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B'tong. Roland Platte
Читать онлайн.Название B'tong
Год выпуска 0
isbn 9783347055506
Автор произведения Roland Platte
Жанр Контркультура
Серия B'tong
Издательство Readbox publishing GmbH
- Aber Papa, wir haben doch gar keinen Drachen…
- Waaas, wir haben keinen Drachen? Jede vernünftige, gesunde Familie mit zwei Kindern hat doch einen Drachen!
Ein längeres Suchen hat ihn jedoch eines Besseren belehrt. Und so hat der Drachen eben gebaut werden müssen, gemäß einer Anleitung, die Sybille aus dem Internet gefischt hat.
- Du musst Zeitungspapier in längliche Streifen zerschneiden, und immer so ein Büschel formen. Dann, mit der langen Leine, einen Knoten drum herum machen und ein paar zwanzig Zentimeter weiter noch mal das Gleiche und wieder und wieder.
- Papa, ich schaff das nicht.
- Ok, gib mal her. Ich mach' euch den ersten und dann macht ihr die anderen, Ok? Mensch, Jako, pass doch auf, unseren schönen Drachen nicht zu zertrampeln, sonst müssen wir wieder ganz von vorne anfangen.
- Ich will aber auch Knoten machen.
- Ach, Jako, da bist du doch noch viel zu klein für.
- Jana, jetzt sei doch nicht so gehässig zu deinem Bruder! Wenn du Geduld hast, und es ihm zeigst, dann schafft er das schon.
- Mensch, ich bin doch kein Kindermädchen für kleine Jungs.
- Und ich, was bin ich? Ich habe dir doch auch gezeigt, wie man den Knoten macht.
- Ja duuu. Bei dir ist das etwas ganz anderes, du bist ja der Papa….
Schließlich ist der Drachen fertig, die Haustür zugezogen und die Familie stiefelt los. Carsten hält den farbigen, vom Wind bewegten Drachen in der Hand, Jako den Papierschwanz und Jana die zusammengerollte Schnur.
Es ist abgesprochen, zuerst ein bisschen zu laufen, aus dem Dorf hinaus, über die Wiesen, durch den Wald und erst oben auf dem Hügel, auf den Feldern, den Drachen steigen zu lassen. Sybille ist ganz eingenommen von dem familiären Spaziergang in der herbstlichen Stimmung. Schon lange sind sie nicht mehr alle zusammen über Wiesen und Felder gelaufen.
Es ist ein sonniger Herbsttag. Ab und zu bläst ein böiger Wind über die abgeernteten Felder. Er fegt dann wild über Stoppeln und Gräser, bäumt sich auf bis hoch zu den Baumkronen der hochgewachsenen Pappeln am Wegrand, die im klaren Herbstlicht ihre Blätter wie feine von bunten Federn getragene glitzernde Perlen abwerfen.
Der Weg schlängelt sich tief ausgefurcht hoch zum Wald, vorbei an Obst-, vor allem aber Apfelbäumen, die noch vereinzelt ihre rotbackigen Früchte zeigen. Durch die milde Herbstsonne scheint wieder Leben in die Felder gekommen zu sein. Sybille entdeckt ein paar - für die Saison - noch spät arbeitende Bienen an den Blumen am Wegrand und freut sich auch über bunte Astern und Chrysanthemen, die über alte Holzzäune hinweg gewachsen sind. Ein paar Singvögel, sind es Rotkehlchen oder Dompfaffen, pfeifen vor sich hin oder fliegen wild zwitschernd durchs Gestrüpp, während hoch am Himmel ein Milan seine hungrigen Kreise zieht. Als sie sich dem Hain nähern, hört sie das tiefe Rauschen der Baumwipfel. Sie nimmt Carsten an der Hand. Es wird dunkel, der Weg dringt in den dichten Wald ein, plötzlich empfindet sie ein beklemmendes Gefühl. Es ist ganz still. Kein Licht mehr, keine Laute mehr, und sie meint auch keine Luft mehr zu bekommen.
- Papa, wann können wir denn den Drachen fliegen lassen?
- Na hier nicht, hier sind wir doch im Wald, hier ist es dunkel und es gibt keinen Wind.
- Darf ich jetzt mal den Drachen halten?
- Von mir aus, aber pass auf, dass du ihn nicht kaputt machst. Lass ihn nicht fallen.
- Darf ich nachher auch mal den Drachen halten?
Carsten seufzt, während er Jana vorsichtig den Drachen überlässt.
- Jaaaa, jeder darf mal den Drachen halten.
