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Der Masanao Adler. Dieter R. Fuchs
Читать онлайн.Название Der Masanao Adler
Год выпуска 0
isbn 9783903161771
Автор произведения Dieter R. Fuchs
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Sie genossen eine delikate Steinpilzsuppe mit Croutons, dazu ein kleines Glas Gewürztraminer aus dem Elsass. Nachdem dieser vierte Gang genüsslich verspeist war, erzählte Marco weiter: »Leider blieben mir nur wenige Tage, bis die Spedition in Los Angeles mein Umzugsgut samt Schatulle abholte, um alles per Luftfracht nach Peking zu schicken. Gerade in dieser Zeit hatte ich sehr viele andere Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Abschluss meiner Forschungsarbeit bei Getty sowie diverse organisatorische Dinge mit dem UNTACH zu regeln. Deshalb konnte ich mich nicht so intensiv mit dieser Sache beschäftigen, wie ich es mir gewünscht hätte. Die erste Sichtung der Dokumente bestärkte mich jedoch in meiner Vermutung, dass hier tatsächlich eine Verbindung zum Masanao-Adler vorhanden sein könnte. Aber es blieben starke Zweifel, wie viele dieser Informationen einer wissenschaftlichen Betrachtung standhalten würden und ob ich mich nicht gedanklich verrannte. Vielleicht, weil ich inzwischen – nach doch erheblichem Aufwand – unbedingt an eine solche glückliche Fügung wider alle Vernunft glauben wollte!
Also, ihr Lieben, nun kennt ihr die illustre Geschichte um diese seltsame Schatulle, und morgen werden wir uns direkt am Objekt näher damit beschäftigen.«
Nach einem kräftigen Schluck vom gerade nachgeschenkten Elsässer Weißwein und der Beantwortung einiger weiterer Fragen aus der Runde seiner Mitarbeiter, ging Marco den letzten noch offenen Punkt seiner Ausführungen an und zog hierzu ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Jackentasche.
»So, ich bin euch noch die Erklärung schuldig, wieso an diesem Netsuke irgendeine Botschaft versteckt sein könnte. Auch das ist eine geheimnisvolle Angelegenheit, denn die Detektei in Berlin war auf einen weiteren Hinweis gestoßen. Als professionelle Kunstfahnder verließen die sich nicht auf die Kurzrecherche eines Studenten, sondern statteten der Witwe in Volkach einen persönlichen Besuch ab. Hierbei fanden sie einen Vermerk, der sich ins Jahrbuch 2017 verirrt hatte. Ich habe hier eine Kopie dieser Seite und will sie euch wortwörtlich vorlesen: Nachtrag zur Versteigerungsliste der Auktion vom 09.12.2016, Katalognummer 1659A, aufgeführt unter der Rubrik ›Drucke, Kalligraphie‹: Japanischer Surimono-Farbholzdruck, unsigniert, im Shikishiban-Format 19 x 20 cm, aus dem Besitz eines Daimyo der Tokugawa-Zeit, um 1830, Inhalt übersetzt durch Dr. Heinrich Forberg, Japanologe, Übersetzung ins Deutsche beigefügt. Der Text des Gedichts in diesem Surimono handelt von einem Adler, der über das jadene Wildpferd wacht und den listigen Affen besiegt. Sehr schöne Kalligraphie mit zentralem, kleinem Farbholzdruckbild im Format 6x8 cm, das einen sitzenden Adler mit seiner Beute darstellt. Auf der Brust des Adlers in einer Kartusche in japanischen Schriftzeichen: ›Ich behüte deinen Ort‹. Aufrufpreis 1400 Euro. Zuschlag an Bieter mit Bieternummer 28 für 1400 Euro. Handschriftlicher Vermerk des Auktionshauses: Das Blatt gehörte ursprünglich zu einem Konvolut aus einer beschnitzten Holzschatulle sowie diversen Dokumenten, welche unter Katalognummer 1659 am 06.06.2016 versteigert wurde.
Ihr könnt euch vorstellen, dass ich genauso konsterniert war, wie ihr jetzt, als ich diese Information erhielt. Ein Surimono, also ein Gedichtkunstdruck, war damals 2015 nicht enthalten, als ich die Schatulle in Würzburg durchsah. Der wäre mir in diesem Format sicher aufgefallen, zumal ich japanische Farbholzdrucke sehr schätze. Das wurde alles immer mysteriöser und zwar schon bevor wir mit der eigentlichen Forschungsarbeit losgelegt hatten! Natürlich kontaktierte ich sofort wieder die Detektei und wollte hinsichtlich dieser Druckschrift einen weiteren Suchauftrag erteilen, erhielt aber umgehend eine frustrierende Antwort. Man teilte mir mit, dass entsprechende Recherchen bereits unternommen worden waren. Mit dem Ergebnis, dass der Druck am Tag der Auktion gegen Barzahlung einer nicht mehr zu ermittelnden Person mit der Bieternummer achtundzwanzig ausgehändigt wurde und sich von diesem Moment an seine Spur verlor. Die Adressdatei zur Bieternummernvergabe von damals lag im Archiv des Auktionshauses nicht mehr vor. Einen Einlieferungsvermerk zu einem solchen Surimono gab es nicht in den Unterlagen, wie zu erwarten, da er wohl dem genannten Konvolut entnommen worden war. Keine Datenbank- und Archiv-Abfrage zu einem solchen Surimono hatte etwas ergeben. Die Suche nach dem damaligen Übersetzer führte zu nichts, da ein Japanologe dieses Namens nicht zu identifizieren war. Eine fotographische Dokumentation des Surimono war weder im Auktionskatalog noch in den Unterlagen des Auktionshauses vorhanden. Vom erheblichen Aufwand einer weiteren, intensiven Suche rate man ab, da die Erfolgsaussichten bei derartigen Objekten und dem gegebenen Faktenstand als sehr gering einzustufen seien.
