Скачать книгу

unsicheres, verklemmtes Hascherl. Ich blickte in den Spiegel und sah eine hübsche Frau mit großen, glänzenden Augen und geröteten Wangen. Nichts an ihr sah aus wie ein Hascherl. Die neue Elsa Frank, dachte ich, die eigentliche Elsa Frank, der funkelnde Kern unter der farblosen Schale.

      Die Tür ging auf und knallte gegen meinen Rücken.

      „Oh, Tschuldigung, Elsa“, sagte die Garderobiere Martina und huschte mit ein paar Kostümen an mir vorbei. „Ziehst du dich rasch um? Ich muss das dann alles wegräumen. Und du willst doch auch zur Premierenfeier.“

      „Ja, klar“, sagte ich und verwandelte mich zurück vom gefeierten Star der Vorstellung in ein kleines, gehorsames Mäuschen. Soviel zu der neuen Elsa.

      Ich machte mich rasch frisch, legte ein wenig neues Makeup auf, kämmte meine Haare und zog das enge, schwarze Kleid an, das ich mir für diesen Anlass geleistet hatte. Zum Schluss zwängte ich meine Füße in die neuen High-Heels und überlegte sofort, wie lange ich sie wohl ertragen konnte. Meine restlichen Sachen packte ich in die große Tasche, die ich mitgebracht hatte, und bat Martina, sie beim Pförtner für mich zu hinterlegen.

      Dann schnappte ich mir meine Handtasche und begab mich ins Foyer, wo die Feier stattfand. Als ich durch die Tür trat und man mich bemerkte, hob sofort wieder Applaus an und weil ich nicht mehr auf der Bühne stand und in meinen privaten Sachen war, machte mich diese Aufmerksamkeit von allen Seiten höchst verlegen, auch wenn ich natürlich unglaublich stolz war. Doch es half nichts. Überall streckten sich mir Hände entgegen. Plötzlich schlangen sich ein paar Arme um mich und ich fand mich an der Brust von Andreas Kleinholz wieder, den ich noch nie zuvor so enthusiastisch gesehen hatte. Auch Buchner nahm mich in den Arm, doch ich hielt Ausschau nach meinen Leuten, nach David und Norbert. Ganz hinten an einem Ecktisch entdeckte ich sie. Sie strahlten und klatschten wie alle anderen. Ich wollte gerade auf sie zu stürmen, als ich direkt neben ihnen noch jemanden sah, der mir applaudierte, ein breites Grinsen im Gesicht. Jetzt, dachte ich, verlier ich den Verstand, jetzt hab ich schon Halluzinationen. Doch die Halluzination kam geradewegs auf mich zu. Und zwei Sekunden später lagen Finn und ich uns in den Armen.

      Es blieb zunächst keine Zeit, irgendwelche Fragen zu stellen, denn ständig war ich von Leuten umlagert, die mir gratulieren, mit mir über die Vorstellung reden oder mir einfach nur sagen wollten, dass ich die beste Shen Te war, die sie je gesehen hatten. Ich ging bei solchen Aussagen vorsichtshalber davon aus, dass diese Leute zumindest noch eine andere Shen Te kannten. Dann hielt der Intendant eine Rede. Es war keine dieser schwülstigen, nie enden wollenden, langweiligen Lobhudeleien, sondern eine äußerst amüsante Einlage, die zwar durchaus jede Menge Lob enthielt – sowohl für den Regisseur, als auch für das komplette Ensemble –, doch er verpackte es in witzige, kleine Pakete, auf jeden einzelnen der Erwähnten passgenau zugeschnürt. Es gab jedes Mal einen Lacher. Ich kam als Letzte an die Reihe und war nervös und gespannt, was er zu sagen hatte.

      „Und jetzt, verehrte Gäste – es tut mir leid, aber jetzt muss ich ernst werden, denn ich stehe in Ehrfurcht vor so viel Talent, wie es in Elsa Frank schlummert. Mit unserer Shen Te haben wir einen Rohdiamanten in unser Haus bekommen, von dem ich inständig hoffe, dass es nie jemand wagen wird, ihn zu schleifen und ihm seine natürliche Schönheit und Strahlkraft zu nehmen. Ich kann an dieser Stelle, verzeihen Sie mir bitte diese Einfallslosigkeit, nichts anderes tun, als mich von ganzem Herzen dafür zu bedanken, dass Frau Frank uns mit diesem Talent und mit diesem Abend beschenkt hat.“

      Wenn David nicht zufällig gerade wie ein Fels in der Brandung neben mir gestanden und den Arm um mich gelegt hätte, ich wäre wahrscheinlich umgekippt. Mit brennenden Wangen nahm ich erneut den Applaus entgegen, doch ich wollte mich lieber verkriechen. Dass ich das alles erleben durfte, konnte ich immer noch nicht fassen. Wie war das möglich? Ich war doch … nichts eigentlich. Jedenfalls sicher nichts Besonderes. Es fühlte sich so seltsam an, so als wäre gar nicht ich gemeint, als wäre alles eine große Verwechslung. Der Intendant war fertig mit seiner Rede und forderte alle dazu auf, den gelungenen Abend noch ausgiebig zu feiern. Ich setzte mich zu Finn, David und Norbert an den kleinen Ecktisch und hoffte darauf, ein wenig zur Ruhe zu kommen, als zwei Mädchen, Teenager, vielleicht vierzehn oder fünfzehn, zögernd mit einem Programm auf mich zukamen und schüchtern fragten, ob sie ein Autogramm haben könnten. Dabei hielten sie mir das Heft und einen Stift entgegen.

