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sah sie immer wieder solche Luxusgeschöpfe, die sich alles leisten konnten. Auch in ihrer Nachbarschaft lebte ein Mädchen, dessen Vater reich war, das sich alles kaufen konnte, wonach sein Herz begehrte. Und dabei war es nicht so schön wie sie.

      Fast gierig hingen ihre Augen an dem knallgelben Pullover. Einfach entzückend. Leise seufzte sie auf und wandte sich halb um.

      »Fräulein, so traurig?«

      Sie schrak auf und stieß mit einem älteren Herrn zusammen. Er musste die ganze Zeit unmittelbar hinter ihr gestanden haben. Ob er wohl gesehen hatte, als sie sich wie ein Pfau vor dem Spiegel drehte? Röte schlug in ihr Gesicht.

      Er sah sie bewundernd an. Sie bemerkte die grauen Schläfen, die blassblauen Augen.

      Hastig wollte sie an ihm vorübergehen, sie kannte ihn nicht. Aber er stellte sich ihr in den Weg.

      »Warum auf einmal so eilig? Haben Sie keine Zeit für eine kurze Plauderei?«

      Sie starrte ihn an. Er hob ein wenig sein Kinn und wies zum Schaufenster.

      »Gefällt Ihnen der Pullover? Ich glaube, er müsste Ihnen wunderbar zu Gesicht stehen. Ausgezeichnete Ware, wirklich, Sie sollten ihn kaufen. Sie haben guten Geschmack!«

      Sie war richtiggehend wütend über so viel Frechheit. Wäre es ein junger Mann gewesen, sie hätte ganz anders mit ihm verfahren. Aber dieser hier konnte ja bald ihr Vater sein.

      »Was geht es Sie an, ob ich mir den Pullover kaufe oder nicht? Im Übrigen kaufe ich ihn nicht, und jetzt muss ich außerdem nach Hause. Bitte, lassen Sie mich gehen!«

      Er lachte leise auf. Eine angenehme, warme Stimme.

      »Aber, aber, warum gleich so ruppig? Ich habe Ihnen doch nichts getan. Kommen Sie, was halten Sie davon, wenn ich Ihnen den Pullover kaufe?«

      Ihre Lippen öffneten sich, und sie war so verblüfft, dass sie im ersten Augenblick kein Wort sagen konnte. Wie kam der Mann dazu, ihr einen so teuren Pullover zu kaufen? Sie kannte ihn doch gar nicht. Da blickte sie ihm fest ins Gesicht.

      »Sie irren sich gewaltig, mein Herr. Ich bin nicht so eine, wie Sie denken. Ich bin ein anständiges Mädchen. Schenken Sie Ihre Sachen einer anderen. Ich danke!« Und hochmütig den Kopf aufgerichtet, schritt sie davon. Sie sah nicht mehr, wie der Mann ihr nachblickte, dann gleichgültig die Schultern zuckte und weiterging.

      Noch lange hatte sich die Erregung nicht gelegt. So machen sie es also, dachte sie ingrimmig bei sich. So einfach, und diese Kerls glauben doch tatsächlich, nur weil sie Geld haben, fiele ein Mädchen auf sie herein. So eine Frechheit!

      Doch ein ganz kleiner Stachel saß im Herzen und bohrte. Warum eigentlich nicht?, sagte die innere Stimme. Du hättest ihn dir kaufen lassen können und wärst dann auf Nimmerwiedersehen davongegangen. Du hättest einen schicken Pullover für nichts bekommen.

      Ob ich Werner davon erzähle?, grübelte sie weiter. Nein, Werner würde vielleicht böse werden und womöglich denken, sie habe den Herrn herausgefordert. Nun musste sie sich aber wirklich beeilen. Habe ich auch alles eingekauft? Sie dachte nach, ach, den Reißverschluss musste sie ja noch besorgen. Für den roten Rock. Den konnte sie gleich hier um die Ecke bekommen. Sie kramte in der Einkaufstasche nach der Geldbörse. Sie kam nicht zum Vorschein. Hastiger wurde gesucht, es dauerte nur ein paar Minuten, da wusste Anja, dass die Geldbörse nicht mehr vorhanden war. Entweder hatte sie sie verloren, oder irgendeiner hatte sie aus der Tasche gestohlen.

      Ihre Knie wurden weich.

