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das ich in unsere Beziehung hineingeschleppt hatte wie eine chronische Erbkrankheit, wie eine Behinderung.

      Meine Adoptiveltern Sabine und Thomas Crecelius hatten mich ein paar Wochen später als Adoptivkind entgegengenommen. Man hatte ihnen nicht viel über mich und meine kurze Zeit bei ihnen erzählt. Sabine und Thomas waren esoterische Schwärmer und von Beruf verbeamtete Lehrer, verbeamt (von Beamer), wie ich hervorbrachte, als ich sprechen lernte. Ihre Liebe für mich war aufrichtig. Doch ich wusste, dass es keine echte Elternliebe für mich geben konnte, einfach weil es keine echten Eltern für mich gab. Ich wollte wissen, von welchen Geschlechtern ich tatsächlich gezeugt, in welchem Mutterleib ich zu einem Menschenkind gediehen und aus welchem Schoß ich geboren worden war. Sabine und Thomas hatten versucht, mich davon abzubringen, mir vom Stamm der Menschheit gepredigt, zu der alle Menschen gehören und mich auf die Zwänge in sogenannten alten Familien hingewiesen. Sie ermahnten mich, stets meine angeborene Schönheit und Intelligenz zu schätzen. Sabine hatte mich manchmal einen orientalischen Prinzen genannt. Alice war in mein angeblich italienisches Aussehen verliebt. Doch das änderte nichts an meiner schmerzenden Sehnsucht nach der Wahrheit meiner wirklichen Herkunft. Das war meine Obsession, meine Schwäche. Sie hatte mich zu einem zweifelnden Menschen gemacht. Schon als Junge, mit den ersten Möglichkeiten meines gerade erwachenden Bewusstseins ausgestattet, hatte ich angefangen, leidenschaftlich an meinem Dasein zu zweifeln, so extrem, dass ich manchmal wirklich glaubte, ich sei nicht am Leben. Nichts schien wirklich real, alles war zweifelhaft, nur eine Illusion. Ich empfand mein Leben manchmal als Traum, aus dem man nicht aufwachen konnte. Man schlief von Tod zu Tod und träumte zwischendurch verwirrendes Zeug, das Leben eben. Nicht mal sich umzubringen ergab in diesem sinnfreien Flackern irgendeinen Sinn.

      Alice hingegen stammte aus einer uralten katholischen Familie, die in den Glaubenskämpfen des dreißigjährigen Krieges aus dem Böhmischen vor den Protestanten in die Hallertau geflüchtet war. Hopfenbauern und Landwirte seit Generationen. Sie besaßen eine Urkunde, der ihren ehemaligen böhmischen Besitz belegte und einen Stammbaum, der bis ins dreizehnte Jahrhundert reichte, über dessen Wahrheitsgehalt bei den zahlreichen Festen ihrer Sippe von ihren unüberschaubar vielen Verwandten lautstark debattiert wurde. Alices Familie führte seit vielen Generationen den Nachnamen Hammer. Als wir beschlossen zu heirateten, gefiel mir die Idee sofort: Carl Hammer. Es war mir sehr leichtgefallen, meinen sperrigen Namen Crecelius, den ich von Thomas und Sabine erhalten hatte, abzulegen, als wir die Ehe schlossen.

      Alice küsste mich aus meinen schwermütigen Gedanken.

      »Du kannst im Gegensatz zu mir frei phantasieren, von wem du wohl abstammst. Vielleicht kommst du aus einer feinen sizilianischen Familie und der Großvater unserer zukünftigen Kinder hat früher reihenweise Leute umgelegt.« Ich lächelte traurig. »Vielleicht bin ich ja Inder zu so und so viel Prozent. Ich sollte doch endlich einen genealogischen DNA-Test machen.« Alice hielt diese Tests für Augenwischerei, weil wir alle zu über neunundneunzig Prozent genetisch übereinstimmten. Aussagen zum Rest seien Spekulation. Sie seufzte. »Ein bisschen indisch oder italienisch sind wir alle. Du bist schön, ich liebe den Duft deiner Haut und den Glanz in deinen Augen, wenn du scharf bist.« Sie ließ ihre Hand ganz sanft auf der Mitte meiner Brust landen, spielte ein bisschen mit meinen Haaren, und legte dann ihr Ohr auf mein Herz. »Hörst du das auch? Bum, Bum, Bum. Darum geht’s, mein schöner, tapferer Mann, nur darum, nicht um die Vergangenheit. My heart is going boom boom boom, son, he said, grab your things, I've come to take you home.«, sang sie in mein Ohr, erregte meine abgeklungene Bereitschaft mit der Hand und führte mich ins Schlafzimmer.

