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was recht ist, [finde ich] nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, dieses tue ich. Wenn ich aber dieses, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde. Also finde ich das Gesetz für mich, der ich das Rechte ausüben will, daß das Böse bei mir vorhanden ist. Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! wer wird mich retten von {W. aus} diesem Leibe des Todes? (Röm 7,14-24)

      Sein Leben lang hatte er an die Paulus-Botschaft der Gnade geglaubt, die der Apostel, nach eigenen Angaben, vom Geist Christus persönlich offenbart bekam.

      Carlucci war verwirrt. Ein Evangelium sagte mit nahezu den gleichen Worten, das Gegenteil des anderen.

      Wer hätte Interesse daran, mit einem derartigen Aufwand, die Aussage der Evangelisten für eine Reinheitslehre zu fälschen? Und warum? Hatte sein Vorgänger Msgr. Mondeo Recht? Handelte es sich bei diesen Schriften, um eine gnostische Fälschung?“

      Er musste sich zu seiner Schande dennoch ehrlich eingestehen, dass der Essener Jesus, dessen Worte wie reines Quellwasser zu sprudeln scheinen, ihn wahrhaftig erquickten und seinen Seelendurst zu löschen vermochten, sympathischer war, als Jesus aus den kanonisierten Evangelien.

      „Was heißt ‚gnostische Fälschungen‘?“, überlegte er. „Diese Worte, die das Geheimnis der Schöpfung beinhalten, wie können sie gefälscht sein?“, fragte er sich.

      „Auf einen Punkt gebracht: ich habe zwei Evangelien, die einander sehr ähnlich und dennoch völlig gegensätzlich sind. Da beide nicht richtig sein können, handelt es sich also um ein echtes Evangelium und um eine Fälschung. Nun was ist das Richtige und was die Fälschung. Warum sollte man entweder ein Evangelium zugunsten der Gnadenlehre oder zugunsten der Reinheitslehre fälschen?“ Das waren die Fragen, die sich in seinem Kopf im Kreis drehten. Die Gegensätze zwischen diesen beiden Evangelien nahmen immer deutlichere Konturen an:

      In den Essener Schriften vermisste er den widerspenstigen und renitenten Jesus, der seine eigenen Jünger notgedrungen, wie ein Klotz am Bein mit sich herumzuschleppen schien, der mit seinem Volk ins Gericht ging und von der jüdischen Obrigkeit verfolgt wurde. In den Essener Schriften gab es, im Gegensatz zu den Evangelien aus dem Neuen Testament, keine Wunder, keine Auferweckung von Toten, keinen Jesus, der auf dem Wasser geht oder Brote und Fisch vermehrt. Es gab nur die göttliche Botschaft, die Reinigung durch die Taufe und die Hoffnung auf das ewige Leben. Alles war auf natürlichem Weg nachvollziehbar. In den aramäischen Schriften vermisste er zudem die Anspielung auf einen Verrat Judas oder gar auf seinen notwendigen bevorstehenden Tod. Keine Drohung oder Worte der Bitterkeit sind in diesen Essener Schriften zu finden, sondern Verständnis und Nachsicht für den Sünder, Harmonie und Worte der Liebe, wie man sie von einem von Gott gesandten Propheten erwartet.

      Während er die aramäischen Texte übersetzte, stieß er auf eine Stelle, die er aus einem Paulusbrief an die Korinther gut kannte und die in dem aramäischen Essener Evangelium beinah wörtlich zu lesen war.

       „Das Hohelied der Liebe“

      Durch Liebe werden der Himmelsvater und die Erdenmutter und der Menschensohn eins. Denn der Geist des Menschensohns wurde aus dem Geist des Himmelsvaters geschaffen, und sein Körper aus dem Körper der Erdenmutter. Und so liebt euren Himmelsvater, wie er euren Geist liebt. Und so liebt eure Erdenmutter, wie sie euren Körper liebt. Und so liebt eure wahren Brüder, so wie euer Himmelsvater und eure Erdenmutter sie lieben. Und dann wird euch euer Himmelsvater seinen heiligen Körper geben. Und dann werden die Menschensöhne sich wie wahre Brüder lieben mit der Liebe, die sie von ihrem Himmelsvater und ihrer Erdenmutter erhielten, und sie werden einander trösten. Und dann wird von der Erde alles Übel und alle Traurigkeit verschwinden, und es wird Liebe und Freude auf Erden geben. Und dann wird die Erde wie der Himmel sein, und das Königreich Gottes wird kommen. Und dann wird der Menschensohn in all seiner Herrlichkeit kommen, um das Reich Gottes zu erben. Und die Menschensöhne werden ihre göttliche Erbschaft teilen, das Königreich Gottes. Denn die Menschensöhne leben im Himmelsvater und in der Erdenmutter, und der Himmelsvater und die Erdenmutter leben in ihnen. Und mit dem Reich Gottes wird das Ende der Zeiten kommen; denn die Liebe des Himmelsvaters gibt sich allem Leben im Reich Gottes immerdar. Denn Liebe ist ewig, Liebe ist stärker als der Tod.