      Ich starrte sie ein paar Sekunden lang an. Ein Autogramm? Ich? Weil ich mich nicht regte, nahm Finn das Programm entgegen und fragte die beiden Mädchen nach ihren Namen.

      „Lisa“, sagte die eine und „Simone“, die andere.

      „Also, Lisa und Simone“, sagte Finn, „ihr beiden bekommt jetzt etwas ganz Besonderes. Hebt es gut auf, denn irgendwann wird es sehr wertvoll sein und dann könnt ihr es teuer verkaufen.“

      Dann drückte er mir den Stift in die Hand, schlug die erste Seite des Programmheftes auf, wo genügend Platz zum Schreiben war, und sagte: „Das allererste Autogramm von Elsa Frank.“

      Die beiden Mädchen quietschten unterdrückt vor Aufregung, ich kam wieder zu mir und musste lachen. Ich schrieb: Für Lisa und Simone in Erinnerung an Elsa Frank. Klein und in Klammern dahinter: Hiermit erkläre ich, dass dies mein erstes offizielles Autogramm ist.

      Ich gab den beiden das Heft und den Stift zurück. Sie bedankten sich und quietschten noch mehr. Es war herrlich.

      Ein Kellner kam mit einem Tablett vorbei, auf dem Sektgläser standen, und David reichte jedem von uns eins.

      „Auf unsere Elsa, Brecht hätte sie geliebt“, sagte er bombastisch und wir ließen die Gläser klingen. Ich platzte fast vor Neugierde und konnte es nicht erwarten, Finn endlich danach zu fragen, wie er hier so plötzlich hatte auftauchen können, doch ich hatte keine Chance. Als Nächstes wurden wir von den beiden Andreassen belagert, die wilde Pläne machten, wo ich künftig unterzubringen sei. Ein festes Engagement? Nur an einem großen Haus, besser Stückverträge an guten Häusern, vielleicht ein Tourneetheater, aber ein gutes. Mir brummte der Schädel und ich wollte eigentlich gar nichts davon hören. Nicht jetzt, nicht an diesem Abend.

      Zum Glück verabschiedeten sich die beiden bald. Nach ihnen kam Pavel an unseren Tisch, redete über die Aufführung und fragte ganz nebenbei, ob ich Lust hätte, demnächst wieder etwas mit ihm zu machen. Er hätte da was im Auge, noch nicht ganz spruchreif, aber wir würden in Kontakt bleiben. Er würde sich melden.

      „Klar“, sagte ich, „jederzeit.“ Ich war völlig erschöpft.

      Ich kippte meinen Sekt hinunter und bekam sofort von irgendwem ein neues Glas vorgesetzt. Am liebsten hätte ich mich in eine Ecke gelegt und geschlafen.

      Plötzlich stand Norbert auf und sagte: „Lasst uns hier verschwinden. Das wird jetzt alles ein bisschen viel.“ Er zog mich auf die Füße und ich folgte ihm willenlos, David und Finn hinterher. Nachdem wir beim Pförtner meine Sachen abgeholt hatten, gingen wir zu Davids neuem Kombi, der in einer Seitenstraße nahe dem Theater stand.

      Ich wurde nach hinten verfrachtet, Norbert setzte sich neben mich, während Finn auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

      Noch bevor ich meine drängenden Fragen stellen konnte, war ich eingeschlafen.

      Ich wachte erst auf, als David vor unserem Haus den Motor abstellte.

      „Da sind wir“, sagte er und drehte sich zu mir um. „Na, ausgeschlafen?“

      „Sind wir zu Hause?“, fragte ich und sah mich dabei um.

      „Wo denn sonst? Wir wollen doch in Ruhe noch ein bisschen feiern, oder?“

      „Aber meine Wohnung ist nicht aufgeräumt“, protestierte ich.

      „Deswegen gehen wir ja auch in meine“, sagte Finn und stieg aus.

      „Du hast keine Wohnung mehr“, rief ich ihm aus dem Wagen hinterher. Norbert holte meine Sachen aus dem Kofferraum, während David mir die Tür aufhielt.

      „S. Schulze ist ausgezogen, weil der Vermieter Eigenbedarf angemeldet hat“, erklärte ich.

      „Stimmt“, sagte Finn.

      „Na

Скачать книгу