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mit dem ich jemals zuvor ein solches Gespräch geführt habe. In Lamu kann ich mit niemandem hierüber sprechen: das würde sofort wie ein Lauffeuer verbreitet werden. Und mein Bruder Jeff … nein … er weiß lediglich, dass es etwas an Problemen gibt, mehr nicht. Alice und ich sind nun drei Monate getrennt, und ich weiß, dass es keinen Weg zurück gibt. Alice ist seit Wochen in Australien und es ist unklar, wann sie wieder nach Lamu zurückkehren wird. Ich habe ihr zugesagt, dass ich die geschäftlichen Belange weiterführen werde, bis sie zurückkommt - danach müssen wir eine Regelung finden. Das habe ich Alice vor ihrer Abreise klipp und klar gesagt und dabei bleibt es auch. Was ich selbst dann machen werde, weiß ich noch nicht, vielleicht ziehe ich nach Nairobi zu Jeff. Jeff und ich haben schon so vieles gemeinsam zustande gebracht”. Er schweigt kurz und fährt dann fort.

      “Alice ruft mich jeden Tag von Australien an. Sie will mich zurückgewinnen. Sie sagt, sie habe sich geändert - sie will in Zukunft liebevoller mit mir umgehen und mich nicht mehr bevormunden. Sie verspricht mir den Himmel auf Erden. Sie will sogar Lamu verlassen und mit mir auf Bali leben: neuer Anfang sozusagen, aber ich will es nicht - nicht mehr. Ich will Alice nicht mehr in meinem Leben. Ich glaube ihr nicht mehr. Ich vertraue ihr nicht mehr. Ich liebe sie auch nicht mehr. Zu viel ist geschehen. Alice bekniet mich jeden Tag. Sie kontrolliert mich jeden Tag. Sie will genau wissen, wo ich wann bin. Nichts hat sich geändert! Ich habe genug davon!”.

      Farrah schaut aus dem Fenster. Harriette spürt seine innere Verzweiflung und Wut.

      Die heutigen Alltagsverpflichtungen in Malindi scheinen Farrah gut zu tun. Weg von Lamu, weg von kontrollierenden Blicken. Jeder kennt ihn in Lamu. Jedem dort ist aufgefallen, dass er in den letzten Tagen doch wohl sehr viel unterwegs ist. Harriette ist sich sicher, dass Alice ihre eigenen Informationsquellen hat, um dahinter zu kommen, wo und bei wem sich ihr Mann aufhält. Aber hier in Malindi kann Farrah in der Anonymität untertauchen und entspannen.

      Harriette genießt Farrahs Anwesenheit. Er ist so anders als alle anderen Kenianer, die sie kennt. Sie kennt nicht viele. Da ist der Elektriker oder der Maurer, die beide täglich in ihrem Haus arbeiten. Oder da wäre der Mann vom Gemüsestand am Markt. Männer, die sich gemächlich bewegen und viel Ugali essen. Männer, die – in ihrer Sicht - auf einem anderen Planeten leben. Kulturelle Unterschiede sozusagen. Männer mit einer Hauptfrau - und wer es sich finanziell leisten kann – noch einer Nebenfrau. Männer, deren Frauen Untertanen sind. Männer, die zu viele Kinder in die Welt setzen. Kinder, die nicht zur Schule gehen, weil das Schulgeld nicht ausreicht. Farrah ist anders. Farrah ist gebildet. Sein akzentfreier Sprachgebrauch in perfektem Oxford-Englisch. Seine Wortwahl. Ein intelligenter Mann. Er bewegt sich anders - viel schneller, viel leichtfüßiger. Ein schöner Mann. Alles an ihm ist schön. Große, schlanke Hände, schmaler, durchtrainierter Oberkörper, schmale Hüften. Große dunkle Augen.

      “Wann musst du zurück nach Lamu?”.

      “Muss? Ich muss gar nichts! Ich kann noch heute zurückfliegen, wenn dir das lieber ist, aber ich kann auch morgen zurückfliegen”.

      “Farrah, ich weiß nicht, was ich mit dieser Situation anfangen soll und ob ich überhaupt etwas mit dieser Situation anfangen soll. Mir ist das alles zu viel … , zu schnell…”.

      Farrah fliegt noch am gleichen Tag zurück. Für wie lange, ist unklar. Sie bleiben aber in Kontakt. Gelegentliche Anrufe. Dann beschließen sie, Weihnachten gemeinsam zu feiern – in Harriettes Haus.

      Harriette holt ihn vom Flughafen ab. Farrah hat ein großes, sperriges Paket bei sich, dass er im hinteren Teil des Pajeros verstaut. Er setzt sich neben Harriette nimmt ihre Hand und küsst sie. Harriette lächelt verlegen und unsicher und startet den Pajero.

      Das Gästezimmer für ihn ist vorbereitet und Farrah stellt das Paket dort ab. Alessios Arbeiter sind für die Feiertage nach Hause gegangen und werden erst im neuen Jahr die Arbeiten wieder aufnehmen. Endlich Ruhe in ihrem Haus.

