Скачать книгу

Als ich mich sicher fühlte öffnete ich problemlos die Stahltür mit dem Schlüssel und betrat den dunklen Gang, er war schmal, nicht breiter als eine männliche Person und roch muffig, ich lehnte die Tür hinter mir an, ohne sie zu verschließen und schaltete die Taschenlampe ein, nach wenigen Minuten erreichte ich eine zweite Stahltür am anderen Ende des Ganges, im Lagerhaus auf deren Straßenseite, ich steckte den Schlüssel in das Schloss und versuchte die Tür möglichst geräuschlos zu öffnen. Nach dem zweiten Versuch ging sie mit lautem Knarren auf, zu meiner Überraschung sah ich nicht in einen Lagerraum hinein, sondern stand vor einer weiteren Stahlwand, die kein Türschloss hatte. Mir wurde klar, dass diese Tür auch nicht mit Gewalt zu öffnen war, dies hätte auch zu viel Lärm gemacht und die Besatzer herbei gelockt. Da in der letzten Zeit der Gang nicht benutzt wurde und keiner von der Botschaft den Lagerraum aufgesucht hatte, war die Veränderung auch nicht aufgefallen. Die Besatzer hatten also den Gang entdeckt und den Ausgang versperrt. So verblieb mir nur die Rückkehr in das Botschaftsgebäude. Ich machte kehrt, und ging den stinkenden Gang eilig zurück.

      In der Grundschule, ich glaube es war im vierten Schuljahr, hatte uns der Musiklehrer auf dem Flügel die Nocturnes op 9 no1 und op 9 no 2 vorgespielt, danach ließ er die Noten auf dem Flügel liegen, ich ging in der Pause hin, sah sie mir genau an und prägte sie mir sicher ein, auf den wenigen Metern im Gang bis zur Botschaft zurück sah und hörte ich es wieder, jede einzelne Note, nur wenige Töne, vier bis fünf unterschiedliche, sie waren wie sanfte Wolken, die kreisend mein Gemüt durchzogen und jeder einzelne Ton umfasste meine Seele wie mit beiden Händen. Ich wusste nicht warum ich es plötzliche hörte, war es die Dunkelheit die mich an die Nocturnes von Chopin erinnerten?

      Gemälde und Skulpturen fixieren den Moment, können auch Geschichten erzählen, man muss sie nur intensiv betrachten und etwas nachdenken um sie zu erfassen, Musik erfühlt man, man braucht nicht nachzudenken, jedes Mal klingt es anders, wird immer wieder zum neuen Erlebnis, aber jeder hat die Freiheit es so zu hören wie es ihm gefällt, es klingt nicht immer gleich, der Moment bestimmt es, wie ich es höre. Religionen wollen keine Wahrheiten vermitteln, die Kunst auch nicht, sie will uns Wesentliches von uns selber zeigen, es gibt keine richtige oder falsche Kunst, nur gute oder schlechte.

      Ich hatte mich schon öfters darüber gewundert, dass ich in einem Bruchteil einer Sekunde plötzlich ganze Szenarien sehen, Stimmen hören und Gerüche wahrnehmen kann. Dabei bin ich zugleich Akteur und Betrachter, so als würde ich mich in meinem eigenen Film von allen Seiten sehen können.

      Noch bevor ich alles richtig durchdacht hatte, stand ich schon wieder neben der ersten Stahltür, trat hindurch und verschloss sie, schob den Schrank davor, alles sah wieder so wie zuvor aus.

      Dies war der erste Ausbruchsversuch und nur der Botschafter wusste davon, es sollte nicht mein letzter Versuch sein. Vom Fenster aus im zweiten Stock hatte ich das tägliche Treiben auf dem Hof und vor dem Gebäude genauestens verfolgt. Dabei war mir aufgefallen, dass die Anzahl der Besatzer immer etwa gleich blieb, aber die Gesichter sich fast täglich änderten, bis auf wenige, es waren die Anführer, die sich nur im zwei Tage Rhythmus abwechselten. Einer war mir wieder besonders aufgefallen, er war ihr Anführer, der Fingerlose, er war von mittlerer Statur und zeigte ein energisches Auftreten, er wurde von den anderen Besatzern respektiert und machte immer einen konzentrierten Eindruck. Vor dem muss ich mich besonders in acht nehmen.

      Die Hälfte der Besatzer waren Frauen, ihr Gesichter waren nie zu erkennen, alle trugen immer eine Burka, ohne wagten sich fast keine mehr auf die Straße, dafür sorgten schon die Sittenwächterinnen. Sie traten fast immer in Kohorten auf, mit Ästen von Rosenstöcken ausgerüstet, damit schlugen sie Frauen ohne Burka mitten ins Gesicht, die Dornen hinterließen bleibende Narben, für ihr sittenwidriges Verhalten sollten sie gebrandmarkt werden, für ihr ganzes Leben.

      Ich musste also einen Weg finden, wie ich mich unbemerkt unter die Besatzer mischen konnte, um dann mit Alis Hilfe das Land verlassen zu können. Nachdem sich meine Beobachtungen bestätigt hatten, suchte ich wieder den Botschafter in seinem Zimmer auf und holte seine Zustimmung für mein Vorhaben ein. Unterhalb des Zimmers befand sich das Dach der Garage und es war ein leichtes mit einem Seil auf das Dach zu gelangen.