      Sie war weicher als sonst. Kein vertrautes Gegenstemmen, keine Anspannung ihres Beckenbodens, nur Offenheit, Weichheit und Feuchte. Meine heftigen Stöße in ihre völlig verflüssigte Scheide liefen ins Leere. Ich hielt inne und suchte in diesem See nach Halt, nach einem Rand und Ufer. Aber Alice war so nass und geschmeidig, dass ich Angst hatte, in ihr zu versinken. Ich wusste nicht mal genau, ob ich noch steif war. Ich zog mich aus ihr zurück, setzte mich auf die Fersen und brachte meinen erschlafften Schwanz wieder hoch, was angesichts des Anblicks, den sie mir bot, zum Glück nicht lange dauerte. Sie lag mit geschlossenen Augen tiefenentspannt auf dem Rücken, bespielte ihre Lieblingsstelle und stöhnte leise. In einem derart abwesenden Zustand kannte ich sie bisher nur, wenn sie reichlich betrunken war und nicht mehr besonders interessiert an Sex mit mir. Ich drang wieder in sie ein, doch sie reagierte überhaupt nicht auf mich. Ihre völlige Selbstbezüglichkeit irritierte mich gleich wieder. Nach ein paar mechanischen Stößen verlor ich erneut die Lust, stieß mich ziemlich fest von ihren Oberschenkeln zurück und ließ mich aufs Bett fallen. Alice erwachte aus ihrer Trance. »Was ist los? Stimmt was nicht?« Sie stemmte sich hoch und brauchte eine Weile, um sich zurechtzufinden in der gewöhnlichen Realität von Frage- Antwortspielen, Positionsbestimmungen und Selbstbehauptungen, denn ich wollte mit ihr reden. Als sie begriff, was vor sich ging, womit ich ein Problem hatte, pfefferte sie erzürnt das Kopfkissen ans Kopfende unseres Ehebetts, stauchte und boxte es zu einem Sitzkissen zusammen, setzte sich mit angewinkelten Beinen drauf und sah mich reichlich angesäuert an. »Was ist los? Hm?« »Ich kann nicht. Ich komme mir vor wie ein Soldat auf Heimaturlaub, der am Abend, bevor er wieder an die Front muss, noch schnell ein Kind zeugen soll.«

      Alice explodierte, in mehreren Stufen. »Jetzt hör mal zu, Herr Hauptmann der Reserve. (Das war ich in der Tat.) Das ist jetzt echt nicht die feine Art. Ich habe gar kein Problem damit, dass du deine verdammte Pflicht für deinen Herrn und Meister Richard tust und an meinem Geburtstag ins Land der Fakire ziehst. Aber das ist doch auch wieder nur ein Vorwand. Du willst kein Kind. Nicht mal jetzt, nach unserem schönen Abend gestern. Ich habe es vergessen, warum es da, da, da und da auch nicht ging und wir nur Spaß hatten, aber jetzt kapier ich’s endlich. Du hast keine Lust drauf. Du willst kein Kind.« Sie musterte kühl mein schlaffes Glied, als spreche sie mit ihm. Ich errötete. Sie hatte unmissverständlich Recht. Mein Schwanz verstand das. Er kapitulierte vor ihrer völligen Hingabe und Erwartung. Er wurde zur Schnecke anstatt zum Tiger, der aus purem Vergnügen Schmetterlingen hinterherjagt und dabei sogar in den See springt. Ich konnte nicht genießen, wie meine Frau so dahinschmolz. Ich brauchte ihren straffen Körper und ihren wachen Geist, den festen Griff ihrer Hände, ihre geschickte Zunge, ihre rauchige Stimme, die pornografische Phantasien in die Arena hauchte. Ich brauchte das alles, um mich an ihr abreagieren zu können. Ich brauchte ihren Widerstand.

      Draußen ließ die Sonne keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass es Anfang Juli war. Ihr grelles Licht schlug die Schatten der Jalousielamellen wie Gefängnisgitterstäbe auf das Bettzeug. Eigentlich das perfekte Set für heftigen, schweißtreibenden Sex, aber ich sagte ziemlich deprimiert: »Lass uns aufstehen, einen Cappuccino trinken und dann sehen wir weiter.« Alice war brüskiert. Sie stand mit einem heftigen Schwung auf, baute sich vorm Bett auf, stemmte die Arme in die Hüfte und rang um Fassung.

      »Na schön, Carl, mein seltsamer, verstörter, eigenartiger Mann. Du kannst mich nicht lieben, wenn es drauf ankommt. Vielleicht fehlt dir etwas an mir, was ich dir nicht geben kann. Aber ich habe das Gefühl, niemand wird dir das jemals geben können, wonach du suchst: Halt im Leben. Vielleicht war es ein Fehler, darauf zu vertrauen, dass du in meiner Familie Heimat findest. Ja, du genießt es, nächtelang mit meinen Brüdern und ihren Kumpels zu pokern und vielleicht hast du mich geheiratet, weil du eigentlich meine Familie heiraten wolltest. Aber jetzt fehlt dir plötzlich die Lust, mit mir eine eigene zu zeugen. Ja, ich will eine eigene glückliche Familie mit dir und ertrage dafür sogar Richards dauernde Übergriffe in unser Privatleben. Er spendiert dir freie Tage, wenn es gerade passt. Er diktiert dir Wochenendeinsätze, wie es ihm beliebt. Er ruft dich hier um Mitternacht und in aller Herrgottsfrühe an und drängt sich mir mit seinen albernen Grüßen auf, die du natürlich immer brav ausrichtest. Aber Carl: Er hat weder vor dir noch vor mir wirklich Respekt. Flieg einfach nicht. Bleib hier. Ruf ihn an, sag ihm, dass du nicht geimpft bist, ach was, dass du krank bist, Fieber hast, Ruhe brauchst. Man kann nicht nach Indien fahren, wenn man Fieber hat und nicht geimpft ist. Sie lassen dich gar nicht einreisen. Man kann sich alles Mögliche holen. Gelbsucht, Typhus, Malaria, Tollwut.« Alice brach ihre Ansprache unvermittelt ab. Sie wirkte plötzlich hilflos, erschöpft und frustriert, als hätte sie mitten in der Blüte einen gemeinen, späten Frost abbekommen. Dazu hatte ich tatsächlich etwas Fieber und nahm seit über einer Woche Ibuprofen, wenn ich sie nicht gerade vergaß. Aber wegen eines leichten Fiebers konnte ich mich

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