      Harriette ruft Molly, Tom, Dick, Harry und Panya und gemeinsam gehen sie zum nahegelegenen Strand. Eigentlich sind Hunde im ‘Marine National Park’ nicht erlaubt, aber dieses Verbot wird konsequent von allen Hundebesitzern ignoriert. Jeder geht hier spazieren, ob mit oder ohne Hund.

      Weihnachten. Weihnachten in den Tropen. Weihnachten am Strand, ohne jegliches Weihnachtsgefühl. Harriette vermisst es nicht. Sie genießt. Kneif dich! Es ist wahr! Du bist hier in den Tropen an einem weißen Strand mit deinen Hunden und einem Mann, der deine Hand hält ….

      Ihr erstes Weihnachten in Kenia, in ihrem eigenen Haus.

      Sie hat überall auf der Veranda Kerosinlampen aufgestellt. Es wird bald dunkel werden. Am Äquator verschwindet die Sonne im Handumdrehen, um zwölf Stunden später genauso schnell wieder aufzutauchen. In diesem Land sind Kerosinlampen unentbehrlich, denn der Strom fällt fast täglich aus - mal für einige Minuten, mal für viele Stunden, man weiß es nicht. Harriette mag die Kerosinlampen. Es hat etwas Urwüchsiges, etwas Archaisches. Dieses Licht und dieser Geruch, auch das gehört zu Afrika.

      Weihnachten in ihrem eigenen Haus in einem fernen Land. Es ist Abend geworden. Heilig Abend. Weißes Tischtuch, eine große Schale mit Franchipaniblüten und Kerzen mit Windschutz auf dem Tisch. Nichts Spektakuläres, aber es sind die kleinen Dinge, die ihr so wichtig sind. Kurzes Glücksgefühl. Farrah kommt aus seinem Zimmer. Er hat sich umgezogen. Er trägt eine weite schwarze Leinenhose und eine weite schwarze Tunika. Schwarze Ledersandalen. So einfach. So schön. Er hat das große, sperrige mit Packpapier eingewickelte Paket bei sich, das er auf die Veranda stellt.

      “Du darfst noch nicht schauen”, sagt er lachend.

       Diese perlweißen Zähne! Wie kann jemand nur so weiße Zähne haben!

      “Okay, ich gehe schnell duschen!” Harriette geht nach oben. Sie ist aufgeregt. Was soll sie anziehen? Sie entscheidet sich für einen schwarzen ärmellosen Body und einen farbenfrohen Pareo. Perlenbestickte Slipper, fertig. Sie betrachtet sich im Spiegel: eine Fastvierzigerin, schlanke Figur, straffe, braungebrannte Haut, erste Fältchen im Gesicht, aber sie kann sich sehen lassen.

      Harriette geht die Treppe hinunter zur Veranda. Farrah sitzt auf der Swahili-Bank, alle fünf Hunde liegen friedlich vor seinen Füßen. Er hat eine Karaffe Eiswasser auf dem Tisch stehen und ein Glas für sich eingeschenkt. Er schaut Harriette an und lächelt.

      “Wie schön du bist! Was möchte diese Schönheit trinken?”.

      “Zur Feier des Tages einen Prosecco”. Farrah läuft in die Küche und kehrt zurück mit einem Glas und kaltem Prosecco. Er schenkt das Glas ein und reicht es ihr. “Frohe Weihnachten, Harriette!”.

      “Frohe Weihnachten, Farrah!”, entgegnet sie lächelnd und stößt mit ihm an. Mosi hat eine Ente zubereitet. Ente mit Kokosreis, gegrillten Tomaten und grünen Bohnen. Als er mit der großen Platte mit der knusprig braungebratenen Ente die Veranda betritt, erinnert Harriette sich an das arme Huhn, das auf dem Markt geschlachtet wurde – vor vielen Monaten – als sie zum ersten Mal über den Markt lief. Dieser armen Ente ist das gleiche passiert! Hoffentlich hatte sie wenigstens ein schönes Leben!

      Nach dem Essen steht Farrah auf und beginnt, das Paket von seiner uncharmanten Verpackung zu befreien. Ein ‘Scissor-chair’, aus Mbambakofi, geölt und poliert, kommt zum Vorschein. Ja, dieser Stuhl ist Harriette damals in seinem Schauraum sofort aufgefallen und sie hat ihn so bewundert.

      “Frohe Weihnachten, Harriette!”. Harriette steht vom Tisch auf. Sie streicht mit ihrer Hand über das Holz. So glatt. Ein Kunstwerk. Harriette ist überwältigt. Sie umarmt Farrah.

      “Wie wunderschön, wie lieb von dir!”. Sie küsst ihn kurz auf seine Wange. Farrah erwidert den Kuss. Dann aber bewegen seine Lippen langsam von ihrer Wange zu ihrem Hals … zu ihrem Mund. Erste Liebkosung. Erster zärtlicher, inniger Kuss – Wendepunkt. In diesem Augenblick überschreiten wir eine Grenze, die schwerwiegende Folgen haben kann ….

      “Was machen wir? Ist das wohl richtig, was wir hier tun?”, flüstert Harriette.

      “Try me!” antwortet Farrah und küsst sie wieder. Es gibt zahllose Gründe ‘vernünftig’ zu sein und mich nicht hierauf

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