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Hochland. Die beiden großen Seen Rakshastal und Manasarovar zogen hier den Blick auf sich, bevor dahinter die Berge des Transhimalaya den Horizont bildeten. Am vorderen Rand dieser Bergkette war die Pyramide des Kailash zu erkennen, die von hier aus aber keineswegs spektakulär erschien.

      Die gesamte Region aus Hochland und Hochgebirge war nicht nur für Anhänger der Religionen etwas ganz besonderes. Das tibetische Hochland war das Quellgebiet riesiger Ströme, wie des Mekong, der vor allem für Thailand, Vietnam und Kambodscha wichtige Fluss, des Brahmaputra, der durch den Norden Indiens und Bangladesh floss, oder, ganz im Osten des Hochlandes gelegen, des Yangtze, einem der grössten Flüsse Chinas. Aus dem Rakshastal floss der Satluj nach Westen ab, wo er letztlich in den Indus mündete, dem größten Fluss Pakistans.

      Die Wetter- und Klimaverhältnisse in der Region waren daher von größter Bedeutung für riesige angrenzende Gebiete und die darin lebenden Millionen von Menschen. Dass sich dies heute zum ersten Mal mit seiner ultimativen Gewalt zeigen würde, ahnte keiner in der Gruppe.

      Für den Gipfelaufenthalt hatten sie etwa eine Stunde eingeplant. Matteo, Awais und Fahad begannen auf dem flacheren Bereich vor dem eigentlichen Gipfelgrat, aus großen Steinen die Stupa zu errichten, die sich Laura als Votivgabe gewünscht hatte. Diese sollte sich von den vielen anderen hier vorhandenen, nur aus Steinen aufgebauten, traditionellen Tempeln deutlich unterscheiden. Laura hatte dazu eine solarbetriebene Wetterstation sowie eine Rundumkamera einschließlich Funkeinheit mitgebracht. Matteo, Awais und Fahad würden diese Geräte auf der Stupa fest mit Stahlseilen und in den Fels gebohrten Halterungen fixieren.

      Der eigentliche Gipfel des Gurla Mandhata lag einhundertfünfzig Meter entfernt und noch einmal fünfzig Meter höher als die Stupafläche, auf der sie sich gerade alle befanden. Er verdeckte mit seinem Westgrat einen Großteil des Panoramas und des Himmels.

      Laura machte sich daran, auch noch diesen obersten letzten Teil des Gipfels zu besteigen, um von dort Aufnahmen mit der Kamera von der Himalayakette im Süden und des tibetischen Hochlandes im Norden zu machen. Nur von diesem höchsten Punkt hatte man einen uneingeschränkten Rundumblick.

      Zusammen mit den beiden tibetischen Guides brach sie auf. Um dem starken Südwind weniger ausgesetzt zu sein, traversierten sie zunächst eine einhundert Meter lange Strecke auf der Nordseite des Gipfels.

      Das Gelände war dort ziemlich steil, sodass sie immer wieder auch die Eispickel verwendeten. Erst als sie sich direkt unterhalb des Gipfels befanden, begannen sie zu ihm aufzusteigen. Auf halber Höhe trafen sie auf eine weniger steile Stelle. Laura beschloss, auch dort ein paar Aufnahmen in Richtung Norden zu machen.

      Sie war von der weiten vegetationslosen Landschaft, die sich unter ihr erstreckte, fasziniert. Die Klarheit der Luft hatte etwas Überirdisches. Die beiden tiefblauen Seen in der fast ebenen, beige und braun schattierten Landschaft erschienen ihr wie Edelsteine. Links lag der Rakshastal mit dem Kailash im Hintergrund, rechts der den Buddhisten heilige Manasarovar.

      Zusammen mit den Bergketten des Himalaya, die sie auf der Südseite des Gipfels noch aufnehmen würde, könnte sie eine fantastische Panoramaaufnahme für zuhause machen. Diese würde sie wie einen 360-Grad-Altar nutzen können und damit immer und überall Kraft und Erleuchtung erlangen. Zusammen mit den von der Stupa-Kamera erfassten Bildern und den von ihrer Wetterstation übertragenen Daten würde das Betrachten der Aufnahmen mit einer RD-Brille eine perfekte Illusion der aktuellen Situation hier oben am Gipfel ermöglichen, die kaum von der realen Szenerie zu unterscheiden wäre.

      Während sie die Aufnahmen machte, nahm der Wind weiter zu. Es schien dabei immer wärmer zu werden. Laura schaute auf die Anzeige der Thermosensoren, die in ihre Jacke integriert waren. Die Außentemperatur lag bei plus acht Grad Celsius. Das war für diese Höhe absolut außergewöhnlich. Die oberste Schnee- und Eisschicht wurde dadurch schon angetaut.

      Wegen des starken Winds würden sie mit Sicherheit nicht länger als nötig auf dem Gipfel bleiben. Laura schaute zurück nach ihrem Mann und seine Freunden. Sie schienen mit dem Aufbau der Stupa noch nicht viel weiter zu sein als zuvor. Der Wind auf der ungeschützten Fläche machte ihnen beim Aufbau offenbar große Probleme.

