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Ein Buch für Keinen. Stefan Gruber
Читать онлайн.Название Ein Buch für Keinen
Год выпуска 0
isbn 9783347043282
Автор произведения Stefan Gruber
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Readbox publishing GmbH
Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit ein paar Worten Martins zur Bedienung der Urschuld im Kapitalismus, auf deren Bedeutung wir später noch einmal im Detail zurückkommen: »Die Schuld des Arbeiters ist die allgemeine menschliche Urschuld ›sich selbst gegenüber‹, ist die Verpflichtung, sich ›erhalten‹ zu müssen. Von dieser Schuld kommt der Arbeiter nur mit Hilfe des Einsatzes von Arbeit herunter: Er ist also in der Tat, wie Carl Hirsch an Engels geschrieben hat, ›das Kapital des Arbeiters‹. Der Arbeiter kommt von seiner (Ur-)Schuld nur herunter, wenn er jemanden findet, der sich seinerseits verschuldet, zum Beispiel einen Kapitalisten, der Schulden macht, um den Arbeiter zu beschäftigen, ihm also die Lebenserhaltungskosten ›vorschießt‹. Der Kapitalist hat nicht nur die menschliche Urschuld, sondern auch noch einen Haufen anderer Schulden, die er seinerseits nur gemacht hat, um von seiner Urschuld herunterzukommen. Das ist das berühmte ›Ich will es ein für allemal ‚geschafft’ und es hinter mir haben‹, was als Motiv für die Übernahme von Produktionsrisiken immer wieder genannt wird.«
Bevor wir Martins Modell vertiefen können, müssen wir einen Exkurs zu vorstaatlichen Gemeinschaften und schließlich zur Entstehung des Staates machen.
Stammesgemeinschaft und Staat
Der Krieg ist der Vater aller Dinge.
Heraklit1
Katastrophen sind der zündende Funken für eine totale Umstrukturierung und Erneuerung eines Systems. In der menschlichen Geschichte sorgte der Krieg, so zynisch das auch klingen mag, immer wieder für einen revolutionären Fortschritt, wobei das Wort »Fortschritt« nur in unserem Bewusstsein existiert. Was heute Fortschritt geheißen wird, wird schon morgen bitter bekämpft2 und jenseits der menschlichen Beurteilung gibt es keinen Fortschritt. Es gibt nur Unterschiede (Information) zwischen einem System (These) und dem unberücksichtigten Rest (Antithese), von dem sich das System abgrenzt um überlebensfähig zu sein. Diese Unterschiede lösen sich irgendwann auf (Synthese) und bringen dabei etwas Neues hervor, das sich seinerseits von einem Milieu abgrenzen muss, um zu sein. Je länger ein Unterschied besteht, auf dem neue Unterschiede aufbauen, desto stärker tritt sein zerstörerischer Gegenpart in den Vordergrund, der sich als Ausnahme einnistet und die Unterschiede letztendlich zersetzt. Schöpfung und Zerstörung treten also immer paarweise auf, bzw. ist die Zerstörung der Schöpfung inhärent, ja wird erst von ihr gespeist, da ein erschaffenes System immer unvollständig ist und im Prozess des Unterscheidens, d.h. der Ausdifferenzierung (= Komplexitätszuwachs), letztendlich selbst Störungen im Milieu hervorbringt, auf die es nicht mehr angemessen reagieren kann, ohne die eigene Basis, auf der es aufbaut, in Frage zu stellen. Wir kommen darauf noch oft genug im Detail zu sprechen, doch will ich hierfür zum Verständnis ein paar Beispiele geben: Der unverfälschte Kapitalismus im libertären Sinne beruht auf einer klaren Theorie mit klaren Prämissen, wie ein schlanker Staat als Machtmonopol, der Steuern einhebt, um damit das Eigentumsrecht zu installieren und die Vertragsfreiheit zu wahren. Die Prämissen sind also schlanker Staat, Eigentum und Vertragsfreiheit. Liest man die durchaus plausiblen Theorien diverser liberaler und libertärer Ökonomen vorurteilsfrei, müsste sich dieses System im Gleichgewicht befinden und damit der Weisheit letzter Schluss sein. Startet man jedoch ein solches System, kommt es aber nach einigen Jahrzehnten zu ersten Problemen. Schnell führt das System zur Bewertung des Menschen und damit zu Ausbeutung und Sklaverei. Dann aber muss der Staat zum ersten Mal die Vertragsfreiheit, eine der Hauptannahmen, beschneiden, um die Menschenrechte zu installieren. Hierfür wächst der Staat – bereits sind zwei Prämissen verwässert. Gleichzeitig kommt es zu einem Kampf um das Steuertilgungsmittel, das natürlich seinerseits knapp sein muss, um einen Wert zu haben und damit zum Bewertungsschema für Waren und Dienstleistungen zu werden bzw. um Staatsbedienstete zu bezahlen, die das Eigentumsrecht und die Vertragsfreiheit garantieren. Dieser Kampf führt zu Verschuldungsorgien, die dazu dienen, größere Unternehmen auf die Beine zu stellen, um durch das Anbieten von Waren und Dienstleistungen an das Steuertilgungsmittel (Geld) zu gelangen, das der Kreditnehmer im Verschuldungsakt erzeugt. Damit also der