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Voll verkackt ist halb gewonnen. Tom Limes
Читать онлайн.Название Voll verkackt ist halb gewonnen
Год выпуска 0
isbn 9783401808277
Автор произведения Tom Limes
Жанр Учебная литература
Издательство Readbox publishing GmbH
»Hast du dir eigentlich mal angeschaut, was auf den Werkbänken der anderen lag, die sich eben so prächtig amüsiert haben?«, erkundigte er sich.
Hatte ich natürlich nicht.
»Wenn du so viel Stress hast, bekommst du nicht mehr mit, was um dich herum passiert.« Er sah mich abwägend an. »Wie viele solcher Situationen hast du schon erlebt?«, fragte er plötzlich. »Ich meine so Momente, in denen du irgendwas mit Zahlen, Formeln oder Winkeln machen sollst und plötzlich nichts mehr auf die Reihe kriegst?«
»Ich soll eine Zahl als Antwort geben?«
Hugo winkte etwas ungeduldig ab. »Ich will keine Zahl, sondern nur irgendwas zwischen ›nie‹ und ›unendlich oft‹.«
»Ausgesprochen knapp unter ›unendlich oft‹, würde ich sagen.«
»Und dann haut dich das immer noch um? Warum sagst du nicht einfach: ’tschuldigung, aber mit Zahlen kann ich nicht so?«
Jetzt sah ich ihn leicht angesäuert an. »Na toll, dann kann ich mir ja auch gleich Ich bin dumm auf die Stirn tätowieren.«
»Verstehe … mit deiner Strategie wirkt es also schlauer, was?« Hugo beugte sich zu mir vor, schaute mich eindringlich an und sprach ernst weiter. »Nur wer nicht fragt, obwohl es nötig wäre, ist dumm. Du und all die anderen, ihr seid hier, weil es bei euch bisher nicht rundgelaufen ist, und wir sind dafür da, euch dabei zu helfen, dass es nun besser wird.« Hugo nahm den letzten Zug, bevor er die Kippe ausdrückte und den in einer Holzwerkstatt bestimmt absolut verbotenen Stummel nebst meinem in seinen leeren Teebecher legte. »Wenn dir das zu anstrengend ist, kannst du dich aber natürlich auch gerne weiterhin …«, er sah mich vielsagend an, »… zudröhnen.«
Zudröhnen? Ich zuckte zusammen, aber der alte Holzi ging gar nicht weiter drauf ein. »Denk einfach drüber nach«, meinte er und komplimentierte mich mit einer knappen Bewegung nach draußen. »Wär ja auch gut, wenn du bei unserer Eifelfahrt in drei Tagen nicht direkt in so einen Paniktunnel gerätst, nur weil man dich mal einer zu ’ner Runde Mäxchen einlädt«, schob er noch zwinkernd hinterher und schloss die Tür.
Wie bitte?
Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Scheiße, die Dreitagesfahrt! Pfeiffer hatte kürzlich was davon geschwafelt, dass wir alle zusammen für drei Tage in den wilden Nationalpark Eifel abtauchen würden … irgendwann – aber doch nicht schon jetzt! Der Qualimist hatte mein gemütliches Leben ja so schon genug auf den Kopf gestellt. Ob mich wohl eine Entschuldigung meiner Mom ret…
»Na? Was machst du denn für ein Gesicht?«, rief mir jemand zu. »Freu dich doch, dass ihr diese Woche nur drei Unterrichtstage habt!« Pfeiffer ging mit einem breiten Grinsen an mir vorbei und verschwand dann in seinem Büro. Mist. Einen Brief meiner Mutter konnte ich nicht noch mal bringen.
Aber wie sollten meine zarten Hanfpflänzchen nur diese Abwesenheit überleben? Geschockt taumelte ich nach draußen und war so neben der Spur, dass ich auf dem Hof prompt mit jemandem zusammenknallte. Liza. Ausgerechnet. Da sie gut einen Kopf kleiner war als ich, muss ich sie voll mit meiner Schulter erwischt haben, doch sie lächelte tapfer.
»Oh, Mann, tut mir leid!«, rief ich erschrocken. »Aber sag mal«, ich legte meine Hand kurz auf ihren Arm, damit sie nicht direkt weiterdüste, »Hugo sagte da gerade was von Dreitagesfahrt. Ist die wirklich am Donnerstag?« Ich sah sie leicht verzweifelt an.
»Ja, ist sie allerdings. Wurde seit dem Qualibeginn ja auch erst ungefähr fünfhundert Mal erwähnt.« Liza hüstelte, diesmal aber eindeutig nur amüsiert. »Da hattest du wohl immer gerade mal kurz deinen Kopf auf den Tisch gebettet. Also … ich muss dann mal.«
Ich nickte, winkte ihr schwach zum Abschied zu und hing weiter meinen düsteren Gedanken nach, während ich mich rüber zum Matheförderkurs schleppte. Drei Tage mit dem Trupp.
