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DER ÜBERHEBLICHE. Dr. Friedrich Bude
Читать онлайн.Название DER ÜBERHEBLICHE
Год выпуска 0
isbn 9783347066786
Автор произведения Dr. Friedrich Bude
Жанр Сделай Сам
Издательство Readbox publishing GmbH
Es war eine verrückte Zeit: Tanzabend in Wildenbörden zum „Äppelball“. Des Pianisten erste Tätigkeit: möglichst alle Verkleidungen am Klavier entfernen, damit dessen röhrende Saiten trotz fehlender Lautsprecheranlage den Saal ausfüllen.
Gute Stimmung - links am Bühnenrand sitzen an langen Tischen die Bauern, hinten die Jugend, zwischendrin ein paar Einzelgänger.
Während traditionell aus den Körben die Äpfel auf die Saalfläche gerollt werden, torkelt ein Betrunkener mit blau-weiß längsgestreifter Fleischerkluft über das Parkett, steuert zum großbäuerlichen Tisch - nur Frauen saßen noch, die Männer waren an der Theke - zerrt eine Bäuerin auf die Tanzfläche. Im Nu war der Bauer da! Während Fleischer und Bauer sich auf dem Boden wälzen, sich prügeln, machen die Pärchen im Foxtrott-Schritt für die raufenden Mannsbilder artig Platz. Das Witzige, Edub hämmert gerade jetzt in die Tasten: „In der Spelunke - zur alten Unke…“ - eine filmreife Szene.
Die Schlussakkorde von „Auf Wiedersehen…“ sind verklungen, die letzten Biere getrunken: Vier Musiker zwängen sich in ein Taxi. Gitarre, Akkordeon, Gestänge für Schlagzeug, zuletzt noch Trommel und Pauke, von außen müssen gewaltsam die Türen zugedrückt werden - ab nach Hause.
Bezechte Heimkehrer versperren den Weg, Tumulte am Straßenrand. Die gestapelten, geschichteten Musikerwerkzeuge mit ihren eingepferchten Bedienern verbieten das Öffnen der Türen, versperren die Sicht. Edub klettert mühsam aus dem Fenster: Das Opfer der Prügelei liegt auf der Straße. Augen, Stirn und Nase, ein einziger Blutberg. Umringt von Heimkehrern wischt man dem Betrunkenen immer wieder die Augen frei. Es war aber nicht der Fleischer.
War das nun ein Äppel- oder ein Schlächter-Ball?
Die sich immer stärker durchsetzende Rock-Musik verlangte größere Lautstärken. Die Tonkünstler können mit ihren bescheidenen Musiziergerätschaften die Säle nicht ausreichend beschallen.
Wo bekommen wir eine doch so wertvolle und seltene Mikrofonanlage her?
Der von seinem rassigen Weib verlassene Kunstmaler und Farbenhändler aus Edubs Nachbarschaft besaß solch eine seltene Vorrichtung.
Er war eine geheimnisvolle Person, hatte die schönste Glatze und nach dem Krieg sogar eines der ersten privaten Autos der Stadt. Mit „Holzvergaser“, Edub erinnert sich noch an den kleinen Laster. Vorn ein eckiges Fahrerhaus für zwei Personen, dahinter war ein senkrecht stehender runder hoher und dicker Eisenofen angebaut, erst danach kam die Ladefläche. Am Eisenzylinder gab`s unten ein Loch mit Klappe. Man konnte sehen, wie der dort Holzscheite rein schob und ein helles Feuer brannte. Rohre führten nach vorn und hinten. Eigenartig, das Vehikel brauchte kein Benzin! Man sagte, er wäre auch Briefmarkensammler, was Edub damals besonders interessierte, traute sich dem im grauen Malerkittel am Auto hantierenden Nachbarn aber nicht zu nähern.
Jetzt mit 19 Jahren, war das anders. Beim Besuch der Bittsteller hatte der auf jugendlich aufgepeppte Kavalier diese in sein Wohnzimmer dirigiert, sie sollten am großen runden Tisch Platz nehmen.
„Was ist denn das! Mitten auf der blanken Tischplatte liegt ein Bündel Gummi-Fromms, wie die Verhütli genannt wurden, zusammen- und sogar aufgerollte! So eine Schweinerei, der will uns Jungchen gegenüber prahlen!“
„Es ist also doch was dran, an der Bezeichnung Liebeslaube neben unserem oberen Gartengrundstück!“ – Gerüchte? Jede Menge, von wegen „Briefmarken angucken“ -da gab´s wohl andere Spielchen. Zu dieser Zeit erzählte man, in der Pfarrgasse wäre ein Mini-Puff ausgehoben worden - wir hatten somit Weltstadtflair.
Der musikalische Genius bezahlte viel Geld für das Arrangieren seiner Kompositionen und Texte. Diese, seine „Schlager“ sollte die Jugend-Combo popularisieren, im Gegenzug den Tonverstärker nutzen dürfen. Kontrollierte der Maestro die Aufführung seiner Schöpfungen, inspizierte die Säle, hatte der jetzt elektronisch aufgepeppte Klangkörper blitzschnell die Noten parat, klimperte dessen Schnulzen. Er war zufrieden.
Schon zu Lebzeiten setzte sich der verkannte Künstler ein Denkmal. An der Friedhofmauer vor einem Grab prangt seine namentliche Grabplatte mit Geburtsdaten 1896, eingemeißelt mit der Würdigung "Schöpfer des Heimatliedes MEIN SCHMÖLLN". Das Sterbedatum fehlt auch später. Liegt er vielleicht gar nicht dort? Oder konnte er sich das nicht mehr organisieren? Sein Werk wurde wahrscheinlich nie öffentlich aufgeführt.
Die Schöpfung des wahren Heimatliedes gleichen Titels wurde einem Schuldirektor gewidmet, durch den Schulchor popularisiert, auf CD vertont.
Trotzdem - der Landschaftsmaler und Komponist bediente damals viele Klischees eines Künstlers.
8. März, Internationaler Frauentag. In der Tanzbar vom „Schwarzen Bären“, benachbart zum Haus mit Turm am Markt, werden die zu ehrenden Frauen in den Armen von männlichen Partei- und Gewerkschaftsfunktionären geschwenkt, zum Tanze aufgespielt. Erst gegen Ende kommt richtig Stimmung auf.
Der Anführer der Genossen, übermütig, angeheitert, beginnt auf der Bühne zu rocken - lässt die Hose fallen, lüftet seine angerauten weißen Unterhosen bis zum Knöchel. Politisch ein scharfer Hund mit deutlichen Worten. Der Wortdreher „Partärsekretei“ als Spitzname bewertete dessen Grammatik:
„Schestermann-Hosen an´haam´, un'n Feind off'm Dach, das könn' mer leid'n!“ wetterte der über das Tragen der westlichen Manchesterhosen und die in Richtung Klassenfeind gedrehten Antennen auf den Dächern.
War das alles eine Kacke! - aber damals für alle normal. Edub findet Spaß daran, sich derart proletarisieren zu lassen. Handwerksvater tot, Mutter jetzt werktätige Verkäuferin - was sollte noch passieren?
Der kleinbürgerliche Mangel war nun doch wohl behoben!
Denkste! sprach Vater Staat, du bist und bleibst ein Kapitalistensohn.
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