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könnten nachher noch kurz im ‘Baobab’ etwas trinken”.

      “Prima!”, Farrah lächelt ihr zu.

      Ihre Wartezeit im ‘Baobab’ wird länger als gedacht. Eine ganze Stunde vertreibt Harriette sich die Zeit auf der kleinen Terrasse. Sie sitzt unter dem Baum, der dem Café seinen Namen verleiht, ein Baobab, der sich majestätisch in den Himmel streckt. Sie liebt diese Bäume, für Harriette symbolisieren sie diesen Kontinent: massiv, urwüchsig, bodenständig und rustikal - Überlebenskünstler.

      Wenn diese Bäume sprechen könnten, was würden sie uns erzählen? Sie schaut hinauf in die Baumkrone, in der sich das Sonnenlicht seinen Weg durch die dichten Blätter erkämpft. Wie schön du bist! Sie schaut sich um und sieht Farrah, der sich einen Stuhl heranzieht.

      “Na, die machen es einem nicht leicht!”. Farrah verdreht die Augen und setzt sich neben Harriette. Er erzählt, was sich im Arbeitsamt zugetragen hat und was ‘Petley’s’ vergüten muss. Farrah ist nicht einverstanden mit den Auflagen und wird deshalb morgen die Diskussion fortführen.

      “Morgen früh muss ich also wieder hier sein! Ich werde heute aber in Malindi bleiben - habe gerade meinen Flug nach Lamu umgebucht. Werde gleich mal schauen, welches Hotel ein Zimmer für mich hat”.

      “Ich will mich nicht aufdrängen und verstehen Sie es bitte nicht falsch, aber wenn Sie wollen, können Sie in meinem Haus übernachten. Wie Sie ja wissen, soll mein Haus ein kleines Hotel werden und habe ich genügend Zimmer. Sie könnten es sich dann auch gleich mal anschauen, auch bezüglich der Möbel. Und morgen bringe ich Sie dann wieder in die Stadt”.

      Als sie in Villa Waridi ankommen, ist Furaha, das Hausmädchen, schon nach Hause gegangen. Harriette holt frische Bettlaken und Handtücher und bereitet das untere Zimmer im Südflügel. Mosi bringt eine Flasche mit Trinkwasser und stellt sie neben das Bett. Dann huscht er in den Garten, kommt mit einigen Bougainvillea- und Franchipaniblüten zurück und legt sie in eine flache, mit Wasser gefüllte Schale. Er stellt sie auf den kleinen Tisch. Willkommen in Villa Waridi! Harriette zeigt Farrah sein Zimmer.

      “Ich schau mal eben, was wir heute Abend essen”. Harriette verschwindet in die Küche. Mosi hat Hühnchen in Honigsoße in den Ofen geschoben. Dazu gibt es Kokosreis und ihr geliebtes Gemüse Okra. Harriette holt ein paar Getränke, und kurz darauf sitzt sie mit Farrah auf der Veranda, umringt von Molly, Tom, Dick, Harry und Panya.

      “Möchten Sie ein Glas trocknen Weißwein?”.

      “Nein danke, Harriette, ich trinke keinen Alkohol”.

      “Keinen Tropfen? Warum nicht? Sind Sie Moslem?”

      “Nein, es schmeckt mir einfach nicht. Ich habe noch nie verstanden, was daran so schmackhaft sein soll. Ich mag es einfach nicht. Am liebsten trinke ich Wasser oder Tee”. Sie schenkt Farrah Wasser ein, für sich selbst ein Glas Chablis.

      An diesem Abend öffnet sich für Harriette die Welt von Farrah und Alice.

      Farrah ist zu ihrem Erstaunen erst fünfunddreißig Jahre alt, viel jünger als sie dachte! Ja, er hat sich vor Jahren auf Wunsch von Alice diesen Bart wachsen lassen, damit er älter aussieht, und somit der Altersunterschied von achtzehn Jahren zwischen ihm und seiner Frau weniger auffällt. Ein Bart, der nicht gelebte Jahre vortäuscht und ein schönes Gesicht versteckt. Dieser Bart, hinter dem sich eine andere Identität verbirgt.

      Farrah war noch Student an der Universität von Nairobi, als er Alice begegnete. Alice war eine dieser Frauen, die sich in den gehobenen sozialen Kreisen Nairobis aufhalten. Sie war befreundet mit den Söhnen des Präsidenten. Auch Farrah kannte die Präsidentensöhne, weil er mit einem der Söhne die Schulbank gedrückt hatte. Alice und Farrah lernten sich auf einer Party kennen. Alice, eine sehr vermögende Australierin Anfang vierzig, und Farrah, dieser ambitionierte, schöne Mann Mitte zwanzig. Es entstand eine heftige emotionale Beziehung mit Hochzeit auf Bali. Geschäftliche Pläne folgten, und so schufen die beiden in Lamu drei erfolgreiche Einnahmequellen: ein Café, eine Boutique mit angrenzendem Möbelschauraum und eine Möbelmanufaktur.