Der Horror.
Liza
8 »Ey, Scheiße … hat einer Hotspot für mich? Mein Handy ist tot!«, kreischte Obertussi Elvira. Ich verdrehte die Augen, musste jedoch genau wie alle anderen direkt verstohlen mein eigenes Handy checken. So wie alle ächzten, schien keiner von uns Empfang zu haben.
»Ah … hatte ich das vergessen zu sagen?«, meldete sich Herr Pfeiffer. »Wir befinden uns hier in einem Funkloch.«
Dieses hier war eine Lichtung mitten in einem Wald, der sich wiederum inmitten des Nichts befand. Es war das Ziel unserer Dreitagesfahrt in die Pampa, deren Termin Julian anscheinend komplett verdrängt hatte – so verschreckt, wie er mir am Montag aus der Werkstatt entgegengestolpert war.
Jedenfalls bedeutete das nun: vierundfünfzig Stunden weg von zu Hause. Fünfzehn praktisch wildfremde Leute. Absolut keine Auszeiten für mich. Kein Handyempfang. Wie, bitte schön, sollte ich diesen Dauerstress aushalten?
»Ach, komm schon, das wird dir guttun«, hatte Ma noch gestern Abend auf mein Gejammer hin wenig überzeugend behauptet.
»Guttun?«, war meine gereizte Antwort gewesen. »Sollst du mir vielleicht noch schöne Grüße von Dr. Moiré bestellen?«
Dr. Moiré war die Therapeutin, zu der ich zuletzt nur noch unregelmäßig gegangen war, weil sie mich mit ihren ganzen unbequemen Fragen und Mutmachspielchen ziemlich stresste. Ma rief sie allerdings immer noch dann an, wenn sie mit mir nicht mehr weiterwusste. Und so einem Anruf hatte ich bestimmt auch die Tatsache zu verdanken, dass ich partout zu dieser Maßnahmenfahrt musste. Dabei war meine Mutter heute Morgen, als sie mit mir am Reisebus auf die Abfahrt wartete, eindeutig noch aufgeregter als ich.
»So, die Bande. Jetzt mal raus mit euch und schleppen!«, rief Hugo fröhlich, der natürlich auch mit dabei war, und ich beschloss widerstrebend, meinen düsteren Gedanken später weiter nachzuhängen. Die anderen hatten zwar genauso wenig Lust auf das Ganze wie ich, aber wie sich nun zeigte, würde der Bus selbst bei heftigstem Protest nur ohne uns umkehren. Also stiegen wir murrend aus und holperten mit Rollkoffern über feuchte, wurzelüberwucherte Wege zu einem Haus, das mitten auf einer Waldlichtung stand.
»Voilà … die Villa Foresta!«, rief Hugo und wies uns mit einer schwungvollen Verbeugung den Weg. Das war die Villa? Villa Foresta – das hatte so edel geklungen. Nicht wie dieses düstere, mit Efeu überwucherte, dreigeschossige Haus, auf das wir nun zugingen.
»Scheiß Villa! Scheiß Wald! Scheiß Idee!«, fluchte Elvira wenig überraschend – sie verdammte pausenlos alles, was ihren Minirock-, High-Heels- und Gelnagelkosmos bedrohte, und fühlte sich für ein anderes Leben berufen. Dass die Arme nun auch noch eine lebensbedrohliche Survivaltour mitmachen musste, schien sie endgültig zu überfordern. Endlich verschwand sie im Haus.
Ich atmete erleichtert aus.
»Chica, steht dir jemand im Weg oder warum bleibst du stehen?«, fragte Tariq, der direkt hinter mir stand. Nachdem er mittlerweile immer öfter die Quali schwänzte, hatte ich ja gehofft, dass er mir auch hier erspart bleiben würde, aber leider hatte er es wohl ausnahmsweise mal einrichten können.
»Oh, sorry«, murmelte ich. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich den Eingang zum Haus versperrte.
»Komm, mach mal Alarm und bell sie alle aus dem Weg«, schlug er vor. »Darin bist du doch Pro.«
Er freute sich über seinen Spruch, ich verdrehte wieder einmal die Augen, betrat dann aber endlich den Flur, einen engen, holzvertäfelten Schlauch mit hirschgeweihbehangenen Wänden.
Suchend sah ich mich nach unseren Zimmern um und schon kam Elvira wieder wütend in den Flur zurückgerannt.
»Die Zimmer sind total klein«, hechelte sie, »und muffig und«, sie legte eine kurze Atem- und Kunstpause ein, »… es gibt Spiiiinnen!«
Wenig später stand ich in einem kleinen Dreibettzimmer, in das Elvira mich zur Veranschaulichung der Spiiinnen gezerrt hatte, und musste ihr leider recht geben. Aber es gab echt Schlimmeres