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Stelle?“

      „Welche Sie wollen, ich hab die ganze Rosalinde drauf.“

      „Im Ernst?“

      „Ich lerne schnell und es bleibt lange in meinem Gedächtnis.“

      „Okay, irgendwas“, sagte Kleinholz, während Buchner sich wieder auf der Schreibtischkante niederließ.

      Ich wählte Rosalindes Rede an Phoebe und verwandelte mich in die als Mann verkleidete Frau, die sich, noch während sie dem Mädchen kräftig ins Gewissen redet, weil es rüde einen verliebten Schäfer abgewiesen hat, damit konfrontiert sieht, dass sie selbst plötzlich zum Objekt der Begierde Phoebes wird.

      Es war eine komische Szene und ich benutzte die beiden Herren als Anspielpartner, wobei ich Buchner die Rolle Phoebes zudachte und Kleinholz, die des in Phoebe verliebten Schäfers.

      „Oh, blöder Schäfer, warum folgt Ihr ihr?“, kostete ich weidlich aus und erntete prompt das Gelächter Buchners.

      Am Ende klatschte Buchner in die Hände, doch ich hatte bereits mitbekommen, dass es Kleinholz war, den ich rumkriegen musste, und der saß da und verzog keine Miene.

      „Ich möchte den Hamlet hören“, sagte er plötzlich.

      Meinen Hamlet. Meinen Monolog.

      Ich setzte mich hin und konzentrierte mich auf die größte Frage des Menschen: Sein oder nicht sein.

      Ich vergaß die beiden, den beigen Raum, den Schreibtisch, alles und ich wurde so sehr eins mit dem Text, dass er aus mir herauskam, als wäre er erst in mir entstanden, in diesem Moment und als mein ureigener Konflikt. Ich endete mit „Still!“, dann hob ich den Kopf und sah Kleinholz ins Gesicht.

      Was ich sah, war blanke Fassungslosigkeit. Er griff zum Telefonhörer, wählte eine Nummer und sagte: „Hallo, Georg, Andreas Kleinholz am Apparat. Ich schicke euch die Tage jemanden und wenn ihr klug seid, besetzt ihr sie.“ Er sagte noch ein paarmal „Ja, … ja, … ja …“ Dann legte er auf, tauschte mit Buchner einen Blick und sagte zu mir: „In Augsburg suchen sie eine Shen Te, weiß der Geier, warum die selber keine haben, aber sie haben nun mal keine. Ist nicht viel Zeit zum Textlernen, Anfang März geht’s los. Vorsprechen ist Formsache. Wenn ich sage, die ist gut, die passt, dann wird das auch was.“

      Ich war sprachlos. Kleinholz stand auf.

      „Haben Sie die nächsten Tage Zeit?“

      Ich nickte, natürlich würde ich Zeit haben, außer es wäre gerade Weltuntergang.

      „Ich mache den Termin in Augsburg aus und dann fahren wir da zusammen hin. Ich will sichergehen, dass die keinen Scheiß bauen.“ Er reichte mir die Hand. „Ich rufe Sie an.“

      Ich legte wie betäubt meine Hand in seine, sagte, es sei okay und bis dann, und verließ das Zimmer. In der Farborgie außen kam ich wieder zu mir. Ich hatte mich in meinem Schockzustand nicht einmal von Buchner verabschiedet. Ich musste sofort Norbert anrufen. Ich sollte mir vielleicht so ein Handy leisten. Ich würde … auf der Bühne in Augsburg … Shen Te. Mir wurde schwindlig. Ich musste mich damit beruhigen, dass ich die Rolle ja noch gar nicht hatte. Ich konnte es immer noch vermasseln. Wahrscheinlich sogar. Typisch ich eben. Nein. Nicht typisch ich. Ich war gut gewesen. Ich war so gut gewesen. Und in Augsburg würde ich wieder gut sein. Ich würde sie alle umhauen.

      ‚Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss,

       es muss ein guter da sein, muss, muss, muss.‘

      Was soll ich sagen? Ich bekam die Rolle. Zum Vorsprechen hatte ich den Schlussmonolog vorbereitet und vorsichtshalber noch zwei weitere Stellen, eine, in der ich Shen Te spielte, und eine nach ihrer Verwandlung in Shui Ta. Dann stand ich allein auf der großen Bühne und wartete. Drei Männer steckten im Zuschauerraum die Köpfe zusammen, schließlich erhob sich einer und sagte: „Die Proben beginnen am 2. März. Wenn Sie mit nach oben kommen, können wir gleich den Vertrag machen.“

      Kleinholz begleitete mich und drei Stunden später saß ich mit meinen beiden Agenten in ihrem beigen Büro und stieß auf mein Engagement an. Weitere zwei Stunden später tat ich das gleiche in der Kantine des Studios mit Norbert und David, die ich von meinem neuen Handy aus sofort angerufen hatte.

