Скачать книгу

auf einem Dach herumbalancieren - in Europa undenkbar! Dort läßt man singen. Dort hat man Radios, die in voller Lautstärke arbeitende Männer bei Laune halten. Es ist diese Unkompliziertheit, die Harriette fasziniert, und wie alles in diesem Land wiederverwertet wird: nichts wird weggeworfen, alles bekommt ein neues Leben. Jede Schraube, jedes Kabel, jeder Bierflaschendeckel, alles wird umfunktioniert. So ganz anders als in Europa.

      *

      Einige Wochen vor Weihnachten klingelt das Telefon. Es ist Farrah. Er hat morgen in Malindi zu tun weil Lamu zum Verwaltungsbezirk von Malindi gehört. Da er einige Mitarbeiter von ‘Petley’s’ entlassen hat, wird er nun zum Arbeitsamt zitiert, um die Höhe der Zahlungen zu besprechen. Als ob das nicht gesetzlich festgelegt wäre! Typisch Obrigkeit: Einschüchterungstaktik und alles so kompliziert wie möglich machen. Farrah wird einen AirKenya Flug um die Mittagszeit buchen, sodass er pünktlich um 14:00 Uhr beim Arbeitsamt ist.

      “Können wir uns danach sehen?”, fragt er. Sie verabreden sich um 17:00 Uhr im ‘Bar-Bar’, einem zentral gelegenen Café in Malindi.

      Pünktlich um 17:00 Uhr parkt Harriette ihren alten Pajero vor dem ‘Bar-Bar’. Farrah winkt ihr zu.

      “Wie lange sitzten Sie schon hier”, fragt sie ihn zur Begrüßung und setzt sich zu ihm an den runden Tisch.

      “Es hat nur kurz gedauert, weil derjenige, der für meinen Fall zuständig ist, nicht anwesend war und niemand das Gespräch übernehmen konnte, beziehungsweise wollte”.

      “Dann sind Sie also ganz umsonst nach Malindi geflogen? Das ist ja unverschämt! Hätte man Sie nicht anrufen können?”. Sie ist entsetzt über so wenig Professionalität und so viel Boshaftigkeit. Farrah grinst.

      “Das ist völlig normal hier. Nichts verläuft nach Plan, nichts ist mit einem Mal erledigt. In diesem Land braucht man einen langen Atem. Und sich aufregen hilft gar nichts, im Gegenteil. Je mehr man diesen Jungs zeigt, dass man sich ärgert, desto mehr ist deren Ziel erreicht. Es ist ein Machtspiel, man muss taktisch vorgehen”.

      “Wann müssen Sie denn wiederkommen?”, fragt sie.

      “Morgen, gleiche Zeit. Nicht effizient, denn ich habe heute Abend noch einen Termin in Lamu. Um 19:00 Uhr geht meine Maschine”, sagt er und nippt an seinem frisch gepressten Orangesaft.

      “Na, dann ist ja noch Zeit für einen Cappuccino”, antwortet Harriette und winkt dem Kellner zu.

      “Ich fahre Sie nachher zum Flughafen, okay?”. Farrah fällt mit der Tür ins Haus:

      “Wissen Sie schon, was Sie bezüglich der Einrichtung Ihres Hauses wollen?”.

      “Nein, es ist noch zu früh, um eine Entscheidung hierüber zu treffen. Ich bin momentan zu sehr beschäftigt mit dem Umbau mei-ner Villa Waridi. Ich werde sicherlich einige Einzelstücke bei Ihnen bestellen, aber das gesamte Haus mit Ihren Prunkstücken einrichten, das kann ich mir wirklich nicht erlauben, so gerne ich das auch wollte! Ich glaube auch schon zu wissen, was ich bestellen will, aber nochmals, es ist noch etwas früh”.

      “Sie wissen aber auch, dass alle Möbel handgefertigt sind und jedes Stück so seine Zeit braucht. Je eher ich weiß, was Sie haben möchten, um so schneller haben Sie Ihre Möbel dann auch”, entgegnet Farrah.

      “Ich werde darüber nachdenken. Eins weiß ich ganz sicher. Ich möchte einen ‘scissor-chair’ in Villa Waridi! Den bestelle ich hiermit bei Ihnen. Und zwar aus ‘Mbambakofi’, diesem schönen Hartholz Ihrer Möbel!”.

      Dann erzählt Farrah Harriette von Lamu und wie er dort hingekommen ist. Er erzählt, dass nichts in Lamu selbstverständlich ist, alles muss hart erkämpft werden. Seine Vorreiterposition als Möbelbauer hat ihm so manche Missgunst gebracht.

      “Die Menschen in Lamu gönnen anderen keinen Erfolg. Jeder beobachtet jeden. Auch jetzt - mit dieser Geschichte der Entlassungen - versucht man mir das Leben so schwer wie möglich zu machen. Ich hasse Lamu!”. Harriette erschrickt, aber schweigt.

