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Arnulf. Kampf um Bayern. Robert Focken
Читать онлайн.Название Arnulf. Kampf um Bayern
Год выпуска 0
isbn 9783862827176
Автор произведения Robert Focken
Издательство Readbox publishing GmbH
»Woher habt Ihr eigentlich diese Scharte?«
Graublaue Augen starrten den Offizier an, nicht mehr freundlich. »Habe ich das noch nie erzählt?«, murmelte der Sachse.
Arnulf schüttelte den Kopf. »Das waren Panzerreiter, hm? Habt Euch mit Scarakriegern rumgeschlagen, vor meiner Zeit!«
»Nein.« Es war stillschweigende Übereinkunft zwischen Sachsen und Franken, nicht über die Kämpfe zu sprechen, die man einst gegeneinander ausgefochten hatte. Sie sahen wieder nach vorn: eine halbe Bogenschussweite bis zum Ufer. Menschen mit löchriger Kleidung und ein paar Ziegen am Strick blickten ihnen misstrauisch entgegen.
»Meine Mutter«, sagte Sigfrid endlich. »Ich war ein paar Jahre jünger als Euer Sohn … Meine Mutter erwischte mich, wie ich von der Blutwurst fraß, die für den Wodanspriester bestimmt war. Sie schlug sofort zu. Mit einem Topf, glaube ich.«
»Im Ernst?« Arnulf erlaubte sich ein Grinsen. »Gut, dass wir nie gegen Eure Frauen kämpfen mussten!«
* * *
Vorwärts!
Arnulfs Ahnung trog nicht: Ein halbes Dutzend Meilen östlich des Rheins stießen sie im Kloster Lorsch auf die ersten der Fliehenden. Einen rotgesichtigen Krieger, der noch ein ledernes Jagdwams trug, sahen sie unter den Torbogen des großen Eingangs stehen. Sie gaben den Pferden die Sporen, der Mann verschwand im Hof.
Keiner hatte Augen für das prächtige Torhaus mit der Front aus weinroten und weißen Steinen, und niemand nahm Anstoß daran, dass sie durch den mittleren der drei Torbogen galoppierten, der eigentlich König und Bischöfen vorbehalten war. Hinter einer Pferdetränke sah Arnulf Mönche in langer, mit Stricken zusammengehaltener Kutte, die dort in Deckung gegangen waren. Sie gestikulierten und zeigten auf einen mageren Kerl mit strubbligem Haar, der vor der Kirchentür Aufstellung genommen hatte.
Die Franken sprangen von den Pferden. Der Magere wedelte mit den Armen und schrie laut »Asyl des Herrn!« und »Kreuz-Asyl!«, als müsste er den Verfolgern etwas erklären. Sie sahen Blut aus einem Hosenbein rinnen, der Stoff war aufgeschlitzt.
»Wo sind die anderen?«, herrschte Arnulf ihn an. Er antwortete mit neuen, noch lauteren Asylrufen. Arnulf mähte ihn mit einem Faustschlag nieder. »Asyl ist in der Kirche, nicht vor der Kirche!« Als er die Tür des Gotteshauses aufstieß, flatterten Schwalben auf. Fensteröffnungen in zehn Fuß Höhe ließen genügend Licht ein, um ein paar Gestalten am Altar zu erkennen. Eine war wimmernd zusammengesunken. Eine andere hatte die Hände vorgestreckt wie zur Abwehr. Der dritte Mann hielt ein Schwert in der Hand. »Gott ist mein Schild«, krächzte er, als Arnulf auf ihn zumarschierte. »Am Altar müsst Ihr uns verschonen!«
»Auf Gott beruft Ihr Euch?«, herrschte Arnulf ihn an. »Warum nicht gleich auf den König?« Er zog die Axt aus der Schlaufe, rechts am Gürtel, wo die meisten das Kurzschwert hatten. Schon klirrte das Schwert auf den Boden.
»Erbarmen!« Der Thüringer ging in die Knie. Arnulfs wuchtiger Tritt mit dem Reiterstiefel unterbrach sein Wimmern, keuchend krümmte der Kerl sich zusammen. Sigfrid packte ihn an den Haaren und zog seinen Dolch.
»Der Herzog ist längst weitergezogen, er hat uns hier zurückgelassen, verschont uns!« Sigfrid grunzte etwas und legte ihm das Messer an den Hals.
»Lasst ab«, sagte Arnulf eindringlich. »Nicht am Altar!«
»Weil Euer Heiland dann böse ist?«, fragte Sigfrid mit gerunzelter Stirn, die Klinge über dem Hals des Japsenden.
»Erraten.«
Sigfrid wedelte mit der Dolchhand, sein silberner Donarhammer baumelte am Handgelenk hin und her. »Sagt dem Heiland, dass ich ein Heide bin, dann drückt er ein Auge zu.«
»Schenkt Ihnen das Leben!« Eine schmächtige Gestalt eilte herbei, tauchte aus dem Halbdunkel auf wie eine Erscheinung.
