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von zwei Euro, den Schlüssel. Molly kette ich an ein Baugerüst und mache mich auf, den 54 Meter hohen Turm zu erklimmen. Auf der ersten Hälfte führt mich eine steile, steinerne Wendeltreppe in die Höhe. Den Rest bewältige ich über eine knarrende Holzkonstruktion bis auf die Aussichtsplattform. Der Blick über die Stadt und die Donau ist atemberaubend. Das Wahrzeichen der Stadt, dessen Fresken und uralte Sagen von einem gewaltigen weissen Ross, einem tapferen Lauinger Krieger und dem «schönsten und grössten Weibsbild in ganz Europa» erzählen, beeindruckt Besucher seit über 600 Jahren. So steht es auf alle Fälle in der Tourismusbroschüre, die mir zusammen mit dem Schlüssel ausgehändigt wurde.

      Auch Dillingen ist ein Besuch wert. Hier trotte ich aber nur gemütlich durch die Altstadt. Der Weg führt anschliessend auf einem kiesigen Belag direkt der Donau entlang. Es ist richtig warm geworden und ich kann mich zum ersten Mal im T-Shirt fortbewegen. Auf dem Marktplatz von Höchstädt lasse ich mich für eine halbe Stunde bei der Eisdiele nieder. Genüsslich schlecke ich zwei Kugeln Eis, und zwar in den Geschmacksrichtungen Mango und Kirsch-Sahne.

      Nun treffe ich im regelmässigen Zwei-Kilometer-Rhythmus auf kleine Ortschaften. Bei Gremheim quert der Weg die Donau. Ich bin ziemlich geschafft und die Blase am linken Fussballen spüre ich wieder heftig. 38 km sind für heute genug und deshalb schlage ich mich am Ufer eines Weihers in die Büsche. Nachdem ich eingerichtet bin, beschäftige ich mich wie jeden Abend mit der Fusspflege. Die Fersen bereiten mir immer weniger Sorgen. Da hat sich in den letzten Tagen einige Hornhaut gebildet. Die schmerzende Blase stach ich bereits gestern auf und so drücke ich jetzt einfach auf die wunde Stelle. Im hohen Bogen spritzt plötzlich die Flüssigkeit aus dem prallen Ding. Ich beisse die Zähne zusammen und drücke bis die Sosse restlos draussen ist. Anschliessend kriegt die Stelle zum Desinfizieren eine kräftige Dusche mit dem Antiseptikum «Merfen» ab.

       Ein prächtiger Hecht an der Angel

       Tag 15: Sonntag, 19. Mai 2019, 35 km (437 km)

      Die Lage am Weiher könnte man sicherlich als romantisch beschreiben, doch die hier lebende Entenfamilie hat mich mit ihrem andauernden und lauten Geschnatter immer wieder aus dem unruhigen Schlaf gerissen.

      Auf einer schmalen, eigentlich verkehrsarmen Strasse geht es weiter. Aber an diesem lauen Sonntagmorgen herrscht erstaunlicherweise schon ab 8 Uhr sehr viel Betrieb. Fahren die Frühaufsteher zur Messe? Eine Stunde später komme ich diesem ungewöhnlichen Verkehrsaufkommen auf den Grund. Ein Bauernbetrieb veranstaltet einen Flohmarkt inklusiver Kleintierausstellung mit Verkauf. Die Besucher erfreuen sich am Frühschoppen. Der Grillmeister und der Mann am Bierzapfhahn arbeiten bereits auf Hochtouren. Ich kurve Mrs. Molly vorsichtig durch die tierische Ausstellung. Hühner und Kaninchen wechseln im Minutentakt ihren Besitzer. Irgendwie kommen wir uns ein wenig deplatziert vor und deshalb verabschieden wir uns nach kurzer Zeit von Menschenauflauf und Kleinvieh.

      Auf dem Stauwerk in Donauwörth steht ein Mann in voller Anglermontur. Die Fischerrute biegt sich gefährlich unter dem Gewicht seines Fangs. Er guckt ein bisschen verzweifelt in die Gegend und bittet mich um Hilfe. «Was hast du am Haken?» frage ich. «Einen Hecht, aber ich wollte eigentlich gar nix fangen …» Da staune ich nicht schlecht. Der Mann fährt mit seiner kompletten Ausrüstung an den Fluss, schmeisst seinen Köder ins Wasser und will eigentlich gar nichts rausziehen – also Sachen gibt es! Aber ich bin ja derart hilfsbereit und übernehme das Angelgerät des hilfesuchenden Fischersmanns. Der Hecht zappelt kräftig am Haken. Mit beiden Händen muss ich das Schuppentier in Schach halten! Ich ziehe das sich windende Tier vorsichtig ans Ufer, wo der Typ den Hecht mit seinem Netz anlandet. Der Fisch misst nahezu einen Meter. Ziemlich sicher wird er heute Abend bei diesem Herrn, der nicht weiss, ob er was fangen will oder nicht, in der Pfanne landen.

      Im Zentrum von Donauwörth lasse ich mich in einem hübschen Lokal nieder. Ich bestelle mir einen Kaffee und darf freundlicherweise mein Notebook an der Steckdose anschliessen. Gestern wurde es beim Tagebuchschreiben nämlich abrupt schwarz auf dem Bildschirm – kein Saft mehr.

