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werden meine Neugier vollständig befriedigen?“

      „Selbstverständlich, Herr Minister!“

      „Nennen Sie mich bitte nicht so. Ich bin hier inkognito, es reicht Herr Staatssekretär.“

      „Weiß Ihre Regierung über Ihren Besuch Bescheid?“

      „Nein. Ich bin hier auf einer Privatreise. Ich bin mit einem kleinen Sportflugzeug auf die Insel geflogen.“

      „Nur mit einem Piloten?“

      „Nein, ich fliege gerne selbst.“

      „Respekt, Herr Staatssekretär!“

      „Ich würde gern wissen, wie ich Sie ansprechen soll“, fragte der Gast.

      „Es genügt Exzellenz. Was ist also der Gegenstand Ihres besonderen Interesses?“

      „Alles. Alles, was auf Ihrer vortrefflichen Insel geschieht, von der mittlerweile die halbe Welt spricht.“

      „Wir streben hier auf der Insel keine touristischen Aktivitäten an.“

      „Trotzdem sprechen viele Menschen über Ihre Insel. Ich habe einige Persönlichkeiten gesprochen, die sie besuchen möchten.“

      „Haben Sie auch mit jemandem gesprochen, der von der Insel zurückgekommen ist?“

      „Nein. Bis jetzt nicht. Warum fragen Sie?“

      „Mich würden deren Eindrücke interessieren. Unsere Insel ist ein kleiner und bescheidener Staat.“

      „Es kommt hier nicht auf die industrielle Stärke des Staates an. Es geht um die Menschen. Über die Bewohner der Insel werden schon Legenden erzählt.“

      „In der Tat, die Inselbewohner haben ein sehr angenehmes Wesen.“

      „Hm, angenehmes Wesen“, der Gast lachte leise. „Wenn man dem, was so erzählt wird, Glauben schenkt, sind die Menschen hier einzigartig in unserer Welt. Ist es wahr, Exzellenz, dass die Inselbewohner äußerst diszipliniert sind? Dass sie opferbereit sind, milde gestimmt und sich außergewöhnlich loyal verhalten?“

      „Ja, das stimmt!“

      „Und dass es hier keine Extremisten, Banditen, Terroristen und Verschwörungstheoretiker gibt?“

      „In der Tat, Herr Staatssekretär, die gibt es hier nicht.“

      „Dass sie mit dem, was sie haben, zufrieden sind, dass sie in die Zukunft mit Zuversicht blicken?“

      „Völlig zutreffend, Herr Staatssekretär.“

      „Wohlwollend, solidarisch und gönnerhaft sind?“

      „Sie haben, Herr Staatssekretär, meine Landsleute vortrefflich charakterisiert“, bestätigte der Gastgeber.

      „Ihr seid, Exzellenz, eine soziale Offenbarung. Ihr seid eine gegenwärtige Vermenschlichung eines Engels.“ Der Gastgeber lachte. Der Gast fragte weiter: „Wie haben Sie das alles erreicht?“

      „Das hat verschiedene Ursachen. Das Klima -“

      „Tatsächlich, es ist sehr milde und menschenfreundlich hier, doch nicht nur auf dieser Insel“, unterbrach der Gast.

      „… die Lage, die die Gefährdung der Insel mindert“, fuhr der Gastgeber fort.

      „Es gibt weltweit hunderte von Inseln …“

      „Schließlich hatten wir einige besonders begabte und fortschrittsorientierte Psychologen und Soziologen, die es ermöglichten, dieses Experiment zu beginnen.“

      „Jetzt kommen wir in medias res. Es gibt also ein Experiment.“

      „Ja. Ein erzieherisches Experiment, würde ich sagen.“

      „Ausgezeichnet. Das ist eben das, was ich gerne kennenlernen würde“, begeisterte sich der Gast. „Sind Sie damit einverstanden, Exzellenz?“

      „Warum auch nicht?“, stimmte der Gastgeber zu.

