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die vorliegenden Analyseergebnisse zu dem bei diesem Masanao-Netsuke speziell verwendeten Elfenbein zur Sprache. Als in diesem Kontext, verknüpft mit den neuen Ergebnissen aus Grenoble, Teile des Dokuments ›Tod in Afrika‹ eingespielt wurden, machte Marco eine kleine Denkpause und fixierte seine Mitarbeiter eindringlich.

      »Und damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt etwas für die meisten von euch Neues ins Bild: In unserem Besitz befindet sich eine Schatulle mit verschiedenen Dokumenten und Objekten, die sich auf unser Netsuke zu beziehen scheinen. Der Text zum Ursprung des Elfenbeins, den ihr hier gerade in Auszügen gesehen habt, stammt aus dieser Quelle. Wie ich an diese Unterlagen kam, können wir ein anderes Mal besprechen, das muss nicht jetzt bei dieser teuren Session sein. Gerne heute Abend bei einem Abendessen im Science Club auf Ebene acht, den ihr vom Welcome Dinner ja schon kennt. Ihr seid meine Gäste und du, Xiaoding, bist ebenfalls herzlich willkommen, wenn es dir terminlich passt. Sagen wir um zwanzig Uhr?«

      Der dann folgende Teil des Vortrags behandelte konkrete Hinweise auf ihr spezielles Netsuke sowie einige Informationen zu Dokumenten aus der Schatulle. Hierbei spielte das System im Falle von Kalligrafien gedruckte Reinschriften sowie Übersetzungen wichtiger Passagen ins Englische und Deutsche ein, wie auch bei automatisch hierzu zitierten Quellen, die ursprünglich nur in anderen Sprachen vorlagen.

      Dann kam Marco zu einer Schlüsselstelle seiner Ausführungen.

      »Ihr seht, wir verfügen bereits über einen erstaunlichen Fundus an Fakten, aber auch Spekulationen, die genug Nahrung für unseren Forscherhunger bieten sollten. Aber da ist noch etwas, was ihr wissen solltet: Ich habe Grund zur Annahme, dass sich auf oder in diesem Netsuke, in welcher Form auch immer, eine versteckte Information befindet, die sich auf die Vergangenheit dieses Kunstwerkes oder seiner zeitweiligen Besitzer bezieht. Dies könnte mit dem Zeitraum in Verbindung stehen, in welchem sich dieses Netsuke über mehrere Generationen im Eigentum einer Samurai-Familie befand, welche bis ins neunzehnte Jahrhundert eine wichtige Rolle in der politischen Entwicklung Japans spielte. Es betrifft das Ende des Tokugawa-Shogunats und die letzten Daimyos, also Provinzfürsten jener Zeit.«

      Einige Vortragsteile hatten das Team bereits erstaunt, aber diese Aussage elektrisierte alle. Bei manchen von ihnen keimten Visionen einer Schatzsuche auf, bei anderen die einer historischen Sensation, die es zu entdecken galt, und wieder andere begannen zu verstehen, wieso vielleicht die erheblichen Forschungsmittel für ihr Vorhaben bereitgestellt wurden.

      Marco erläuterte dann die gesellschaftlich und wirtschaftlich schwierige ›Bakumatsu‹ genannte Zeit zwischen 1853 und 1867. In dieser Übergangsperiode kündigten Aufstände und Kriegswirren das nahe Ende des Shogunats an, also der Jahrhunderte langen Herrschaft von Militärregenten mit der Machtfülle eines Königs. Schließlich ging er näher auf die Meiji-Restauration im Jahr 1867 ein, wie die Wiederherstellung der obersten Regierungsgewalt durch den Kaiser und der Anfang neuer politischer Strukturen genannt wurde. Jene Veränderungen schufen die entscheidende Grundlage für ein sich der Welt öffnendes, modernes Japan. Während noch die letzten Bilder und Daten zum Tokugawa-Shogunat und der darauf folgenden politischen Umbildung im virtuellen Raum vor ihnen langsam aus dem Vordergrund in die weiter hinten liegenden Bereiche glitten, kam er zum Ende seines Vortrags. Der riesige Datenraum vor ihren Augen war gut gefüllt und dokumentierte eindrucksvoll, wie viele Informationen und Hinweise zu ihrem Untersuchungsobjekt vorlagen und es in den kommenden Monaten zu bearbeiten galt.

      »Ihr seht, wir werden alle unsere Kompetenzen gemeinsam einsetzen müssen, um diese verwirrende Sachlage zu verstehen und die richtigen Schlussfolgerungen für unsere Monographie über das Masanao-Netsuke zu treffen. Ich habe volles Vertrauen in euch, dass wir diesem mysteriösen Netsuke seine Geheimnisse entreißen werden und bin davon überzeugt, dass wir am Ende für unsere Anstrengungen angemessen belohnt werden. Nicht nur in materieller Hinsicht, obwohl wir mit unserer finanziellen Ausstattung und Vergütung in diesem Projekt sehr zufrieden sein können – sondern vor allem ideell und was unseren Wissenszugewinn betrifft. Lasst uns an dieser Stelle nicht mehr groß diskutieren, ihr seid sicher etwas erschlagen von dieser Informationsflut. Wir können heute Abend in weniger technischer Atmosphäre und bei einem guten Essen den einen oder anderen Gedanken aufgreifen und morgen früh die nächsten Schritte vereinbaren. Danke für eure Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt dir, Xiaoding, besonders herzlichen Dank für deine Unterstützung und deine geschätzte Anwesenheit.«