      Die Zeit bis März wurde ganz schön hart für mich, denn ich hatte nicht nur jede Menge Text zu lernen, sondern musste auch noch die restlichen Aufnahmen der ersten Staffel als Briggs hinter mich bringen. Die Aufnahmen für die zweite Staffel waren erst für Mai geplant, sodass es perfekt zu meinen Theaterterminen passte, denn Premiere würde am 26. April sein.

      Ich konnte mich an keine Zeit in meinem Berufsleben erinnern, in der ich ein komplettes halbes Jahr schon vorausgeplant hatte. Bisher hatte ich immer von Tag zu Tag gelebt, allenfalls von Woche zu Woche. Auch finanziell ging es mir nicht gerade schlecht. Mein Kühlschrank war bemerkenswert viel bunter bestückt als sonst. Und in meinem Kleiderschrank hing so manches Teil, das ich vorher im Schaufenster gelassen hätte. Zudem gönnte ich mir eine Lederjacke, die ich mir schon immer gewünscht hatte, und einen Friseurbesuch, der in einem erstaunlich pfiffigen Schnitt resultierte. Und in jeder freien Minute lernte ich Text.

      An meinem Geburtstag, am 14. Februar, war ich im Studio. Ich hatte keinem Menschen gesagt, dass ich Geburtstag hatte, es war mir nicht so wichtig, sogar meine eigenen Eltern vergaßen gelegentlich zu gratulieren und mein Bruder schickte immer nur eine verrückte Karte. Ich würde mit Alfred, meinem treuen Freund, ein wenig feiern. Zu diesem Anlass hatte ich sogar mit meiner eisernen Regel gebrochen, Alkohol niemals alleine zu trinken, und mir eine Flasche Champagner besorgt. Immerhin wurde man nur einmal 29, im nächsten Jahr würde das Getränk viel bitterer schmecken.

      Als wir im Studio fertig waren, lud mich David noch auf einen Sprung in die Kantine ein. Ich sagte zuerst, ich müsse noch lernen, aber er legte mir den Arm um die Schulter und sagte: „Nur ein halbes Stündchen, ist doch Freitag und morgen hast du alle Zeit der Welt.“

      Ich ging also mit. Als wir in die Kantine kamen, gingen mir die Augen über: Da standen alle. Alle Beteiligten der Produktion inklusive Aufnahmeleiterin, Cutterin und Tonmeister, alle Sprecher und dazu eine riesige Geburtstagstorte und alle sangen laut: Happy Birthday. Unnötig zu sagen, dass mir sofort wieder die Tränen in die Augen traten. Ich hatte nicht das Geringste geahnt und ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie es herausgefunden hatten. Ich war so gerührt. Norbert kam auf mich zu und umarmte mich herzlich und David lachte schallend über die gelungene Überraschung. Später verriet mir Norbert, dass Buchner ihm den Tipp gegeben hatte, schließlich hatte er als mein Agent auch meine Daten.

      „Na, die sind ja vertrauenswürdig“, rief ich in gespielter Empörung. Aus der halben Stunde wurden mehrere, sodass ich erst weit nach Mitternacht zu Hause war.

      „Hallo Alfred“, sagte ich mit schwerer Zunge. „Wir trinken den Schampus ein andermal, okay?“ Dann fiel ich müde und glücklich ins Bett.

      Das Theater hatte mir ein Zimmer in einer kleinen Pension reserviert, damit ich nicht täglich hin- und herfahren musste, was ich vor allem Alfred zuliebe trotzdem häufig tat.

      Die Proben liefen großartig. Ich kam hervorragend mit allen Kollegen aus und auch der Regisseur war sehr angenehm und Gottseidank nicht annähernd so verrückt wie Markus Hansemann. Mein einziges Problem war das Singen. Es war zwar nicht nötig, dass man die Songs wie ein professioneller Sänger darbot, aber ich hatte den Anspruch, den Zuschauern zumindest keine Ohrenschmerzen zu bereiten. Ich bekam Extraproben für die Lieder und tat mich dabei mit Thomas Leithammer, dem Darsteller des Wang, zusammen. Gemeinsam übten wir und hörten uns gegenseitig zu. Beide waren wir nicht übermäßig begabt als Sänger, aber wir waren gute Schauspieler und gaben uns gegenseitig Tipps, wie wir unser mangelndes Gesangstalent kompensieren konnten. Ich spürte, wie ich täglich besser wurde. Es war das Befriedigendste, was ich je getan hatte.

      Anfang April begann ich zum ersten Mal, an die Premiere zu denken. Von da an erlitt ich immer wieder mal Anfälle von plötzlichem Herzflattern. Oder wurde von einem unangenehmen Magenkribbeln geplagt. Immer wenn ich daran dachte. Von mir aus hätte man die Aufführung ja einfach ausfallen

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