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Noch nie hatte sie in solcher Eile den Weg zurückgelegt.

      Als sie ankam, stand Claudia oben am Treppengeländer mit verweintem Gesichtchen. Karla sah in der Wohnung nach, Veras Bett war unberührt. Sie klingelte die Nachbarin heraus und fragte diese nach Veras Arbeitgeber. Karla rief sogleich dort an und verlangte die Freundin zu sprechen. Sie war nicht anwesend, und man wollte wissen, ob denn Frau Celler heute noch einmal käme.

      »Ich weiß es nicht«, sagte Karla leise.

      Die ganze Zeit über hielt sie mit einem Arm die Kleine umschlungen. Sie fühlte sich erbärmlich. Dann gab die Frau am Apparat weiter Auskunft.

      »Frau Celler ist nur zwei Stunden geblieben. Sie hat gesagt, sie könne Claudia nicht so lange allein lassen.«

      Karla sah in die Augen des Kindes. Sie schwammen in Tränen.

      »Wo ist meine Mami?«

      Karla hatte ein Würgen in der Kehle.

      »Liebling, ich gehe sie suchen. Du bleibst jetzt so lange bei der Nachbarin. Ich bin bald wieder zurück.«

      Da stand sie nun auf der Straße und hatte das scheußlichste Gefühl seit Jahren im Magen. Wo sollte sie Vera suchen? Da fiel ihr ein, sie konnte sich vielleicht bei Verden einen Rat holen.

      Sofort fuhr sie zum Präsidium. Sie musste sich durchfragen und fand endlich sein Büro. Verden musste geholt werden. Wieder verstrichen Minuten. Dann kam er schließlich und war erstaunt, Karla im Büro vorzufinden.

      »Ist etwa wieder was passiert?«

      Sie hörte gar nicht auf seine Worte, sondern sagte hastig: »Sie müssen mir einen Rat geben. Ich weiß nicht mehr weiter.«

      »Das ist zwar nicht meine Aufgabe, aber dann los damit. Ich habe nicht viel Zeit.«

      Karla sprudelte hervor, was sie bedrückte. Der Kommissar hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

      »Hast du denn noch keine Zeitung gelesen?«

      Sie starrte ihn an.

      »Ich habe verdammt wenig Lust zum Scherzen, Humbert, ich suche meine Freundin.«

      Er schlug die Zeitung auf. Der Mörder hatte wieder einen Menschen getötet.

      Karla starrte auf die balkendicken Überschriften und schluckte. Dann hob sie ganz langsam das Gesicht und blickte ihn verzweifelt an.

      »Was willst du damit sagen?« Sie merkte nicht, dass sie ihn duzte.

      »Wo ist sie gestern hingegangen?«

      Sie nannte die Adresse der Freundin und die der Kollegin. Er stand auf, ging zur Straßenkarte und betrachtete sie genau.

      »Es könnte hinkommen. Karla, ich möchte dich mitnehmen.«

      »Wohin denn?«

      »Zum Leichenschauhaus.«

      »Nein, das kann ich nicht.«

      »Wir haben keinen Hinweis dafür, wer sie ist. Karla, sie muss es ja nicht sein. Vielleicht ist es eine fremde Tülle. Es ist alles drin. Bitte!«

      »Es ist nicht Vera«, sagte sie eiskalt.

      »Wieso bist du dir so sicher?«

      »Er bringt doch nur Dirnen um, nicht wahr?«

      »Bis jetzt, ja!«

      »Vera ist keine Dirne.«

      »Komm erst mal mit mir.«

      Sie saß neben ihm im Wagen. Tausend und abertausend Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Wo war Vera? Sie verstand nicht, dass sie nicht an Claudia gedacht hatte. Besaß sie doch einen Freund? Mochte sie deswegen das mit dem Geschäft nicht? Wollte sie ihr noch nicht die Wahrheit sagen?

      »Wir sind da.«

      Sie stieg aus. Hölzern war ihr Schritt.