Während die Kinder mit dem Drachen schon vorlaufen, spürt er den leichten Druck in der Hand, die von Sybilles Hand umschlossen ist. Er schaut sie von der Seite an.
- Jetzt mach dir doch keine Sorgen. Und bitte mache mir auch keine. Auf jeden Fall nicht heute, nicht jetzt.
- Ich mache mir keine Sorgen. Es ist der Wald. Es ist so dunkel hier, so eigenartig. Es ist, als ob ein langer Winter kommen würde, oder so etwas.
- Und du meinst, ich werde die Heizung nicht bezahlen können, weil ich mich mit meiner Erfindung selbstständig mache.
Sybille löst ihre Hand wieder aus seiner.
- Ach Carsten, du bist blöd. Das meinte ich nicht. Ich meine jetzt hier den Wald, das Gefühl, das ich empfinde. Es ist so eigenartig. Hier, jetzt. Ja, sieh doch, es ist so dunkel, so still, es ist, als ob wir uns in einem leeren Raum befänden.
Sie schaut um sich, dann hoch in die kathedralförmigen Wipfel, macht die Augen zu.
- Und jetzt siehst du Dinge, die ich nicht sehen kann, hörst Laute, die ich nicht hören kann, du bist dabei den siebten Sinn zu entwickeln. Das ist ja der Wahnsinn. Nicht nur, dass du manchmal steckenbleibst, nun hast du auch noch einen Fuß in der Parallelwelt.
Carsten möchte sich am liebsten auf die Zunge beißen. Endlich öffnet sich Sybille ihm gegenüber und beschreibt etwas, das sie empfindet, und er weiß nichts Besseres, als sich über sie lustig zu machen. Aber er kann nicht anders und formt seine Hände zu einem Sprachrohr.
- Haaaaalloooo, ihr Gnooooome, Zwerge, Trolle und Elfen, zeigt euch jetzt! Wir haben hier jemanden, der mit euch reden will.
Die Kinder hören das eigenartige Rufen und kommen zurückgelaufen. Heiter stimmen sie mit ein.
- Kobolde und Draaaachen, wo seid ihr?
- Wichte, Hexen und Zauberer, haaaalllo!
Doch der Wald gibt keine Antwort. Nur ein dumpfes Echo hier und ein leises Knacken da.
- Ich muss hier raus.
Sybille packt die Kinder an den Händen und zieht sie laufend den Weg entlang, durch den schwarzen Wald hinauf, bis sie endlich wieder ins Freie gelangen, auf das hügelige Plateau, auf die Felder und Wiesen, in die befreiende Sonne, ins helle, klare Licht. Sybille atmet auf. Sie packt ihre Kinder und umarmt sie fest.
- Mama, geht's dir nicht gut?
- Was ist denn los? Warum hast du uns wie verrückt hinter dir hergezogen?
- Es war einfach ein bisschen dunkel im Wald. Ich wollte da raus. Aber jetzt ist es wieder vorbei. Schaut mal, wie schön die Sicht von hier oben ist.
Inzwischen hat auch Carsten den Waldrand erreicht und seine Familie eingeholt. Er hat sich wieder im Griff und versucht durch ein Ablenkungsmanöver Punkte bei Sybille machen.
- Ach, nichts ist. Mama wollte nur schneller auf's Feld, um den Drachen steigen zu lassen. Kommt schon, hier ist jetzt genug Wind. Huiiiii.
Er läuft über das Feld, die Kinder mit dem Drachen hinter ihm her.
14.
- Hallo Drachen, was machst du denn da in meiner Baumkrone?
- Na, was schon, antwortet missmutig der bunte Drachen. Ich warte darauf, dass man mich wieder hier runterholt. Glaubst du, es macht mir Spaß, hier herum zu hängen?
Die Ulme schüttelt ihr Laub vor Lachen.
- Iss' ja richtig süß, ein Drachen, der nicht fliegen kann.
- Natürlich kann ich fliegen, du Idiot. Richtig gut sogar, ich war ganz schön weit oben. Ich konnte die Stadt sehen, die Berge weiter hinten, die Straßen, die Autobahn, die Brücke und sogar den Fluss. Bloß, der kleine Idiot, dieser Dummkopf, der hat die Leine nicht halten können. Und schwupp war ich weg vom Fenster.
- Vom Fenster?
- Äh, ich meine, vom Himmel, von der Sonne. Wenn ich keine Leine habe, dann macht der Wind mit mir, was er will. Und so bin ich halt 'ne Weile herumgeflogen, wenn man das überhaupt fliegen nennen kann, es ist eher so ein Flattern wie ein wildgewordenes Huhn, und bin dann in dein Laubwerk gerauscht. Noch