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sechs Jahrzehnte später wird Großvaters Attraktion wieder zum Leben erweckt, kommt ihre Besonderheit beim Sichten alter Unterlagen mit der „Deutsche Uhrmacher-Zeitung, Juli 1941“ erneut ans Licht. Sie gibt einen interessanten Einblick in die Familiengeschichte der letzten zwei Jahrhunderte:

      Frieders Ur-Ur-Großvater, 1822 geboren, hatte den Bau der bewussten Uhr schon 1848 begonnen. Unfertig wurde diese gegen 1880 von dessen Schwiegersohn, Frieders Urgroßvater, Franz Knorr, fertig gestellt, ging aber nur fehlerhaft, blieb erneut unvollendet.

      Dieser Franz Knorr gründete eine wahre Uhrmacherdynastie. Alle vier Söhne errichteten in Ostthüringen, in Kraftsdorf, Weida, Roda und Schmölln Uhren-, Optik- und Goldwarengeschäfte.

      Der Zweite, Frieders Großvater Richard Knorr, geboren 1874, eröffnete sein Geschäft 1906 in Schmölln, welches er von Oskert Lückert übernahm, der nach Las Palmas auswanderte. Bereits 1912 konnte er den Altbau aufstocken und mit dem Turm am Markt 7 vollenden.

      Er erbte die unvollendete Uhr somit in dritter Generation und hat diese um 1920 zum Laufen gebracht. Das Besondere daran ist, dass das Uhrwerk nur aus drei Rädern und einem sogenannten „ Stiftscherengang“ besteht, so dass die drei Räder ohne Zwischenantrieb die Zifferblätter für Sekunden, Minuten und Stunden antreiben - eine wahre Rarität.

      Diese Standuhr schmückte noch 1933 als Ausstellungsstück die Druckerei Böckel vom „Tagesblatt“ auf der anderen Seite der Bahnschienen, gegenüber dem Stellwerk, welches für Frieder als Kind so interessant war. Dort, wo auch seine Großmutter Ernestine früher als Redakteurin schriftstellerte.

      Wieder musste mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen, bis ein Urenkel von Frieders Großmutter, väterlicherseits, also kein Nachkomme der Knorr-Familie, diese Standuhr im Möbellager Bude entdeckte, aufmotzte und zum Leben erweckte.

      Nach gütlicher Familieneinigung der väterlichen und mütterlichen Nachkommen wurde die Uhr der Blutsverwandtschaft zurückgegeben, tickt heute im Wohnzimmer von Frieders Neffen, einem Knorr´schen Urenkel in Jena. Dessen Ur-Ur-Ur-Großvater hatte das Werk 1848 begonnen, durfte es damals als vorgesehenes Meisterstück nicht weiter bearbeiten, weil die Arbeit vor dem offiziellen Prüfungsbeginn schon begonnen wurde.

      Winter 47/48, Kriegstagebuch Ernstine Bude:

      Wir haben, wie fast alle Mitmenschen keine Kartoffeln mehr, noch keine Butter, keine Nährmittel, keine Waschmittel, keine Schuhe.

      Die Leute vertauschen gegen Nahrungsmittel die notwendigsten Wäsche- u. Kleidungsstücke. Wir kauften in diesen Tagen 1 Ltr. Speiseölfür 400 RM, 1 Pfund Schwarztee kostet 1000 RM, 1 Pfund Weizen oder Roggenmehl 25 RM. Ein normaler Wochenlohn beträgt 40 - 50 RM. Die Zustände sind katastrophal. Die Arbeitsleistungen sinken, weil die Menschen keine Kraft mehr haben. Fast 3 Monate konnten wir infolge der großen Kälte nicht arbeiten.. Oster-Sonnabend, ich bekam von ganz fremden Leuten aus Brooklyn (New Yorker Stadtbezirk), die durch Zufall meine Adresse erhalten hatten, ein 8 kg Paket mit allerhand guten Sachen, die wir gar nicht mehr kennen.

      Zwei Jahre nach dem Schaukelbau neben der geschichtsträchtigen Uhr: Ohne Abschied blieb der Bruder weg! Gedrückte Stimmung, Mutti tröstet den kleinen Frieder:

      „Albrecht ist auf Handwerksburschen-Wanderschaft!“

      Als Geselle in Vatis Werkstatt angestellt, musste der auf den Lohn am längsten warten, bekam am wenigsten. Überhaupt war die Familie nicht durch die Tischlerei bevorzugt, eher benachteiligt. Mutter sagte immer: „Bevor Vati bei uns was macht, muss mindestens ein Donnerwetter von mir passieren und dann dauert es noch ein Jahr, bis alles fertig ist.“

      Albrecht war nach dem Westen abgehauen, wollte richtig Geld verdienen. Nur Mutti war eingeweiht.