»Einhard!?«, entfuhr es Arnulf. »Was treibt Ihr hier, gilerito?«
Der Gelehrte trug eine schmucklose Tunika mit einem hellen Überwurf, der vorne im Gürtel steckte; unter seinem linken Arm steckten einige Papierrollen. »Ich war in der Bibliothek, als diese … diese Burschen hier reinstürmten«, sagte der Gelehrte mit etwas angestrengtem Lächeln und fuhr sich durch das dünne, weit oberhalb der Stirn beginnende Haar. »Nun, wir sind erstmal in Deckung geblieben, was?« Die beiden schmalen, etwa zwanzig Jahre alten Burschen hinter Einhard wedelten mit weiteren Papierrollen. »Die hätten uns was antun können, Herr«, murmelten sie.
»Sie wollten dem König etwas antun, Leute«, sagte Arnulf kalt. »Es sind Meuchelmörder!«
Einhard zuckte zusammen und berührte Arnulfs röhrenartigen Unterarmschutz. »Der König lebt?«
Arnulf schilderte mit drei Sätzen, was passiert war. Einhard strich über sein Bärtchen, viele Linien durchzogen jetzt die hohe Stirn. »Sie werden es den Bayern anhängen«, sagte er, den Blick nach innen gerichtet.
Arnulf verzog das Gesicht. »Tassilo? Der Herzog war nicht in Worms.« Dazu nickte Einhard nur, als würde es seinen Gedanken bestärken. Dann fragte er noch beiläufig, ob der Hofkapellan wohlauf sei.
Arnulf kratzte sich an den Kinnstoppeln. »Bischof Fulrad war nicht bei der Hatz dabei, dem kann nichts passiert sein.«
»Gelobt sei der Herr!«, seufzte der Gelehrte. Fast klang es aufrichtig.
* * *
Als Arnulfs Männer durch das Klostertor preschten, um die Verfolgung wieder aufzunehmen, stieß Gallo mit seinen Leuten zu ihnen. Halbernst gemeinte Worte flogen den Ankömmlingen entgegen: dass die Westfranken gerne zu spät kamen, und wenn, dann betrunken.
Im straffen Galopp ging es weiter. Die Spur führte nicht nach Norden, wie Arnulf zuerst erwartet hatte, sondern ostwärts: Die von vielen Hufen aufgewühlte Straße schlängelte sich die Höhen des Odenwalds hinauf. Die Straße wurde zum Weg, bald streiften die Zweige der Bäume ihre Schultern. Vorbei ging es an aus dem Wald geschlagenen Gehöften. Sie sahen Frauen hinter Zäunen verschwinden, riefen halbnackte Arbeiter auf dem Feld an, die sofort mit der Hand nach Osten zeigten: Zum Main sind sie!
Am frühen Abend hielten sie auf einem kleinen Plateau mit einem Steinkreuz. Von hier ging der Blick weit nach Osten, und Arnulf konnte das Maintal im grünen Gewoge erkennen. Wollen die Attentäter auf ein Schiff? Sie würden gegen die Strömung segeln müssen …
Sie ritten weiter bergab, schließlich tauchte noch eine letzte Höhe vor ihnen auf, über die der Weg zum Ufer hinabzuführen schien. Arnulf befahl Halt. Rechts von ihnen war der Hang überzogen mit einem Filz aus Brombeeren, Kletterpflanzen und jungen Bäumen, zwischen ihnen sah man noch die schwarzen Stümpfe eines Waldbrandes. Dort war kein Durchkommen.
Da kam ein einzelner Krieger aus der Kolonne an den anderen Pferden vorbei nach vorn. Ein drahtig wirkender Kerl mit wettergegerbtem Gesicht und Linien um die Augen, die etwas Düsteres hatten – einer von Sigfrids Wesersachsen, die er in Arnulfs Dienst mitgebracht hatte. »Ich kann sie riechen, Herr«, sagte der Mann, ohne die Stimme zu heben. Er hielt Arnulfs Blick für die Dauer eines Herzschlags. »Sie warten auf uns!«
Arnulf folgte dem Blick, starrte wieder auf die bewaldete Höhe vor ihnen. »Ein Hinterhalt?«, grunzte Arnulf und zurrte an seinem Halstuch, um Luft an die Haut zu lassen. »Keine schlechte Stelle.« Er befahl abzusitzen. Der Hagere murmelte noch etwas zu Sigfrid und verschwand wieder nach hinten in die Kriegerkolonne.
Misstrauisch sah Gallo ihm nach. »Ist das ein Seher oder was? Der sagt doch sonst nie was!«
»Deshalb nennen wir ihn auch Schweiger«, entgegnete Sigfrid und ließ den dünnen Zopf durch die Finger gleiten. Auch er war angespannt.
»Ach, wirklich?«, murmelte Gallo. »Wie gut, wenn man Wodansanbeter dabei hat, die sprechen mit den Bäumen und den Käfern.«
Sigfrid schnaubte etwas Verächtliches und schlüpfte mit dem linken Arm in die Griffringe des Schildes, das er vom Sattel gelöst hatte. Erwartungsvoll sah er Arnulf an. Der hatte sein Tuch wieder straff um den Hals gebunden