      Mit Macht krallte sich die Angst um ihr Herz. Ihre Glieder wurden so schwach, dass sie sich an eine Hauswand lehnen musste. Heiß stieg es ihr zu Kopfe, und ein Brausen erfüllte ihr Innerstes. Ganz mechanisch suchten ihre Hände weiter, aber sie kamen leer zum Vorschein. Blicklos sah sie vor sich hin. Eben noch so glücklich, traf dieser Schicksalsschlag sie unbarmherzig. Fieberhaft überlegte sie den ganzen Hergang. Irgendwo musste doch die Geldbörse sein. Sie konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! An diese Hoffnung sich klammernd, rannte Anja den ganzen Weg zurück. Sie keuchte und fühlte Schmerzen in ihrer Brust. Dort war schon das erste Geschäft. Aber man schüttelte nur bedauernd den Kopf. Man hatte nichts gefunden und liegengeblieben sei auch nichts. Diese Antwort bekam sie überall.

      Taumelnd verließ sie das letzte Geschäft, bleich und verstört. Was soll ich nur machen, was soll ich nur machen? Bei jedem Schritt sagte sie dasselbe.

      Das junge Mädchen fühlte sich rein kopflos. Doch es half alles nichts, sie musste jetzt endlich nach Hause.

      Ganz mechanisch gingen ihre Füße diesen Weg. Sie hatte einfach aufgehört zu denken. Wie ein kalter Klumpen lag die Angst in ihrem Magen.

      Was sollte sie Werner sagen?

      Dort war ihre Straße. Sie überquerte sie, betrat das Haus, stieg in den Fahrstuhl und ließ sich bis zum 6. Stock fahren. Hier war ihre kleine Wohnung. Fast zögernd schloss sie die Wohnungstür auf. Aber alles war noch still und dunkel. Werner war also noch nicht zu Hause. Eine kleine Gnadenfrist.

      Unruhig ging sie auf und ab.

      Vierhundertfünfzig Mark waren in der Geldbörse gewesen. Werner hatte sie ihr am Morgen gegeben. Fünfzig Mark für den Haushalt, bald war ja der Erste. Und die vierhundert Mark sollte sie bei der Post einzahlen. Für die Möbel. Sie schluchzte leise auf. Nein, sie konnte ihrem Mann nichts von diesem Verlust erzählen. Sie konnte es einfach nicht. Er schuftete sich so ab, versuchte ihr alles recht zu machen, und sie verlor das sauer verdiente Geld.

      Vor einem Jahr hatten sie geheiratet, als sie einundzwanzig wurde. Werner war schon dreißig und viel reifer, und das liebte sie ja so an ihm. Er war Vertreter für Büroartikel und musste sich erst seinen Bezirk aufbauen. Hier oben im Hochhaus hatten sie ihr kleines Nest aufgeschlagen, geschmackvoll und nett. Aber beide hatten kein Geld gehabt. Sie mussten alles auf Raten kaufen, die Möbel, Teppiche und das Auto. Werner brauchte es nötig. Sie mussten sehr sparsam leben und konnten sich nicht viel leisten. Er sprach immer davon, wenn alles bezahlt sei, würde alles anders werden. Jetzt ging das noch nicht.

      Werner war in diesen Dingen so gewissenhaft. Und nun hatte sie das Geld verloren. Unmöglich, ihm das mitzuteilen!

      Sie saß auf dem Küchenstuhl und grübelte nach. Plötzlich klingelte das Telefon. Anja schrak mächtig zusammen. Langsam ging sie in den Flur und nahm den Hörer ab.

      »Ja, hier bei Renner!«

      »Anja, bist du es?«

      »Ja!«

      »Hier ist Werner, hast du schon auf mich gewartet?«

      Ihre Stimme kam ihr selbst fremd und kalt vor. Sie erkannte sich selbst nicht wieder.

      »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen, musste fürs Abendbrot noch etwas einkaufen. Wo bist du?«

      »Liebling, ich rufe an, weil ich heute nicht nach Hause kommen kann. Ich habe hier noch eine Besprechung, und morgen muss ich noch weiter in den Süden. Ich komme erst übermorgen nach Hause. Bist du mir sehr böse, dass ich dich so lange allein lasse?«

      Das kam schon öfter mal vor, und sie hatte sich auch schon daran gewöhnt.

      »Nein, ganz bestimmt nicht, wirklich nicht, Werner!«

      Der Mann schwieg eine Sekunde.

      »Du, deine Stimme klingt so seltsam. Ist was?«

      »Nichts, Werner, was soll denn sein. Ich halte dir die Daumen, dass du gute Geschäfte machst!«

      »Danke, Liebling, das kann ich gut gebrauchen. Heute ist aber auch alles schiefgegangen, darum bleibe ich auch hier und spare die Benzinkosten. Du bist mir doch wirklich nicht böse?«

      »Nein, wirklich nicht!«

      »Ich weiß nicht, du bist so anders. Aber vielleicht macht das auch nur die Entfernung. Durch das Telefon ist die Stimme so fremd. Was wirst du machen, wenn ich nicht da bin?«

      »Ach«, sagte sie, »irgendetwas. Ich gehe dann eben früh zu Bett.«

      »Liebling,

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