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auf der Matte. Manchmal glaubte ich, ich sei Schuld an den Streitereien, die meine Mutter mit ihren Kerlen hatte, weil so oft mein Name fiel. Später machte ich sie dafür verantwortlich. Natürlich hat alles im Leben eine lange Geschichte, eine sehr lange, sie reicht von Generation zu Generation. Mich wundert es jedenfalls nicht, dass ich mir Melek ausgesucht habe, eine, die ständig Liebesbeweise brauchte, eine, die wusste, wie man mich bespielte, Knöpfchen hier, Knöpfchen da, der Ron war wieder eifersüchtig. Verzeihen konnte Melek auch nur schwer. Immer wenn sie betrunken war, was nach der ersten Trennung immer häufiger vorkam, fiel ihr ein, was sie an mir nervte und was ich alles verbockt hatte – Eltern, Hochzeit, ich solle mich mit dem Politologiekram beeilen, weniger schreiben, Geld verdienen, nicht so viel kiffen, ihr mal was Schönes mitbringen, nie Blumen, Urlaub, Kinder, neue Wohnung. Dann entdeckte sie auch noch einen Pornofilm, warf mir vor, ich würde sie nicht lieben, ich sei ein Schwein … Schon nach drei Jahren hatte sie ein riesiges Repertoire an Vorwürfen zur Verfügung, um mich auf die Palme zu bringen. Aber sie konnte sich auch wunderbar über mein Geknurre, Getue und Gehampel amüsieren und Tränen lachen, bis ihr die Beine wegknickten. Und wenn es ihr mal zu viel wurde mit mir, mein Gequatsche sie anstrengte, war ich im nächsten Augenblick wieder artig, tat ich, als sei ich der liebenswerteste Junge unter dieser Sonne, zum Kuscheln immer bereit. Massieren, Streicheln, Küssen, Sex, für allerlei Zärtlichkeiten nahmen wir uns oft Zeit. Gerne spielten wir Backgammon ums Massieren. Leider verlor ich meistens. Mindestens sechs Stunden Massage hat sie noch gut bei mir.

      Ich kaufe die Hose, ohne zu handeln, umgerechnet drei Euro ist doch nichts. Meine Begleitung betrachtet mich überlegen, meint, ich hätte viel zu viel bezahlt.

      „Ist gegönnt“, sage ich, meine Laune ist tatsächlich im Keller, die Vergangenheit hat mich wieder an den Eiern.

      Wir gehen ein paar Meter den Strand hinauf bis zu einer Stelle, wo es halbwegs sauber ist. Der Wind spielt mit ihren Haaren, etwas Schöneres konnte es nicht geben. Sie sagt mir, sonst sei es hier nicht so dreckig, der ganze Müll sei vor einigen Tagen mit der Flut gekommen, die Strömung habe sich verändert. Das Meer braust immer noch gewaltig, so wild kannte ich es eigentlich nur am Atlantik. Hinter einem Fischerboot ziehe ich mich um. Ein junger Mann nähert sich mir langsam, er sieht aus, als führe er etwas im Schilde. Ich blicke aufs Meer. Wenn man durch die ersten beiden Wellenbrecherstellen durch ist, dürfte es entspannter zugehen. Keine zehn Meter von mir hockt der Mann sich hin, hebt seinen Rock und kackt sich eine Wurst zwischen die Beine. Na toll, denke ich. Die Deutsche ruft mir zu, die Inder würden den Strand als Toilette benutzen, das sei am ökologischsten. Dann geht sie mit Klamotten ein Stück ins Wasser, sie macht es wie die Frauen, die wir auf dem Weg hierhin gesehen haben, und springt vor den Ausläufen der heranbrausenden Wellen davon. Ich baue mich neben ihr auf, hüpfe mit, das Wasser ist warm. Ich rufe, dass der Ozean wilder wirke, als er in Wahrheit sei. Sie lacht, als hätte ich einen Witz gemacht, und weist mich auf meine Armbanduhr hin.

      „Die ist unzerstörbar“, sage ich.

      „Hast wohl gerne die Zeit im Blick, was?“

      „Zeit hat man, oder man hat sie nicht, besser man hat sie.“

      Sie lacht wieder. Sie weiß nicht, dass mich diese Uhr mit Melek verbindet, ich habe sie erst kurz vor der Abreise wieder hervorgekramt. Melek hat sie mir vor fünf oder sechs Jahren zum Geburtstag geschenkt, eine schwarzsilberne Swatch ohne Sekundenzeiger, wasserdicht und mit braunem Lederarmband, so, wie ich sie mir gewünscht habe. Auf keinen Fall wollte ich eine Digitaluhr, und einen Sekundenzeiger sollte die Uhr auch nicht haben. Melek rief mich damals aus dem Geschäft an, meinte, die guten Armbanduhren mit Zeiger haben auch einen Sekundenzeiger. Dann will ich keine, sagte ich. Schlimm genug, dass die Zeit vergeht, doch beim Rasen muss ich ihr nicht zuschauen. Sie ließ den Sekundenzeiger beim Uhrmacher ausbauen.