      Malindi Airport ist ein kleiner Flughafen zwei Kilometer vom Zentrum entfernt, direkt an der Zufahrtsstraße gelegen. Harriette parkt den Wagen, aber lässt den Motor laufen.

      “Na, denn…”, sagt Harriette, “viel Erfolg morgen! Bin gespannt, ob alles nach Wunsch verläuft! Und vergessen Sie meine Bestellung nicht!”, sagt sie lachend.

      “Danke, Harriette. Nett von Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen und mich hierher gefahren haben! Und Ihren ‘scissor-chair’ vergesse ich sicherlich nicht! Bis auf bald!”. Farrah lächelt ihr zu, nimmt seine Tasche und verschwindet ins Flughafengebäude.

      Auf dem Weg nach Hause geht ihr das Gespräch durch den Kopf und sie fragt sich, ob Farrah wohl ein glücklicher Mensch ist. Augenscheinlich sind er und Alice beruflich sehr erfolgreich in Lamu, aber er lebt nicht gerne dort - er fühlt sich dort nicht frei. Er kam nach Lamu wegen Alice, die unbedingt dort leben wollte. Für Harriette ist deutlich, wer in dieser Beziehung die Weichen stellt. Farrah passt sich an. Na ja, solange eine Beziehung gut läuft, kann man einiges in Kauf nehmen, aber wenn Geben und Nehmen nicht in Balance sind … Gott sei Dank ist das nicht mein Problem!

      *

      “Mama, wir haben keinen Kaffee mehr. Ich kann Ihnen keinen Kaffee zum Frühstück kochen!”, sagt Mosi am nächsten Morgen, als Harriette sich an den Frühstückstisch setzt.

      “Oh, Mosi, stimmt! Den habe ich vergessen auf meine Einkaufsliste zu setzen! Bitte lauf schnell zu mama Rosa und frage sie, ob sie mir etwas Kaffee geben kann - ich fahre nachher in die Stadt und kaufe welchen!”.

      Am Nachmittag fährt Harriette in die Stadt, um noch einige Einkäufe zu tätigen, so auch den Kaffee. Sie fährt am Markt vorbei, dann quer durch den alten Stadtteil von Malindi in Richtung ‘Karen Blixen Café’, wo sie ihr Auto parken kann, um im italienischen Supermarkt ihren Expesso-Kaffee einzukaufen.

      Direkt an der alten Moschee sieht sie ihn laufen: Farrah - mit seiner Laptoptasche umgehängt und Handy am Ohr. Ist der jetzt erst fertig mit seinem Arbeitsamt? Sie hält an und ruft ihm zu:

      “Hey, Farrah! Noch in Malindi!?”. Farrah beendet sein Telefongespräch und steckt sein Handy in seine Hosentasche.

      “Ja! Es ist unglaublich, wie schwierig die es einem machen! Ich bin schwer sauer! Es ist nicht zu glauben, aber die haben den Termin wieder verschoben! Ich habe dort enormen Terz gemacht … völlig sinnlos natürlich … aber es ist so unverschämt, wie die mit der Zeit anderer Leute umgehen. Nun gut, es hilft nicht, ich muss morgen wieder kommen! Ich suche jetzt noch eine Apotheke für Medizin, die wir auf Lamu nicht bekommen können, und dann wollte ich mir ein Taxi nehmen zum Flughafen”.

      “Kommen Sie, steigen Sie ein! Ich muss auch noch schnell etwas einkaufen. Dann können Sie in der Zwischenzeit zur Apotheke. Danach fahre ich Sie zum Flughafen”.

      Am Flughafen angekommen fragt Harriette:

      “Soll ich Sie morgen hier abholen? Dann fahre ich Sie direkt zum Arbeitsamt”.

      “Oh, perfekt! Wenn das nicht zu viel Umstände bereitet! Ich lande um halb Zwei”. Farrah, gibt ihr die Hand und steigt aus.

      “Okay, bis morgen!”.

      “Ja, bis morgen! Danke, dass Sie mich abholen!” - und schon verschwindet Farrah ins Flughafengebäude.

      *

      Die AirKenya Maschine landet pünktlich und kurz darauf sitzt Farrah neben ihr.

      “Ich fahre Sie gleich hin”, sagt sie und startet den Motor. Farrah hat wieder die gleiche Tasche bei sich wie gestern, eine schwarze vollgestopfte Laptop Tasche.

      Während der Fahrt erzählt Farrah, was sich alles in den vergangenen Stunden in Lamu ereignet hat und dass er nur zwei Stunden geschlafen hat. Der Mann hat viel zu viel um die Ohren, denkt sie, aber sagt nichts.

      Das Arbeitsamt befindet sich im zweiten Stock eines alten Gebäudes auf der Silversand Road gegenüber vom Touristen-Markt. Farrah steigt aus.

      “Sehe

Скачать книгу