Damit ließ ich es bewenden, schließlich waren bereits viele Ansatzpunkte für die Untersuchung unseres Objekts vorhanden. Derart schwer deutbare zusätzliche Spuren konnten gerne etwas warten, bis ich später Verstärkung durch euch bekommen würde, und das ist nun erfreulicherweise ja der Fall. Außerdem: Wir haben Zugriff auf das Netsuke und wenn es an diesem eine verborgene Botschaft gibt, dann werden wir sie finden! Frank, wie ist denn deine erste Einschätzung zu diesem Texthinweis? Du bist definitiv unser Experte auf diesem Gebiet!«
Frank nippte an seinem Wein und rekapitulierte lächelnd: »Vielleicht hättest du mir diese Denksportaufgabe zwei Gläser früher stellen sollen, nicht erst jetzt, Chef. Aber in Ordnung, einige erste Gedanken kann ich schon mit euch teilen, obwohl es natürlich besser wäre, ich würde den ganzen Text kennen, nicht nur diese bruchstückhafte Kurzfassung aus einem halbprofessionellen Auktionskatalog. Legt das, was ich jetzt sage, bloß nicht auf die Goldwaage, das ist recht unausgegoren und aus dem ersten, zugegebenermaßen gerade sehr wohligen Bauchgefühl heraus.
Also, Surimono waren grundsätzlich nicht für den Verkauf gedacht, sondern wurden im privaten Umfeld an Freunde verschenkt, innerhalb der Familie zu besonderen Anlässen verschickt oder in Poetenkreisen ausgetauscht. Solche Gedichte enthielten häufig persönliche Anspielungen, oft scherzhafte Doppeldeutigkeiten, die nur Eingeweihte verstehen konnten. Das vorweg, denn ein allgemeiner Ansatz wird uns nicht sehr weit bringen. So ist der Adler in der japanischen Heraldik von keinerlei Bedeutung, im Gegensatz zu vielen anderen Kulturkreisen wie zum Beispiel in Europa. Auch auf japanischen Kriegszeichen, sogenannten Mon, treten Adler meines Wissens nicht auf, wir werden also keine Symbolik für eine bestimmte Samurai-Familie ableiten können. Allerdings gilt der Adler auch in Japan als ein mächtiges, mutiges Tier – aber eben nicht mit mythologischem Bezug. Im Vergleich zu vielen anderen Vögeln, wie beispielsweise Spatz, Wachtel oder Hahn, spielt der Adler eine wenig auffällige Rolle als Kunstmotiv.
Das Wildpferd sagt mir in diesem Zusammenhang absolut gar nichts, dieser Ausdruck ist in Japan nicht üblich, wie Tomomi sicher bestätigen wird. Es gab keine Wildpferde dort, im Gegensatz zu China oder der Mongolei. Der Hinweis auf das Material Jade bedeutet, wie in ganz Asien, dass es sich um etwas sehr Wertvolles handelt – und natürlich gibt es in China etliche Pferdedarstellungen aus diesem Material. Im Japan der Tokugawa-Zeit dagegen bin ich nie auf diese Kombination gestoßen. Ganz anders sieht es mit dem Affen aus, der in Japan in tausendfacher Form in Mythen und Volkssagen vorkommt und ein beliebtes Netsuke-Motiv ist. Man sollte gezielt eine Recherche starten, in welcher historischen Geschichte oder volkstümlichen Erzählung sich alle drei genannten Tiere und das Material Jade gemeinsam finden lassen – mir fällt spontan keine Quelle ein, wo dies der Fall ist.
Am eindeutigsten ist für mich die angebliche Inschrift auf der Adlerbrust im Surimono, denn der Ausdruck ›Ich behüte deinen Ort‹ ist ein gebräuchlicher Spruch im feudalen Japan. Aber weniger spektakulär, als ihr wahrscheinlich denkt. Es ist ein feststehender Ausdruck aus einem einfachen Kinderspiel jener Zeit, etwa vergleichbar mit dem noch im zwanzigsten Jahrhundert auch in Deutschland beliebten ›Versteckspiel‹ kleiner Kinder. Im übertragenen Sinn allerdings, und nun wird es wieder spannend, war damals dieser Spruch gerne zur Kennzeichnung von Schlüsseln oder Schlüsselinformationen benutzt worden. Er war durchaus üblich als Hinweis auf geheime Botschaften oder auf den Aufbewahrungsort von Wertgegenständen.