      „Es gibt Staaten, die ihre Errungenschaften gerne verbergen.“

      „Es ist ja weder neue Technologie noch eine Wunderwaffe. Wir werden Sie mit dem Charakter unseres Experiments vertraut machen.“

      „Wirklich?“

      „Ohne Einschränkung!“

      „Dann bin ich ganz Ohr.“

      „Etwas Geduld bitte. Es reicht nicht anzuhören, man muss es sehen und selbst erleben. Oh, ich sehe, wir sind da.“ Die Limousine blieb vor einem Hotel stehen. „Ich schlage vor, Sie nehmen ein Bad, frühstücken in Ruhe und ich komme in eineinhalb Stunden mit meinem Auto wieder zurück.“

      „Und wir beginnen ein großes, faszinierendes Abenteuer.“

      „Wenn Sie es so nennen möchten“, der Gastgeber lachte herzlich, „beginnen wir mit einem großen Abenteuer.“

      ***

      „Was für ein Gebäude ist das? Stehen wir vor einer Fabrik, Exzellenz?“

      „Man kann es so bezeichnen. Wir gehen durch das Magazin, dann einige Korridore entlang bis zum Büro des Direktors.“

      „Haben Sie ihn vorgewarnt?“

      „Aber nein, es ist sowieso ohne Bedeutung. Er ist es gewöhnt, unerwartete Besuche zu empfangen.“ Sie gingen einige Zeit durch die Räumlichkeiten des Magazins.

      „Es scheint mir …“, begann der Besucher.

      „Was bitte?“

      „Ach nein, nichts.“

      „Sagen Sie doch bitte.“

      „Natürlich sind das nur die Korridore und das Magazin. Wir kamen noch gar nicht zu den Produktionshallen. Nur alles scheint mir hier ziemlich unordentlich zu sein“, bemerkte der Besucher vorsichtig.

      „Unordentlich? Ihre Wortwahl, Herr Staatssekretär, ist außerordentlich elegant. Hier herrscht einfach gesagt ein schreckliches Durcheinander.“

      „Na ja, wie soll ich es sagen, all die Menschen, die vor dem Gebäude sitzen, ihre Zigaretten rauchen, Zeitungen lesen und sich der Sonne zuwenden …“

      „Das sind unsere Mitarbeiter.“

      „Ach ja?“

      „Sie wollen sicherlich fragen, wie die Produktion so läuft, wenn die Mitarbeiter alles machen, außer sich mit der Arbeit zu befleißigen? – So, wir sind da. Hier ist das Vorzimmer und diese Tür führt zum Büro des Direktors.“

      „Aha, und wo ist seine Sekretärin?“

      „Wir werden sie sicherlich gleich woanders finden. Bitte gehen Sie rein. Nach Ihnen, bitte.“ Die Tür öffnete sich und eine überraschte weibliche Stimme des Entsetzens war zu hören. Die Besucher erblickten eine Frau, die mit einer aufgeknöpften Bluse und unordentlicher Frisur vor einem Mann mit heruntergezogener Hose, der im großen Sessel hinter dem Schreibtisch saß, kniete.

      „Entschuldigen Sie vielmals. Wir haben uns wahrscheinlich in der Tür geirrt“, rechtfertigte sich der Gast.

      „Aber nein, nein, keineswegs, Sie sind hier mit Sicherheit richtig. Willkommen, Exzellenz.“ Die joviale Stimme des Direktors verriet seine hedonistische Natur.

      „Guten Tag, Herr Direktor. Ich habe einen Gast mitgebracht. Er ist auf unsere Insel gereist und würde gern erfahren -“

      „Oh, es ist für mich eine Ehre“, unterbrach der Direktor und wandte sich an seine Sekretärin: „Mäuschen, knöpfe deine Bluse wieder zu, mach dich wieder zurecht und bring uns Kaffee.“ Er sah die Ankömmlinge mit einem schelmischen Lächeln an.

      „Sie ist meine Sekretärin“, sagte er nicht ohne Stolz.

      „Kaffee gibt’s nicht mehr. Ich habe nicht rechtzeitig bemerkt, dass er aufgebraucht

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