      Ich werde von mehreren Passanten angesprochen. Eine gutgelaunte Dame fragt mich tatsächlich, ob ich ein Gummiboot dabeihabe. Ein Gummiboot? Zuerst will bei mir der Groschen nicht fallen, doch dann zeigt die Neugierige auf den lilafarbenen und wasserdichten Seesack, der auf der unteren Etage von Molly festgezurrt ist. Ich muss grinsen und erkläre der Lady, dass im vermeintlichen Schlauchboot Kleider, Schlafsack und weitere Utensilien untergebracht sind. Aber das ist ja eigentlich eine tolle Idee, mit einem aufblasbaren Schiffchen könnten Molly und ich die eine oder andere Ausfahrt unternehmen! Sich entspannt für einige Tage auf dem Fluss treiben zu lassen, das wäre es doch! Diese Option sollte ich für eine nächste Reise wirklich in meine Überlegungen einbeziehen.

      Ausgangs des Städtchens treffe ich am dritten Tag in Folge eine Frau, die solo mit dem Fahrrad unterwegs ist. Staunend versteht sie die Welt nicht mehr, dass ich sie schon wieder eingeholt habe. Sie wirkt ein wenig verzweifelt, kämpfte sie doch die letzten Tage mit der Kälte und zudem habe sie sich auch das eine oder andere Mal verfahren. Sie hört nicht auf zu jammern! Wegen all der anderen Touristen sei es auf dem Campingplatz viel zu lärmig gewesen. Ich mache ihr Mut, doch auch irgendwo im Wald zu übernachten. «Hat es da keine gefährlichen Tiere?» Ich muss schmunzeln und versichere der ängstlichen Radlerin, dass höchstens ein niedliches Rehlein oder ein harmloses Häschen vorbeischauen könnte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie überzeugen konnte und verabschiede mich.

      Später treffe ich einen Österreicher auf seinem Fahrrad. Er radle die gesamte Länge der Donau bis ans Schwarze Meer, erzählt er mir. Er hat nicht viel Zeit, aber für ein Selfie reichts, bevor sich Hans wieder auf sein Gefährt schwingt. Nach einer halben Stunde prangt ein Ortsschild am Weg, das mich äusserst anspricht: «Schweizerhof». Ein weiteres Schild wirbt für den gleichnamigen Biergarten um die Ecke. Das traumhafte Wetter bewog mich zeitig, die kurzen Hosen zu montieren und so steure ich das gutbesetzte Lokal an. Unter den schattenspendenden Bäumen ist es wunderbar kühl. Ja und wen treffe ich hier an? Es ist natürlich der «zeitlose» Hans, der bereits vor einem Mass Bier sitzt. «So kommst du aber nie ans Schwarze Meer», witzle ich. «Danke gleichfalls Christian!» Mit einem eiskalten Hellen geniessen wir gemeinsam unsere Rast. Ein Einheimischer am Nebentisch informiert mich, dass es ab jetzt ziemlich hügelig werde. Und so ist es auch. Es geht rauf und runter und der Schweiss fliesst in Strömen. Innert Minuten ist das T-Shirt völlig durchgeschwitzt. Ich schätze die Abwechslung aber sehr. Nur immer dem Fluss zu folgen, kann manchmal überaus monoton sein. Die Route führt mich durch mehrere Orte oberhalb der Donau. Die herrliche Aussicht über das Land entschädigt mich voll und ganz für die Strapazen. Mitten im Dorf Marxheim biege ich rechts ab, dann den Hügel hinunter und ein paar Minuten später hat mich die Donau wieder.

       Noch mehr Höhenmeter

       Tag 16: Montag, 20. Mai 2019, 24 km (461 km)

      Zuhause konnte ich einer Bekannten ihre reich illustrierten Donauradführer ausleihen. Die 920 km lange Fahrradroute zwischen Donaueschingen und Wien wird in diesen zwei dünnen Büchlein ausführlich beschrieben. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten werden erwähnt und auch ein Streckenprofil gehört zum Inhalt. Und dieses sieht für heute einige zackige Linien vor, fast wie der Börsenkurs an einem unruhigen Handelstag. Ich bin um 6 Uhr schon unterwegs. Ein gutes Stück schlängelt sich der Weg auf dem Damm der Donau entlang. Doch schnell ist fertig mit lustig. Auf einer Länge von mehreren Kilometern wird ein neuer Schutzwall gebaut. Wegen dieser Grossbaustelle wird der Radweg umgeleitet und deshalb kommt der eine oder andere Zusatzkilometer hinzu. Und dann beginnen die Steigungen. Zuerst nur kurze Strecken, doch ich komme gewaltig ins Schnaufen und Schwitzen. Ruppige Rampen durch den Wald werden durch den Kiesbelag, der sich wie Rollsplitt anfühlt, zusätzlich erschwert. Auf dieser Unterlage ist die Bodenhaftung nicht mehr allzu gut und ich mühe mich Stunde für Stunde durch die Gegend. Natürlich geht es zwischendurch auch wieder hinunter. Manchmal steiler, wie es hinauf ging und wie ihr wisst, ist das noch viel mühsamer. Die abschüssigsten Abfahrten bewältige ich sogar rückwärts, was zumindest meine Knie schont. Um Abwechslung in den knüppelharten Höhenkrampf zu bringen, fotografiere ich immer wieder hübsche Blumen am Wegrand. Auf diese Weise bringe ich den Puls behutsam in den grünen Bereich zurück.

      Noch vor dem

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