiter seinen Strahl ins Becken urinierte.
„Auch, wenn es nicht in Ordnung ist, dass du hier in die kommunale Wasserversorgung pinkelst!“, fuhr sie mit ihrem Selbstgespräch fort. Die Arme hatte sie jetzt in die Hüften gestemmt und eine klitzekleine Zornesfalte hatte sich zur Bekräftigung ihrer Standpauke den Weg von der Stirn bis zur Nasenwurzel gegraben.
„Also gut, ich erlaube es dir. Aber dann kannst du mir genauso gut auch gleich einschenken“, beschloss sie, holte aus ihrem Rucksack ihre graue Edelstahlflasche und hielt sie zwischen die Beine des Engels. Während sie den Behälter füllte, ließ sie ihre Augen über die Buxhecke schweifen. Das gepflegt gestutzte Strauchwerk war relativ dicht und breit und würde einen gewissen Schutz bieten. Vielleicht konnte man irgendwo eine Öffnung finden und darin eine kleine Höhlung ausschneiden. Die Sache mit dem Nachtlager hatte sie im Hinterkopf. Die Sonne stand bereits spätnachmittäglich tief und die hohen Bäume des Parks zeichneten grau schraffierte Umrisse auf den hellgrünen Rasen. Lizzy wollte auf keinen Fall völlig ungeschützt auf einer Parkbank enden, wo sich im Zweifel ein Penner dazugesellte. Angst hatte sie keine, aber sie war weder naiv noch doof. Ein bisschen Vorsicht konnte nicht schaden, schließlich war sie ein weibliches Wesen und in ein paar Stunden wäre es hier stockfinster und sie vollkommen allein…
Während sie prüfend ein paar Äste auseinander bog, stellte es ihre Nackenhaare auf. Als Kind schon hatte sie die Eigenschaft gehabt, plötzlich zu merken, wenn sie von hinten beobachtet wurde. Und ihre feinen Antennen hatten sie bisher selten im Stich gelassen. Schnell bückte sie sich, tat so, als würde sie etwas Verlorenes suchen und aufheben. Während sie sich wieder erhob und umdrehte, spielte sie Erleichterung über das wiedergefundene kleine Ding, das sie fest in ihrer geschlossenen Faust zu haben schien. Tatsache. Ein leicht schrullig wirkender Typ mit einer engen Lederweste und strähnigen Haaren stand regungslos an der Kreuzung des Kiesweges, die sie selbst vorhin passiert hatte und starrte direkt in ihre Richtung. Mit einem Schuh drückte er knirschend eine Zigarette aus. Fixierend und eigenartig durchdringend war sein Blick, selbst von dieser Entfernung. Er bewegte sich außerordentlich seltsam. Gestikulierte, nickte. Sofort alarmierte er Lizzys inneren Wachhund. Wegsehen oder flüchten? Ihre Muskeln spannten sich. Der Wachhund in ihrem Kopf knurrte. Sie war sprungbereit. Gott sei Dank befand sich der Kerl ein geraumes Stück von ihr entfernt. Betont langsam, um ihre innere Anspannung zu verbergen, griff sie sich ihre Sachen und verließ, ohne sich umzudrehen, die Springbrunnenanlage. Sie eilte schräg gegenüber hügelabwärts, wo nach ein paar Metern dichterer Baumbestand den direkten Sichtkontakt unterbrach. Sobald sie meinte, außer Sichtweite zu sein, setzte sie zum Spurt an. Die Fracht auf ihrem Rücken schaukelte wie ein unförmiger Kartoffelsack. So schnell sie konnte, rannte Lizzy den Hügel hinunter. Ein paar Mal stolperte sie beinahe. Kam das Geräusch der Schritte von ihr oder verfolgte sie der Typ? Lizzy keuchte. Ihre Lungen brannten wie Feuer, vor Aufregung oder wegen des Spurts. Mit einem Mal war die Idylle des Parks dahin. Kann nicht mehr, schrie sie ihr eigener Körper an. Aber sie zwang sich weiter. Ein Segen, dass Panik Energie bereitstellte, von der man nicht gewusst hatte, dass man sie besaß. Ihre Beine liefen wie eine Maschine. Ohne einen Blick zurück zu wagen, rannte sie und rannte. Neben ein paar Blumentrögen setzte sich der Kiesweg fort. Dahinter freies Feld. Sie wollte nicht ein Hase sein, der sich jagen ließ. Mist. Plötzlich erkannte Lizzy hinter den bunten runden Töpfen einen kleinen mit Unkraut verwucherten Seitenpfad. Wohl ein ehemaliger Parkweg. Ein kurzer Blick über die Schulter. Aufatmen. Niemand in Sicht. Oder hörte sie doch noch Schritte? Blitzschnell sprang sie hinter die Tröge und kauerte sich auf den Boden. So saß sie eine Weile regungslos, bis sich ihr Puls wieder im Normbereich eingependelt hatte. Außer dem ziehenden Geräusch ihrer überblähten Lungen war es still. Sie schien also alleine zu sein. Kein Bösewicht mehr im Nacken.
„Schisserbiene“, schalt sie sich selbst und rappelte sich hoch. Sie sah sich um. Niemand da.
„Mann Lizzy, du bist so peinlich.“
Eine Ausreißerin durfte keinesfalls so schnell in Panik geraten. Schließlich ging das Abenteuer erst los! Erst jetzt erkannte sie weiter unten an dem aufgelassenen Pfadende ein kiesbedecktes Rondell, an