      Ich wage mich weiter rein in das Geschäume und Getöse, setze einen Kopfsprung durch eine hohe Welle und schwimme raus, immer weiter, die Wellen stets im Blick. Die blonde Wetterfahne taucht kurz hinter der schwappenden See auf, sie winkt mir vergnügt zu. Ich fühle mich großartig, werde etwas angehoben und winke zurück. Sie scheint sich nicht weiter hereinzutrauen. Erstklassige Surfergegend, der reinste Whirlpool für Götter, selbst Schuld, wenn sie sich nicht traut. Ich versuche, mein eigenes Surfbrett zu sein, ein Spiel, das ich mir vor vielen Jahren in Frankreich am Atlantik abgeguckt habe. Ich warte auf die passende Welle, schwimme, warte, ein paar kleinere lasse ich vorbeiwandern. Dann endlich schwappt sich das Wasser vielversprechend in die Höhe und kommt genau auf mich zu, ich bin in der richtigen Spur. Eine verdammte Wand aus Wasser ist das. Ich habe das Ungeheuer im Visier, schwimme so schnell ich kann, ein letzter Blick zurück. Die Welle ist früher als erwartet gestürzt, überschlägt sich, schäumt und brodelt hundert Fäuste. Ich tauche ab, zu spät, das Biest walzt einfach über mich hinweg, wirbelt mir die Körperteile auseinander. Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist, mache Schwimmbewegungen, vermutlich in die falsche Richtung, kehre um, habe keine Luft mehr, der Hals wird mir eng, ich würge, gerate in Panik, schlage eine andere Richtung ein, suche das Licht. Jetzt ist es vorbei, also so war das gedacht, ertrinken sollte ich, dafür bin ich in Indien, nicht um Melek zu … Melek winkt mir, sie haucht mir gar einen Kuss zu, sie konnte sehr herzlich sein, eine richtige Stimmungskanone.

      Ich sehe den Himmel, dahinter der endlose Ozean, bekomme wieder Luft, röchle und werde rücklings an den Strand katapultiert. Auf allen vieren krieche ich, huste erst salziges Wasser, kotze dann mein Frühstück aus. Eine Welle schwappt wieder über mich, saugt mich zurück tiefer ins Wasser, ich kralle mich am Meeresgrund fest. Das kann doch nicht wahr sein. Mit letzter Kraft richte ich mich auf, bin schwer außer Atem, das Wasser geht mir nur bis zur Hüfte, ich dachte, es wäre viel tiefer. Die Wetterfahne kommt angerannt, gestikuliert. Ich weiß gar nicht, was sie hat. Das Wasser zieht sich zurück, ich sinke tiefer in den Sand, blicke mich um. Dann sehe ich es auch, zu spät, eine weitere Welle haut mich um und spült mich Richtung Strand. Etwas Glitschiges versperrt mir die Sicht, der Himmel ist ins Rötliche getüncht, ich vermute, dass mir eine Qualle über den Kopf fließt. Ich will sie da weg haben, zerre dran, komme nicht mehr auf die Beine. Die Blonde greift mir unter die Arme, stützt mich, sagt etwas, das ich nicht verstehe, und hilft mir. Ich schaue sie von der Seite an, nur ein kurzer Blick, sie hat drollige Sommersprossen. Mir fällt auf, dass ich gar nicht ihren Namen weiß. Ich stolpere mit ihr ans Ufer, stürze, wälze mich im Sand, will das glibberige Zeug von meiner Brust haben. Mit einem Riss hat sie es in der Hand, eine ekelige rote Plastiktüte und lässt sie wie einen Drachen im Wind davonflattern. Ich atme schwer, halte mir den Hals, mir geht es ziemlich dreckig, zeigen möchte ich es nicht, und sie verkneift sich das Grinsen.

      „Wie heißt du eigentlich?“, krächze ich, da kommt mir alles hoch, ich würge es noch zurück, nichts zu machen, in einem gewaltigen Strahl übergebe ich mich, kotze Wasser, den halben Ozean.

      „Lena.“ Sie kniet neben mir, streichelt mir den Arm, bis alles draußen ist, ich völlig leer, durch, erleichtert. „Geht’s dir jetzt besser?“

      Ich nicke tapfer. „Das Omelett war schlecht.“

      Sie schaut mich mitfühlend an. „Ja, ja.“

      Ich sage erst mal nichts mehr, dann frage ich, wo meine Sachen sind, mein Rucksack, verdammt. Sie legt mir die Hand auf den Unterarm, zeigt mit der anderen auf eines dieser schlanken Fischerboote. Ich würde gerne ein Schluck Wasser trinken. Während sie die Sachen holt, denke ich nach. Meinen Job will ich nicht mehr haben, damit ist es aus. Ich werde meinen Blick weiter schärfen, die richtigen Worte finden, nur für mich, im Geiste. Die Geschichten liegen auf der Straße, das ist es, worauf es ankommt, das Sehen, das Erkennen, das Fühlen, das Erfahren. Das Leben ist voll von kleinen Wundern, der Tod muss warten. Das Meer hatte mich bereits in seinem Rachen und wollte mich verschlingen. Aber es hat mich wieder ausgespuckt. Ich bin angeschlagen, mehr nicht.

      ***

      Die Fahrt nach Auroville habe ich auf morgen elf Uhr verschoben. Das war Lenas Vorschlag, dann könne man zusammenfahren, meinte sie. Sie hat mir nach dem Essen ein schönes Zimmer in ihrem Guest House, dem Sunrise, verschafft. Es grenzt mit der Rückseite an einen Tümpel, der mit Seerosen und Lotosblüten zugewachsen ist. Die Fenster sind getönt und vergittert, sodass niemand hereinschauen, geschweige denn einbrechen kann. Mücken sind trotz der Moskitonetze dennoch im

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