      Wenn ich mit den Zungen der Menschen und Engel rede, aber keine Liebe habe, klinge ich wie Blech oder weine scheppernde Zimbel; wenn ich Kommendes voraussagen kann und alle Geheimnisse kenne und alle Weisheit, auch wenn ich so einen starken Glaube habe wie der Sturm, der Berge versetzen kann, aber keine Liebe haben, bin ich nichts. Und wenn ich alle meine Güter hergebe, um die Armen zu ernähren, und alle mein Feuer, das ich von meinem Vater erhalten habe, aber keine Liebe habe, nützt es mir nichts. Liebe ist geduldig, Liebe ist gütig. Liebe ist nicht neidisch, schafft nichts Böses, kennt keinen Stolz; sie ist weder grob noch selbstsüchtig, bleibt gegenüber Ärger gelassen und stellt sich kein Unheil vor, fällt nicht in Ungerechtigkeit, sondern erfreut sich der Gerechtigkeit. Liebe verteidigt alles, Liebe hofft alles. Liebe erträgt alles; sie erschöpft sich nie; doch Worte allein werden vergehen, und Wissen wird verschwinden. Denn wir haben teilweise Wahrheit und teilweise Irrtum, doch wenn die Fülle der Vollkommenheit gekommen ist, wird alles Unvollkommene ausgelöscht. Im Kindesalter sprach ein Mensch wie ein Kind, verstand wie ein Kind, dachte wie ein Kind; aber als Erwachsener legte er die kindlichen Dinge ab; aber noch sehen wir durch trübes Glas und durch dunkle Worte. Noch haben wir nur Teilwissen, aber sind wir vor Gottes Gesicht gekommen, werden wir kein Teilwissen mehr haben, sondern ein Wissen, wie er es uns lehrt. Und nun verbleiben diese drei:

      Glaube, Hoffnung und Liebe; aber das größte davon ist die Liebe. Und nun spreche ich zu euch mit der lebendigen Sprache des lebendigen Gottes, durch den heiligen Geist unseres Himmlischen Vaters. Es gibt noch niemanden unter euch, der alles, was ich sage, verstehen kann. Einer, der euch die Schriften auslegt, spricht mit einer toten Sprache toter Menschen zu euch, durch seinen kranken und sterblichen Körper. Ihn können deshalb alle Menschen verstehen, denn alle Menschen sind krank, und alle sind des Todes. Keiner sieht das Licht des Lebens. Blinde Menschen führen blind auf die dunklen Pfade der Sünden, Krankheit und Leiden: und zuletzt fallen alle in die Todesgrube.9

      Ohne sich allzu viel von der Sache zu versprechen, verglich er das Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief mit dem Text aus dem Essener Evangelium und stellte als erstes fest, dass der Satz, der eindeutig die Verfasserschaft Jesus bewies (denn allein Jesus sprach von seinem Vater) …allmein Feuer, das ich von meinem Vater erhalten habe10 vom Verfasser des Korintherbriefes unterschlagen wurde. Dazu kam, dass Paulus, wie der Essener Prophet selbst, ebenfalls in der Ich-Form schrieb, doch Paulus sprach nie von seinem Vater, sondern immer nur von seinem Herrn Jesus oder Christus.

      Carlucci las noch einmal die Predigt aus dem Essener Evangelium:

      Und wenn ich alle meine Güter hergebe, um die armen zu ernähren, und all mein Feuer, das ich von meinem Vater erhalten habe, aber keine Liebe habe, nützt es mir nichts.11

      Und anschließend die Version aus dem Neuen Testament:

      Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung ‚der Armen‘ austeile und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich Ruhm gewinne, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts.

      (1Kor 13,3)

      Die Verwirrung war nun komplett. Und dann begann er sich zu fragen, warum der Apostel Paulus, der nach eigenen Angaben, sein Leben Jesus geopfert und für ihn so viel gelitten hatte, sich mit „fremden Federn“ schmückte. Warum riss Paulus diesen wunderbaren Inhalt aus seinem Kontext heraus und gab ihn in seinem Brief, als sein Eigenes, mehr oder weniger, aus der Luft gegriffen wieder?

      Die zuvor entdeckten Widersprüchlichkeiten aus beiden Evangelien- Fassungen und das Rätsel, das daraus entstanden waren, hatten allein für Skepsis gesorgt, doch die flagrante Umformulierung des „Hohelieds der Liebe“ setzte der Sache die Krone auf. Es waren einfach zu viele Frage auf einmal. Wenn die künftigen Text-Abweichungen diesen Kurs beibehalten,

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