      Laura und die Guides stiegen weiter. Der Wind hatte inzwischen Sturmstärke erreicht und erschwerte den Aufstieg immer mehr, je höher sie kamen. In der sauerstoffarmen Luft hier in fast 7.700 Metern war ohnehin jeder einzelne Schritt eine große Anstrengung und Laura spürte, wie ihre Kraftreserven nachließen, zumal sie auch noch die schwere RD-Spezialkamera im Rucksack hatte.

      Laura und die beiden Guides waren nur noch etwa zehn Meter unterhalb des Gipfels, als sie schlagartig von tiefem Schatten getroffen wurden. Laura und die Guides erschraken zutiefst und rissen reflexartig ihren Kopf herum nach Osten, wo vor einer Sekunde noch die Sonne geschienen hatte. Am soeben noch fast wolkenlosen Himmel breitete sich jetzt eine schwarze Wolkendecke rasend schnell nach Norden und hin zu ihnen aus.

      Der ohnehin von Ruß überzogene Gipfel lag jetzt in tiefstem Schatten. Die Situation erschien allen sehr bedrohlich. Sie stiegen so schnell sie konnten weiter dem Gipfelgrat entgegen, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was dieser noch verdeckte. Nach einer knappen Minute und völlig außer Atem hatten sie den höchsten Punkt erreicht.

      Der Blick in Richtung Süden schockierte alle zutiefst. Anstatt die Bergketten des Himalaya mit seinen in der Sonne gleißenden, schneebedeckten Sieben- oder Achttausendern vor sich zu haben, deren Anblick sie noch vor einer halben Stunde von der Stupafläche aus kurz genossen hatte, blickten sie jetzt plötzlich in eine riesige schwarze Wolkenwand. Der Himmel und der Horizont im Süden, an dem sich vorhin noch das gesamte Panorama der Bergkette mit dem 7.000 Meter hohen Gipfel des Saipal erhoben hatten, waren dahinter verschwunden.

      Aus dem anfänglich starken Wind war inzwischen ein regelrechter Orkan geworden, der die schwarze Wand mit brachialer Gewalt auf sie zu trieb. Es bestand kein Zweifel, dass sie in wenigen Minuten den Gipfel des Gurla Mandhata erreichen würde mit Windgeschwindigkeiten wie in einem Hurrikan, Niederschlagsmengen, die eher Wasserfällen glichen, sowie tausenden Blitzen. Der Berg würde sich in einen tödlichen Hexenkessel verwandeln. Laura stieß einen Schrei des Entsetzens bei diesem Anblick aus.

      Den beiden Guides war mit einem Blick klar, dass sie es mit einer extremen Form des Monsuns zu tun hatten. Die Front dieses Regensturms war so schnell aufgezogen, dass es keinerlei Warnungen gegeben hatte. Vor einer derart bedrohlich wirkenden Situation hatten auch sie noch nie zuvor gestanden.

      Der Regen setzte schlagartig und mit beängstigender Heftigkeit ein. Die Tropfen folgten dem Orkan, sodass sie hier am Gipfel mehr von unten nach oben als horizontal dahergepeitscht wurden. Eine Bö riss Laura um und sie wurde gegen einen der Guides geschleudert. Beide stürzten zu Boden. Benommen blieb sie für einige Sekunden auf dem Rücken liegen. Das Brüllen des Orkans war inzwischen so heftig, dass eine mündliche Kommunikation nicht einmal mehr mit ihren beiden Guides möglich war. Sie zerrten Laura hinter einen Felsen, der ein wenig Schutz bot.

      Durch die dichten Regenschleier sahen sie unten auf der Stupafläche Matteo, Awais und Fahad aufgeregt mit Armen und Händen Zeichen machen, mit denen sie signalisierten, den Gipfelbereich so schnell wie möglich zu verlassen.

      Nur den beiden Guides war schnell klar, was in wenigen Minuten noch auf die Gruppe zukommen würde. Nur direkt auf dem höchsten Punkt des Berges würden sie eine Chance haben zu überleben. Sie versuchten, dies Laura mit Handzeichen klar zu machen. Im ersten Moment erschien ihr diese Idee absurd, denn hier würden sie ihrer Ansicht nach am stärksten vom Orkan und den Regenmassen getroffen werden. Ihrer Ansicht nach mussten sie so schnell wie möglich tiefer gelegenes Gelände aufsuchen. Die beiden Guides bestanden aber darauf, hier oben zu bleiben und hinderten Laura mit Gewalt, zu ihrem Mann und den zwei Freunden hinabzusteigen.

      Die Lufttemperatur war inzwischen so weit angestiegen und der Regen so stark und dicht, dass der Schnee zusehends schmolz und schnell kleine Bäche über das Eis flossen. Als Laura das sah, begriff sie. Die beiden Guides versuchten auch, Lauras Freunden mit entsprechenden Handzeichen verständlich zu machen, dass sie auf keinen Fall von der Stupafläche absteigen durften.

      Die Sicht war jetzt durch den Regen, den Nebel und die Dunkelheit in der gigantischen Wolke so schlecht geworden,

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