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man wieder zu ihren Eltern. Dort blieb sie jedoch nicht allzu lange. Bereits einige Monate später ging sie wieder anschaffen. Diesmal auf eigene Rechnung.

      Katharina verließ die Bar und trat hinaus auf die Straße. Es regnete. Die Detektivin ging zu ihrem Wagen, setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Motor.

      8

      Das soll ein Verlag sein?, dachte Katharina, als sie ihren VW-Golf vor dem Gebäude abstellte. Hatte Julia ihr wirklich die richtige Adresse genannt? Tatsächlich wirkte die Bezeichnung ‚Verlag‘ etwas hochtrabend, wenn man vor der heruntergekommenen Werkhalle mit der fast abgeblätterten Firmenaufschrift stand. Reinhold Mirschels Geschäfte schienen allerdings gut zu laufen. Trotz der frühen Abendstunde liefen unüberhörbar die Druckmaschinen.

      Da sie nirgendwo ein Hinweisschild zum Chefbüro entdecken konnte, öffnete Katharina eine der schweren Stahltüren zur Druckerei und trat ein. Ohrenbetäubender Lärm schlug ihr entgegen. Deshalb war es auch nicht weiter verwunderlich, dass bei dieser Geräuschkulisse keiner der vier Männer auf die Detektivin aufmerksam wurde. Sie ging auf einen jungen Blondschopf zu, der gerade eine Farbwalze reinigte, und tippte ihm auf die Schulter. Ruckartig fuhr der athletisch gebaute Mann herum und starrte die Frau an, als wäre ihm ein Wesen aus einer anderen Welt erschienen.

      „Können Sie mir sagen, wo ich Herrn Mirschel finde?“, erkundigte sich Katharina.

      Ihr Gegenüber grinste und zeigte ihr durch eine Geste, dass er kein Wort verstanden hatte. Erst als Katharina ganz nah herantrat und ihre Frage am Ohr des Arbeiters wiederholte, nickte der junge Mann und deutete auf eine Galerie am entgegengesetzten Ende der Halle, zu der ein Dutzend Stufen hinaufführten. Zwischen den mannshoch gestapelten Blecheimern mit Farben, die dort gelagert wurden, war eine stählerne Feuerschutztür mit der Aufschrift ‚Büro‘ zu erkennen.

      „Danke“, sagte Katharina.

      Ohne Umschweife kehrte der junge Mann an seine Arbeit zurück und kümmerte sich nicht weiter um die Besucherin. Dafür wurden zwei andere Beschäftigte aufmerksam, als Katharina schon die Stufen zur Galerie hinaufstieg. Die Detektivin nahm wütende Schreie wahr, wandte sich auf dem oberen Treppenabsatz um und sah den Männern mit teilnahmsloser Miene entgegen. Beide trugen blaue Overalls, waren etwa Mitte dreißig und breitschultrig.

      „Was wollen Sie da oben?“, brüllte der Stärkere von beiden gegen den Maschinenlärm an, sobald er das untere Ende der Treppe erreicht hatte. „Verschwinden Sie, sonst machen wir Ihnen Beine.“

      „Ich möchte mich mit Herrn Mirschel unterhalten“, klärte Katharina ihn auf.

      „Der Chef ist nicht da. Kommen Sie morgen wieder“, gab der Mann im Overall zurück.

      „Ihr Kollege am Eingang sagt aber etwas ganz anderes“, entgegnete Katharina. „Deshalb möchte ich mich gerne selbst davon überzeugen, ob Herr Mirschel anwesend ist oder nicht.“

      „Den Teufel werden Sie tun!“, schrie der Mann wütend. „Raus hier!“

      Gleichzeitig machte er Anstalten, die Stufen zu erklimmen und die unerwünschte Besucherin gewaltsam zur Umkehr zu bewegen. Dabei erging es ihm jedoch wie schon vielen vor ihm. Er unterschätzte die Detektivin bei Weitem. Mit einer lässigen Bewegung verpasste Katharina dem Mann einen Tritt gegen den Solarplexus. Mit einem pfeifenden Geräusch, das allerdings im allgemeinen Lärm unterging, gab der Breitschultrige seinen gesamten Vorrat an Atemluft von sich. Dabei verdrehte er die Augen, wurde schlagartig leichenblass und knickte in der Hüfte ein.

      Sein Vorhaben, die Frau an die frische Luft zu setzen, schien dem Mann nicht mehr wichtig zu sein. Für ihn kam es jetzt darauf an, einen Halt zu finden und das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Zwar bekam er für Augenblicke das Treppengeländer zu fassen, doch dann verließen ihn Sinne und Kräfte fast gleichzeitig. Stöhnend gab der entmutigte Angreifer auf und ließ sich in die Arme seines Kollegen fallen. Dieser wurde von dem ungestümen Aufprall derart überrumpelt, dass er selbst die Balance verlor. Beide landeten rücklings auf dem Betonboden der Halle.

