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In all den Jahren. Barbara Leciejewski
Читать онлайн.Название In all den Jahren
Год выпуска 0
isbn 9783862823727
Автор произведения Barbara Leciejewski
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
„Ich bin der Vermieter und weil ich jetzt wieder in München bin, habe ich Eigenbedarf angemeldet.“
David schob mich hinein.
„Ich hoffe, du hast ein adäquates Getränk zu Hause“, sagte er zu Finn. „Und damit meine ich nicht Bier.“
„Ich hab noch eine Flasche Champagner drüben“, sagte ich, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
„Dann hätten wir damit schon drei“, sagte Finn.
„Das sollte fürs Erste genügen“, meinte Norbert und machte es sich im Ohrensessel gemütlich.
Nachdem wir alle mit Gläsern versorgt waren und angestoßen hatten – auf mich natürlich –, wurde ich endlich meine Fragen an Finn los.
Was war mit New York? Wieso war er wieder in München und wie lange blieb er? Warum hatte er nicht Bescheid gesagt?
Erst als ich diese Frage gestellt hatte, wurde mir klar, dass sie irgendwie seltsam klang, denn so enge Freunde waren wir ja nun auch nicht gewesen. Gar keine richtigen Freunde eigentlich, nur Nachbarn. Außer, dass es sich immer so angefühlt hatte, als wären wir Freunde. Außerdem hatte ich seine Pflanzen gegossen und er hatte mir dafür den Kopf beim Kotzen gehalten, das verband natürlich.
Finn jedoch fand die Fragen nicht ungewöhnlich. Er hatte niemandem Bescheid gesagt, außer natürlich seiner Mutter und seinem Bruder, der das mit seiner Wohnung geregelt hatte. Zwei Tage vorher, also am Freitag, war er eingetroffen, hatte als Erstes an meiner Tür geklingelt, doch ich war ja nicht da gewesen. Dafür hatte er am Samstag David getroffen, der sich um meinen Alfred gekümmert und ihm bei dieser Gelegenheit erzählt hatte, was mir am nächsten Tag bevorstand.
„Ist doch klar, dass ich mir das ansehen wollte“, meinte Finn. „David hat dann noch eine zusätzliche Karte organisiert. Wir saßen übrigens in der ersten Reihe.“
Fast hätte ich mich an meinem Champagner verschluckt. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn ich die drei, vor allem Finn, zufällig gesehen hätte.
„Ja“, fügte David hinzu, „ich glaube, einmal hab ich sogar etwas Spucke von dir abbekommen.“
„Ihr Idioten!“, rief ich, als die drei lauthals lachten.
„Ich spucke nicht“, protestierte ich. Es entstand eine aberwitzige Debatte darüber, ob ich spuckte, wer von den anderen Schauspielern spuckte und dass Norbert grundsätzlich das Sprecherpult so einnässte, dass neben der Cutterin ein Handtuch bereit lag. Wir grölten vor Lachen.
Ich konnte mich irren, aber zwischendurch meinte ich, Frau Obermoser mit dem Besenstiel gegen die Decke poltern zu hören.
Als zwei Flaschen Champagner geleert waren, rief David für sich und Norbert ein Taxi.
„Gute Nacht, mein Schatz“, sagte David zu mir und gab mir einen Kuss auf den Mund. „Du bist eine Granate.“
Norbert nahm mich in den Arm, wie es mein Vater hätte tun sollen, wenn er da gewesen wäre. Er drückte mich an sich und flüsterte mir ins Ohr: „Ich bin so stolz auf dich. So, so stolz.“ Dann gab er mir einen Kuss auf die Wange und ging mit David die Treppe hinunter.
Finn und ich standen im Treppenhaus und sahen ihnen nach.
„Hast du nicht etwas von einer Flasche Champagner in deinem Kühlschrank gesagt?“, fragte Finn, bevor wir wieder an den Punkt kamen, an dem wir nicht wussten, wie es weitergehen sollte.
Da war es wieder, dieses breite Grinsen mit geschlossenem Mund, das ich so vermisst hatte. Ich grinste zurück, nickte und holte die Flasche aus dem Kühlschrank.