      Die Gänge waren gekachelt, eine Eiskälte ging von den Wänden aus, dazu die Männer in weißen Kitteln. Ihr war übel. Da fiel ihr ein, sie hatte ja noch nicht mal Kaffee getrunken, geschweige gefrühstückt. Gleich kippe ich aus den Pantinen, dachte sie. Herrje, mein Magen knurrt fürchterlich.

      Da stand die Bahre mitten im Raum.

      Ein Laken bedeckte die Leiche.

      »Vor gut drei Stunden wurde sie gefunden.«

      Ein Mann stand neben der Bahre. Der Kommissar gab das Zeichen, und er hob das Laken.

      Karla stand neben dem Kommissar und starrte in das Gesicht der Toten. Erwürgte sehen nun mal nicht gut aus.

      Die Dirne wusste nicht, dass sie es war, die hysterisch wurde und sich wie eine Tolldreiste gebärdete. Sie schlug blind um sich, tobte, schrie, und der Schrei brach sich an den gekachelten Wänden, kam tausendfach zurück. Aus allen Räumen kamen sie angerannt.

      Ein Arzt war zur Stelle. Karla bekam eine Spritze, man setzte sie auf einen Stuhl. Sie sah die Männer vor sich. Ganz langsam hörten die Schreie auf. Ihr Kopf fiel auf die Tischplatte. Dann spürte sie etwas Heißes und Salziges. Sie weinte nur noch.

      Verden stand bei ihr, hatte den Arm auf ihre Schulter gelegt.

      »Vera«, stammelte sie nur. »O Vera, Vera, Vera!«

      »Es ist deine Freundin?«

      Aus der Tiefe ihres Herzens tauchte die Erkenntnis, und dann wusste sie es: Vera war tot!

      Ein verrückter Mörder hatte sie erwürgt.

      Sie dachte an Claudia, an Vera als Freundin, an ihre herrliche Freundschaft. Vor Stunden hatten sie noch gelacht und waren glücklich gewesen, und jetzt war sie tot.

      »Claudia, o mein Gott!«

      Wieder strömten Tränen über das Gesicht.

      »Geht es wieder ein wenig?«

      Der Kommissar brachte sie ins Präsidium zurück, ging mit ihr in die Kantine, bestellte ein Frühstück und einen Schnaps für sie, einen doppelten. Sie wurde ruhiger. Man wunderte sich über Verden, dass er hier mit einer Luxus-Tülle herumhockte und nicht an die Arbeit ging, den Fall zu lösen.

      Karla brauchte lange, ehe sie wieder reden konnte. Sie musste Auskunft über alles geben. Als sie wieder an Claudia dachte, sprach sie auch darüber.

      »Unsere Beamtinnen werden sich um das Kind kümmern.«

      »Was heißt das?«

      »Solange sich keine Verwandten melden, Karla, muss die Kleine in ein Heim gebracht werden.«

      »Nein«, schrie sie auf.

      »Doch, das ist die Vorschrift.«

      »Das dürft ihr nicht tun, erst verliert sie die Mutter und jetzt das.«

      »Wer soll sich denn um sie kümmern, Karla?«

      »Ich will das tun.«

      Er blickte sie ruhig an.

      »Karla, ich glaube, das wird nicht gehen.«

      Sie sah auf ihre Hände.

      »Sie war keine Dirne, sie war keine Dirne«, sagte sie immer wieder. »Warum hat er sie getötet?«

      »Vielleicht war es ein Versehen?«

      Sie wurde fast hysterisch.

      Dann fuhren sie mit dem Lift nach oben. Die Beamtinnen waren schon verständigt.

      Karla war noch wie gelähmt. Der Kommissar sprach auf sie ein, sie sah ihn an und erkannte ihn nicht. In ihrem Herzen war ein großer Schmerz. Sie konnte und wollte die Ungeheuerlichkeit nicht glauben.

      Dann hörte sie Stimmen um sich, und auf einmal wurde sie gefragt: »Ist es nicht besser, Karla, wenn du nicht mitgehst? Frau Brand wird

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