Kapitalist seine Produkte an den Mann bringen kann, muss sich ein anderer verschulden. Es entsteht ein Konkurrenzkampf wie im evolutionären Selektionsprozess der Natur, die sich ihrerseits nie im Gleichgewicht befinden kann, da wir sonst niemals entstanden wären. Letztendlich führen mehrere Faktoren, auf die wir im Folgenden noch detailliert eingehen werden, dazu, dass der Kapitalismus an seinen eigenen Prämissen scheitert. Die Steuer führt zu Geld und Zins, das Eigentumsrecht zu Verschuldungsorgien, um an dieses Geld zu gelangen und die Vertragsfreiheit zu einem gigantischen Raubbau an der Natur. Die Prämissen haben damit ein System erschaffen und erzeugen gleichzeitig im dynamischen Wechselspiel Probleme, die mit diesen Prämissen nicht mehr lösbar sind. Dasselbe gilt natürlich auch für den Kommunismus/Sozialismus. Auch hier sind die Prämissen klar beschrieben und liest man die Bücher kommunistischer/sozialistischer Theoretiker, so scheint das System zu funktionieren. Doch hier fehlen exakt jene Mechanismen, wie die Lösung des Informationsproblems und die Kompensation der menschlichen Schwächen u.a., die nur der Kapitalismus lösen kann und vice versa. Das permanente Ungleichgewicht in einem Staatssystem erfordert letztendlich permanente Eingriffe des Staates, die Komplexität gebären, die immer schwerer zu kontrollieren ist. Und da auch jeder Eingriff seine duale Schattenseite hat, erwachsen die Eingriffe in immer kürzeren Intervallen. Es ist das Streben nach Stabilität bzw. beim menschlichen Individuum nach Zufriedenheit, das natürlich auch dem Staat inhärent ist und das für ständige Eingriffe ins »Milieu« verantwortlich ist. Dadurch wird das Milieu so verändert, dass es auf das System rekursiv zurückwirkt und es so zu weiteren Handlungen zwingt – so lange, bis der kritische Wert erreicht ist und das System an seiner eigenen Komplexität erstickt. Alles was in einem Spannungsfeld der Unterschiede möglich ist, wird verwirklicht bis zur Auflösung der Unterschiede.1 Daher muss der Kapitalismus schließlich sein sozialistisches Pendant assimilieren und endet in quasi-sozialistischen und quasi-feudalistischen Strukturen einer Bananenrepublik, ebenso wie der Sozialismus stets in quasikapitalistischen Strukturen endet, wenn er sein Leben verlängern will. Doch die Synthese aus Kapitalismus und Sozialismus baut ihrerseits auf einer Hauptprämisse auf: dem Staat. Auch Staatssysteme müssen scheitern, wie wir noch sehen werden, denn sie beruhen auf der Unterscheidung zwischen Kultur und Natur. Und auch diese Unterscheidung wird letztendlich eine Synthese finden, die aber ihrerseits wieder unvollständig sein muss. Alles verläuft in Zyklen. Die Historie des menschlichen Individuums ebenso wie die einer Kultur oder die der Menschheit. Sie werden als Kinder geboren, erleben als Erwachsene ihre Blüte und gehen im Alter unter, wenn alles erfahren ist, was es im Rahmen eines Zyklus zu erfahren gibt.
Eine Ideologie sorgt damit immer durch ihre alleinige Existenz für das Aufkommen von oppositionellen Kräften und das Gute, was auch immer das im kulturellen Kontext ist, ist ohne das Böse nicht erfahrbar. Das straft auch alle Zeitgeist-Esoteriker Lügen, die von perfekten Systemen oder perfekten Menschen träumen und sich vom Fehlerhaften und Schlechten abzugrenzen versuchen. Jedes theoretische Konstrukt grenzt sich immer von dem ab, das nicht dazugehören darf, beginnt aber über die Zeit hinweg zu wuchern, zu verwässern und das »nicht-Zugehörige« nach und nach zu assimilieren, was einerseits die Selbstdefinition des Systems zerstört, aber andererseits eine Synthese emergieren kann, die als Basis für Neues fungiert. Ein Teil des Ganzen verlangt über die Zeit hinweg nach dem Rest. Entweder der ideologische Rebell versteht im Alter die Intention der Feindesideologie, integriert sie in seine Psyche und wird weise oder aber er wehrt ihre Argumente zeitlebens fanatisch ab, verkrustet in selbstherrlichem Narzissmus und mutiert zur Karikatur seiner selbst. Die Ideologie selbst jedenfalls hat ein Ablaufdatum - gleichgültig, ob der Rebell ihr Scheitern erlebt oder seine körperliche Systemgrenze schon zuvor dem Tod opfert. Die Ursache ist überall, dass ein System aus einer axiomatischen Basis besteht und diese Axiome oder Prämissen scheiden das System von der Ganzheit ab, d.h. lassen notwendigerweise den anderen Teil unberücksichtigt und diese Unterschiede werden über die Zeit hinweg abgebaut, so wie Energiegefälle sich abbauen, kommunizierende Gefäße ihren Flüssigkeitspegel angleichen, ein System dem thermodynamischen Gleichgewicht entgegenstrebt bzw. die Entropie ihrem Maximum.
Axiome, Prämissen bzw. die Fundamente, auf