      Die Mitglieder von Marcos Team klopften begeistert mit den Fingerknöcheln auf die Seitenlehnen ihrer Sitze und fühlten sich fast überwältigt von dem Berg an Wissen zu ihrem Studienobjekt. In dieser Ausführlichkeit hatte das keiner von ihnen zu so einem frühen Projektzeitpunkt erwartet. Natürlich waren sie auch etwas überfordert von dieser fast genau zweistündigen, alle Sinne und volle Konzentration erfordernden Präsentation.

      Ihnen geisterten außerdem Ahnungen durch den Kopf, dass es neben den wissenschaftlichen Aspekten um dieses Netsuke auch manches Mystische zu geben schien. Vor allem Tomomi hatte wieder Gänsehautgefühle und wusste nicht so recht, ob das leichte Gruseln und die wohligen Schauer wegen dieser gespenstischen Verquickungen etwas Gutes waren. Auf wundersame Weise fühlte sie sich diesem Objekt plötzlich noch näher und geheimnisvoller verbunden als bisher.

      Gemeinsam brachten sie nach kurzem Abschied von Professor Wang den obligatorischen Security Check im Schleusenraum hinter sich. Erschöpft und aufgekratzt zugleich ging man zurück in die Büros, jeder ganz in Gedanken versunken. Insbesondere die Jüngeren unter ihnen fieberten schon dem Abend entgegen, denn es waren so viele Fragen offen und das Dinner mit Marco versprach spannend zu werden.

       Unerwartete Entwicklungen

      Die Atmosphäre im Penthouse des Tamagi Tower war angespannt. Die Stimmung von Yamagata Aritomo hatte sich seit dem Morgen völlig verändert, zum Leidwesen der beiden Personen, die in devoter Haltung und respektvoller Entfernung vor ihm standen und sich seine Vorwürfe ohne ein Wort des Widerspruchs anhörten. Hinter Yamagata stand mit versteinertem Gesicht ein Hüne von Mann, sein persönlicher Leibwächter. Die Stimme von Yamagata war anfangs beherrscht, dann schneidend und eindringlich und steigerte sich schließlich zu einem dröhnenden Stakkato. Er redete schon mehrere Minuten auf sie ein und ließ seinem Ärger freien Lauf.

      »Wenn ich das alles zusammenfasse, muss ich konstatieren: Ihr haltet mich für einen verblödeten Narren, der seine Anweisungen unpräzise und unüberlegt erteilt. Ihr glaubt, bei einer derartigen Angelegenheit sei es euch erlaubt, nachlässig und unsauber vorzugehen. Was interessiert euch irgendein ausländischer Wissenschaftler in irgendeiner Behörde, die nichts mit unseren Geschäften zu tun hat! Und wieso zahle ich für meine Nachrichtendienste eigentlich fast eine Milliarde Dollar jedes Jahr, um dann Bildmaterial zu erhalten, auf dem nichts zu erkennen ist?«

      Genau eine Stunde nachdem das Wissenschaftler-Team im UNTACH seine Sitzung an diesem Nachmittag beendet hatte, war Yamagatas persönliche Assistentin Naomi in sein Privatbüro getreten und hatte ihm mit sehr leiser Stimme mitgeteilt, dass es leider unangenehme Nachrichten gäbe. In Sachen Doktor Renke. Den Leiter des Tamagi-Sicherheitsdienstes und die Leiterin der IT-Abteilung hätte sie bereits herbeigerufen, Herr Abe Tomoji und Frau Michiko Keiko würden im Vorzimmer warten, für den Fall, dass er sie zu sprechen wünsche. Ein Briefing zu den unerquicklichen neuesten Entwicklungen sei auf seinem Wandbildschirm präsentationsbereit.

      Auf sein Nicken hin startete sie eine kurze, nur drei Minuten dauernde Präsentation mit Audio-Ausschnitten des Vortrags von Doktor Renke und einigen völlig unscharfen Fotos, auf denen eine Projektionswand mit unzähligen kleinen Bild- und Textelementen zu erahnen war. Abschließend wurden die zwei entscheidenden Aussagen nochmals als Text in japanischen Schriftzeichen wiedergegeben und gleichzeitig im englischen Originalton abgespielt. Es waren jene beiden Passagen, in denen auf die Schatulle eingegangen wurde und der Vortragende seine Vermutung äußerte, dass das Netsuke eine versteckte Botschaft enthalten könnte.

      Yamagata sprach während der Ausführungen von Naomi kein Wort und blieb auch anschließend eine Weile still. Er fixierte die Texte auf dem Bildschirm und dachte nach. Dann blickte er seine Assistentin gefasst und nicht unfreundlich an und gab seine Anweisungen: »Danke, Naomi. Warum kann man sich eigentlich heutzutage nicht mehr auf seine Leute verlassen? Nun gut, bitte lass meine beiden so erfolgreichen Führungskräfte

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