      Katharina wollte ihren Weg zum Büro fortsetzen, doch der junge Blonde und der vierte Kollege waren Zeugen des Zwischenfalls geworden und hatten ihre Maschinen im Stich gelassen. Bewaffnet mit schweren Schraubenschlüsseln kamen die Männer herangestürmt und schienen fest entschlossen, die Aufgabe ihrer ausgeschiedenen Kollegen zu übernehmen. Seelenruhig ließ Katharina das Duo näherkommen, bevor sie dem Stapel Farbeimer neben der Treppe einen wohldosierten Fußtritt versetzte.

      Augenblicklich neigte sich der blecherne Turm. Für den athletisch gebauten Blonden und seinen untersetzten Kollegen war es zum Bremsen zu spät. Unversehens gerieten sie mit den Füßen zwischen die rollenden Farbeimer und vollführten eine doppelte Bauchlandung. Trotzdem dachten die beiden nicht daran, ihr Vorhaben aufzugeben. Sie kamen sofort wieder hoch, griffen nach den Schraubenschlüsseln, die ihnen entfallen waren, und starteten eine neue Attacke.

      Inzwischen hatte Katharina schon die nächsten Eimer in Bewegung gesetzt. Dumpf schlugen die Blechbehälter auf die Stufen. Dabei lösten sich mehrere Deckel, und ein Schwall roter Druckfarben ergoss sich über die Treppe. Die Männer konnten nicht mehr ausweichen. Vergeblich ruderten sie mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, doch es war schon zu spät. Als hätte ein unsichtbarer Riese ihnen die Beine unter dem Körper weggefegt, absolvierten beide einen formvollendeten Salto und stürzten zu Boden.

      Katharina wandte sich der Bürotür zu. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter, schob ihren Kopf durch den Spalt und blickte in den fensterlosen Raum, der durch zwei Neonröhren erhellt wurde. Die Einrichtung von Mirschels Büro versetzte sie in Erstaunen. Luxuriöse Orientteppiche bedeckten den Boden. Ölgemälde von nicht unbeträchtlichem Wert zierten die Wände. Hinter dem imposanten Schreibtisch aus dunklem Mahagoni erhob sich eine massive Schrankwand bis zur Decke. Der mittlere Teil war als Bar eingerichtet.

      Hinter dem Schreibtisch saß ein korpulenter Mann in einem viel zu engen Anzug. Als Katharina eintrat, erhob er sich sofort aus seinem Ledersessel.

      „Was soll das?“, erkundigte er sich.

      „Sind Sie Reinhold Mirschel?“

      „Und wenn?“

      „Mein Name ist Katharina Ledermacher. Ich bin Privatdetektivin und möchte Ihnen gerne einige Fragen stellen.“

      „Verschwinden Sie. Ich habe kein Interesse daran, irgendwelche Fragen zu beantworten.“

      „Das sollten Sie aber. Wenn erst die Polizei auftaucht, könnte es sehr unangenehm werden.“

      „Polizei? Worum geht es überhaupt?“

      „Um Fotos“, antwortete Katharina. „Um genau zu sein, es handelt sich um Nacktfotos von Minderjährigen.“

      „Ach, diese alte Geschichte meinen Sie?“, vergewisserte sich Mirschel. „Ich dachte, das wäre längst ausgestanden.“

      „Was verstehen Sie unter ‚alter Geschichte‘“, hakte Katharina nach.

      „Ich habe den Namen vergessen“, schickte der Mann voraus. „Aber es handelte sich um die Tochter eines Staatsanwalts. Angeblich enthielt eins der von mir verlegten Magazine Bilder des Mädchens. Das kann überhaupt nicht sein, weil ich das Material bei einer Agentur in Stockholm eingekauft habe.“

      „Das Mädchen hat sich auf den Bildern erkannt“, hielt Katharina ihm entgegen. „Angeblich wurde sie unter Drogen gesetzt, während man die Bilder von ihr machte.“

      „Ich weiß“, nickte Mirschel. „Aber ich kenne weder den Fotografen, noch habe ich eine Ahnung, davon, unter welchen Umständen die Fotos entstanden sind. Das habe ich doch alles schon der Polizei erzählt. Warum wird der Fall jetzt wieder aufgewärmt?“

      „Wird er nicht“, sagte Katharina. „Ich untersuche einen anderen Fall, in dem ein Mädchen gezwungen wurde, sich für anstößige Fotoaufnahmen zur Verfügung zu stellen.“

      Mirschels Mundwinkel

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