      Ich hatte mich mit einer schwarzen Burka versehen und dunkle Handschuhe angezogen, an meinen Händen hätte man sonst leicht erkennen können, dass ich keine Frau war. Alles verlief einfacher als ich es erwartet hatte, das Seil mit dem ich mich auf das Garagendach herab ließ, wurde sofort zurück gezogen und an der Dachrinne entlang gelangte ich in den Hof, nur wenige Schritte und nach einigen Minuten stand ich auf der Straße, inmitten der Studenten, niemand hatte Notiz von mir genommen, ich war plötzlich einer von Ihnen.

      Es war mir nicht möglich Ali anzurufen, seine Wohnung konnte ich auch nicht aufzusuchen, sein Telefon wurde bestimmt abgehört, denn Personen mit wichtigen Funktionen werden auch dauerhaft überwacht. Von seiner Wohnung aus hatte Ali freien Blick auf die Straße, etwas schräg gegenüber auf der andren Straßenseite befand sich eine öffentliche Telefonzelle. Beim letzten Treffen hatten wir vereinbart, dass ich auf das Dach des Telefonhäuschens einen leeren Kaffeebecher stellen würde, als Zeichen, dass ich ihn dringend sprechen muss. Am darauf folgenden Tag würde ich dann abends zwischen 22 und 23 Uhr im Schatten neben dem Telefon stehen und auf ihn warten. Noch am Abend als ich die Botschaft verlassen hatte, stellte ich einen leeren Plastikbecher auf das Telefonhäuschen, legte noch einen Stein hinein, damit der Wind ihn nicht hinweg wehen konnte. Ich sah zu seiner Wohnung hoch, es brannte aber kein Licht. Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich in dem alten verlassen Haus in einem Hinterhof, den hatte ich zufällig entdeckt, Fensterscheiben gab es keine mehr und die Türen fanden wahrscheinlich schon vor einiger Zeit Verwendung als Brennholz. Lichtschalter waren noch vorhanden, aber wenn ich die Schalter nach oben oder nach unten kippte, entstand kein Licht, war auch nicht von Bedeutung, wichtig war, dass das Haus nicht von der Nebenstraße einsehbar war, ich war zuvor nie dort gewesen und kannte die gesamte Gegend nicht, mein Instinkt hatte mich dahin geführt. Wasser und etwas Obst hatte ich mir schon besorgt und wartete bis zum Einbruch der Dunkelheit, verließ mein Versteck, trat auf die Straße, ohne dass mich jemand sah. Etwa fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit erreichte ich den Treffpunkt, um das Telefonhäuschen herum hatte sich noch mehr Müll angesammelt, leer Tüten Glasflaschen auch eine leere Kondomschachtel, aber mein Kaffeebecher stand noch genauso dort wo ich ihn gestern hingestellt hatte. Durch die spärliche Straßenbeleuchtung entstand durch das Telefonhäuschen ein langer Schatten der mir Schutz bot und mich in seiner Dunkelheit verschluckte. Es fuhren einige Autos vorbei, keines hielt an, niemand stieg aus, ansonsten verblieb die Straße menschenleer. Ich wartete mehr als zwei Stunden ohne dass Ali auftauchte, also musste ich mich für einen weiteren Tag in mein Versteck in den Hinterhof zurückziehen. Am nächsten Abend kam ich wieder zur gleichen Zeit, stand dort zum Schutze an der Hauswand angelehnt, selbst das schwache Licht warf noch den langen Schatten, auch der Becher befand sich immer noch an der gleichen Stelle. Es gab kein Licht in seiner Wohnung, doch nach etwa einer Stunde sah ich, wie sich die Haustür auf der anderen Straßenseite langsam und behutsam öffnete, ein in schwarz gekleideter Mann mit einer Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, trat auf die Straße, schaute vorsichtig in alle Richtungen, es war Ali, schon an seiner Körperhaltung und so wie er sich bewegte, konnte ich ihn sofort erkennen. Ich blieb im Schatten stehen bis er fast das Telefon erreicht hatte und sagte leise seinen Namen. Er zögerte kurz, ging auf mich zu und umarmte mich und fragte nur leise, wie wird es wohl heute Terri gehen. Das letzte Mal hatten wir uns vor drei Wochen gesehen, bevor ich die Botschaft betrat, schon damals hatten wir alle denkbaren Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

      Ich erzählte Ali kurz wie ich aus der Botschaft entkommen war und dass ich schnellstmöglich das Land verlassen muss. Sicherlich war meine Abwesenheit bei der täglichen Kontrolle am Morgen aufgefallen und mein Passfoto an alle Behörden weitergeben worden. Zwar hatte ich einen weiteren Ersatzpass, der in meiner Jacke eingenäht war, ich hieß jetzt Gunner Sandberg, war Schwede und in Stockholm geboren, das Passfoto zeigte aber unverkennbar meine Visage, Flughäfen, öffentliche Verkehrsmittel und Grenzübergänge waren mir also verschlossen. Daher fragte ich Ali um Rat, wie ich am besten und unerkannt das Land verlassen kann. Du musst über das Gebirge fliehen, im Osten, zwar wäre der Weg zum Kaspischen Meer näher, das wirst du aber ohne Kontrollen nicht erreichen können. Nein, wähle den längeren Weg über das Gebirge nach Turkmenistan, die sprechen dort kein Farsi,

Скачать книгу