      Harriette wird bestätigt, was sie schon ahnte: Alice ist der Chef - sie bestimmt alles. Auch wenn die Manufaktur Farrahs Spezialität ist, Alice mischt sich in alles ein. Mit ihrem Drang zu Perfektionismus und ihrem messerscharfen Blick sieht sie sofort wenn die Form eines Möbelstücks um wenige Millimeter abweicht, und dann lehnt sie das geschaffene Objekt gnadenlos ab. Es darf auch nicht im Schauraum ausgestellt werden. Dies zum großen Verdruss von Farrah und seinem Team. Immer wiederkehrende Diskussionen, Reibereien, Streitereien, Machtkämpfe, die bis ins Schlafzimmer ausgetragen werden. Farrah ist derjenige, der nachgibt, so erzählt er ihr.

      “Diese Kämpfe führen zu nichts. Sie kosten mich enorm viel Kraft und Energie. Und obwohl wir diese drei Unternehmungen gemeinsam aufgebaut haben - sowohl im Know-how als auch im finanziellen Bereich - ist es Alice, die die stärkere Finanzkraft hat”.

      Und dann offenbart Farrah, dass er seit Ende September von Alice getrennt lebt, getrennt von Tisch und Bett.

      “Ich wohne zur Zeit in meinem Büro und bin lediglich noch für die geschäftlichen Angelegenheiten in Lamu. Alice ist seit zwei Wochen in Australien, sie braucht Abstand. Alice ruft mich täglich von Australien an und versucht unsere Ehe zu retten. Aber wir haben diese Dramen schon zu oft mitgemacht, haben uns zu viel angetan. Immer wieder haben wir versucht von vorne anzufangen, und jedes Mal sind wir gescheitert. Immer wieder die gleichen Verhaltensmuster. Es ist ein Teufelskreis, aus dem wir nicht herauskommen, es sei denn, wir brechen aus, indem wir unsere Beziehung beenden. Und genau das habe ich getan! Ich kann nicht mehr mit Alice zu-sammenleben. Sie nimmt mir die Luft zum Atmen! Sie kontrolliert mich am laufenden Band.

      Alles, was ich tue, ist nicht gut genug. Ich werde an der kurzen Leine gehalten. Ich habe mich schon seit langer Zeit emotional eingekapselt – purer Selbstschutz! Meine emotionale Kälte ihr gegenüber hat in den vergangenen Jahren dramatische Reaktionen bei ihr ausgelöst. Alice hat mir sogar einmal in einem ihrer Wutausbrüche einen Schraubenschlüssel ins Kinn gerammt! Meine Freunde verstehen nicht, dass ich dies alles mit mir machen lasse, sie sagen dann auch regelmäßig “Controle your wife”, was mich zutiefst beschämt, ich stehe da wie ein Feigling, ein Pantoffelheld! Nein, es ist genug! Meine Entscheidung ist endgültig!”.

       Will ich das alles wissen? Will ich das alles hören? Dies geht mich nichts an! Warum erzählt er mir das alles? Er kennt mich doch garnicht und ich ihn auch nicht! Scheinbar muß er eine Menge loswerden! Ein Dampfkochtopf droht gesprengt zu werden!

      Aber Harriette unterbricht ihn nicht. Sie schweigt und während es aus Farrah weiter heraussprudelt, dämmert es ihr, warum sie von Alice vor einigen Wochen so kühl behandelt wurde, wie sie vom ersten Augenblick an Alices Abneigung ihr gegenüber spürte. Eifersucht!? Harriette fragt sich, ob es wohl eine gute Idee war, unter den gegebenen Umständen Farrah in ihrem Haus übernachten zu lassen, andererseits aber hat sie sich nichts vorzuwerfen.

      Alice und Farrah sind kinderlos. Auf die Frage warum, erklärt Farrah, dass Alice keine Kinder wollte und er eigentlich auch nicht, wobei die dahinter liegenden Gründe sich bei beiden grundsätzlich unterscheiden. Alice mag keine Kinder, hat noch nie Kinder gemocht. Sie sind laut und egozentrisch und fordern jede Faser und jede Sekunde der Eltern. Eigene Interessen müssen also für die nächsten zwanzig Jahre komplett abgeschrieben werden. Das passt nicht zu Alices Lebensvorstellung. Und Farrah? Farrah glaubt von sich, dass er kein guter Vater wäre.

      “Weißt du, in unserer Beziehung ist es regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, es sind Tassen geflogen und es wurde Gewalt angewendet. Ich bin nicht stolz darauf, im Gegenteil: ich schäme mich dafür. Aber ich kann guten Gewissens sagen, dass ich mich immer nur gewehrt habe. Aber die Tatsache, dass es zu Gewaltanwendungen gekommen ist, würde mich zu einem schlechten Vater machen. Unser Kind hätte von uns gelernt, wie wir uns in einer Konfliktsituation verhalten - schreien, fluchen, sich gegenseitig beschimpfen, Gegenstände werfen, Türen zuschmeißen und Hiebe verteilen. Was für ein Vorbild wären wir? Was für ein Vorbild wäre ich?”. Sie schweigen und nach einer langen Pause fragt Farrah:

      “Und du, hast du Kinder?”.

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