      Wenige Wochen nach des Bruders Abwesenheit - die Schwester tat ganz geheimnisvoll: „Frieder, Du hast ein Päckchen mit der Post bekommen!“

      Das erste Päckchen, ganz allein für den achtjährigen Knirps?

      Klein, mit Packpapier fest verklebt. Auf dem Deckel konnte er seinen Namen buchstabieren. Etwas kleines Buckliges, braun und klebrig, mit durchsichtigem Glitzerpapier umwickelt, war eingepackt, sah aus, wie getrocknete Pflaumen, mit kleinen Körnern, schmeckte sehr süß - Feigen.

      Es war der Start der brüderlichen 40-jährigen Familienzusatzversorgung aus dem Westen.

      Brütende Sommerhitze zum ersten Wiedersehen in der Heimat. Das Freibad brechend voll. Albrecht, der große Bruder „aus dem Westen“ spielte mit Freunden „Turmhaschen“. Wie gern hätte Frieder dort mitmachen wollen, klebte förmlich am Beckengeländer, stolz jauchzend, wenn der Bruder dem Häscher entkam.

      Auf dem 3-Meterbrett standen die Jungs, bereit zum Springen. Sobald der Fänger die dritte Stufe der Leiter berührt, musste er über den Turm den anderen hinterher springen, einen der zum Beckenrand flüchtenden abschlagen. Alle hasteten dann zurück auf den Turm, der alte oder neue Fänger hinterher.

      Klatsch, klatsch, klatsch - in alle Richtungen hechteten sie in die warme Brühe. Albrecht, diesmal Fänger, sprang nach.

      Kurz tauchten sein Kopf, ein Arm auf, dann ging er unter. Alle lachten, dachten, er macht Spaß. Nur einer sprang zurück, zog Frieders Bruder an die Oberfläche, wissend, dass er ihn unter Wasser getreten hatte.

      Albrecht konnte beide Füße nicht mehr bewegen. Bis zum Bauchnabel gelähmt, wurde er auf die Bank gelegt. Später bugsierten sie ihn auf die Sitzfläche eines alten OPEL, mit welchem Vati vorfuhr. Es war schrecklich grausam. Der Fuß des Ausreißers hatte den Halswirbel gerammt. Durch den sitzenden Transport im OPEL staute sich Blut im Nervensystem. Dessen Folgen und die brütende Hitze der Tage im Krankenhaus gaben ihm den Rest.

      Das erste und einzige Mal, dass Vater weinte:

      „Heut Nacht geht es zu Ende, sagt der Arzt.“

      In dieser bewussten Nacht schlug unerwartet das Wetter um, kühl und frisch.

      Nach Wochen konnte Albrecht aufstehen, fuhr zurück nach Westen, den rechten Fuß bei jedem Schritt hinter sich herziehend.

      Der blockierte Nerv am Hals, unheilbar - ein Leben lang wird er behindert sein.

      Spärliche Erinnerungen an Vater werden erneut wach.

      Bis auf donnerstags und sonntags saß er abends bei der Mia oder „Prößdorfs“ beim Skaten. Obwohl ein guter Spieler, seine Skatfreunde aber weit begüterter, Großbauern, Fabrikbesitzer, ging die Spielerei doch ins Geld. Dies war immer knapp.

      Einmal brachte Vati ein großes Briefmarkenalbum mit, was er seinem Jungen klammheimlich zeigte. War er doch leidenschaftlicher Sammler. Vati muss dieses beim Skaten als Pfand für nicht bezahlte Spielschulden erhalten haben, was Frieder natürlich nicht wusste. Supermarken, große schöne bunte aus Ecuador und viele vollständige Sätze.

      Mehrere Tage lag das Album oben auf dem Küchenschrank. Öfter ist Frieder heimlich raufgeklettert, hat die Marken angesehen - als es immer noch da oben lag - einige stibitzt. Die Steckreihe im Album wieder mit den restlichen Marken aufgefüllt.

      Dann war das Album weg. - Wächst Gras drüber?

      Wochen später. Abends in der Küche sagt Vati: „Frieder, aus dem Album fehlen Briefmarken, es gehört nicht mir, hast du sie gemopst?“

      Das Skatpfand war eingelöst, die fehlenden Marken vom Schuldner moniert worden.

      Mutti guckte sehr vorwurfvoll. Frieder, der Lüge nicht fähig, gab mit rotem Kopf alles zurück.

      Viel hat der Vater nicht mit dem Kind gemeinsam unternommen, vielleicht ist ihm deshalb das Wenige besonderes in Erinnerung: Wie er an seinen skatfreien Abenden auf dem Sofa liegend ihn mit dem Kopf an sein Fußende lockte, blitzschnell die Decke von den Schweißfüßen mit ihren ekelhaft riechenden Socken zog, ihn mit deren stechendem Mief erschreckte.

      Komisch, trotzdem durfte in seinem Beisein keiner zum Abendbrot stinkigen Käse essen.

      Oder, wie er beim Sonntagsspaziergang nach Sommeritz mit ihm von

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