„Eigentlich wollte ich die mit Alfred trinken“, sagte ich, als ich mich zu ihm setzte und er einschenkte.
„Ist das dein Freund?“, fragte er direkt, aber ohne jeden Unterton in der Stimme.
„Alfred ist dein Farn“, sagte ich. „Ich hab ihn Alfred genannt, weil … einfach so halt. Ich unterhalte mich mit ihm und ohne Namen kann ich ihn ja nicht ansprechen.“
„Ach so“, sagte Finn. Er fläzte sich aufs Sofa und ich kuschelte mich mit angezogenen Knien in den riesigen Ohrensessel, in den ich zweimal reingepasst hätte.
„Außerdem, was wäre das für ein Freund, der sich heute Abend nicht hätte blicken lassen?“, gab ich zu bedenken.
„Stimmt“, pflichtete er mir bei. „Also, kein Freund?“
„Wieso willst du das wissen?“, fragte ich.
„Einfach so, weil ich was über dich erfahren will“, sagte er schlicht.
„Also gut“, sagte ich. „Nein. Ich habe keinen Freund. Es gab durchaus Interesse, aber der Interessent war mir etwas zu …“ Wie sollte man das ausdrücken?
„Zu?“
„Zu … interessiert.“
„Aha“, sagte er nur und bevor er weiterbohren konnte, fragte ich: „Und du? Freundin? In New York?“
Er nippte an seinem Glas und sagte: „Ja.“
Ich war baff. „Tatsächlich?“
Er sah mich an. „Wieso nicht?“
„Ja, klar, wieso nicht“, bestätigte ich rasch. „Und jetzt?“, hakte ich nach.
„Ich bin hier und sie ist dort“, sagte er.
„Es ist aus, oder was?“, fragte ich.
„Ja. Ich wollte wieder zurück“, sagte er.
„Sie hätte mitkommen können, oder?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Ich passe nicht in ihre Welt und sie nicht in meine.“
Er setzte sich auf und wurde nachdenklich.
„Ich hab nicht nach New York gepasst, weißt du? Es ist toll und alles, aber es ist nicht meine Welt. Das hier ist meine Welt.“
Ich verstand ihn. Es hatte keine Sekunde gegeben, in der ich ihn mir in dieser Riesenstadt hatte vorstellen können.
„Und jetzt?“, fragte ich. „Hast du ein gebrochenes Herz?“
Er lachte und meinte: Nein, jetzt sei es wieder heil. Dann lehnte er sich wieder zurück und legte bequem die Beine hoch.
Wir tranken schweigend unseren Champagner, doch es war nicht einen Moment lang unangenehm. Ich dachte an unsere erste gemeinsame Autofahrt und wie peinlich ich damals seine mangelnde Kommunikationsbereitschaft empfunden hatte. Ich musste lachen. Er fragte worüber und ich sagte es ihm. Er lachte auch und meinte, dass ihm so etwas nichts ausmachte und dass ihm fast nie irgendetwas peinlich sei.
„Das kann ich allerdings bestätigen“, sagte ich in Anspielung auf unsere erste Begegnung. Er schmunzelte.
Dann wollte er wissen, wie ich an die Rolle in Augsburg gekommen war. Ich erzählte davon, wie Norbert mich unermüdlich motiviert und mir schließlich ein Vorsprechen bei Kleinholz und Buchner besorgt hatte. Dabei erwähnte ich auch, wie es dazu gekommen war, dass ich den Hamlet-Monolog lernte.
„Markus Hansemann“, sagte ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme, „den Namen wirst du dir merken müssen.“ Anschließend machte ich eine angewiderte Grimasse und schüttelte vehement den Kopf, um meiner wahren Meinung deutlich Ausdruck zu verleihen.
„Wer weiß?“, orakelte Finn. „Es gibt doch überall Leute, die mit ihrer Schrägheit und mit heißer Luft Karriere machen.“
„Ja, das stimmt“, gab ich zu, „aber die meisten von diesen Leuten haben zumindest gewaschene Haare und saubere Klamotten.“