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Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten. Ernst-Otto Constantin
Читать онлайн.Название Fritz Gezeiten des Lebens-Ebbe,Flut und Sturmfluten
Год выпуска 0
isbn 9783347116788
Автор произведения Ernst-Otto Constantin
Жанр Биографии и Мемуары
Издательство Readbox publishing GmbH
Die Gefangenen wohnten im Dorf. Fritz schlich sich gelegentlich im Dunkeln zu ihnen. Er fand sie alle sehr nett und fühlte sich unter ihnen wohl. Manchmal brachte er ihnen ein Körbchen voller Eier, die er frisch aus den Nestern der Hühner klaute. Er mochte diese Menschen. Später beschlagnahmte die SS ein Pferd nach dem anderen. 1944 im Dezember erschien der Reichsgauleiter Koch und wollte Mutter die letzten beiden Pferde wegnehmen. Dieser Koch war ein berüchtigter, gefürchteter, übler, skrupelloser Nazi-Scherge. Er führte eine Schreckensherrschaft über Ostpreußen. Mutter hatte ihn mit gezogener Pistole voller Zorn vom Hof gejagt. „Ihr habt mir meinen Mann genommen und fast alle meine Mitarbeiter. Verschwinden Sie!“ Er zog ohne Pferde ab. Es ist ein Wunder, dass das für sie ohne Folgen blieb.
Fritz liebte die Sommer. Barfuß lief er über den Hof zu seinen Pferden. Er umarmte ihre Beine, streichelt sie und war glücklich. Nie hat ihn eines der Pferde getreten. Immer vier starke Kaltblüter gehörten zu einem Gespann. Der Acker war sehr schwer. Deshalb wurden zum Pflügen stets vier Pferde benötigt. Den Gespannführern blieb fast das Herz stehen, wenn sie ihn unter den Pferden sahen. Und dann gab es Lisa, eine schwarze Stute, die vor die Kutsche gespannt wurde, wenn es mit ihr durch die Felder oder nach Trömpau zu Großvater ging. Fritz war unsterblich in sie verliebt. Eines Tages holte er sie ohne Halfter aus dem Stall. Keiner merkte das. Sie folgte ihm wie ein Hund zur Kutsche, sodass er von dort aus auf ihren Rücken steigen konnte. Er hielt sich an ihrer langen Mähne fest. Los ging es. An den Feldern vorbei, auf denen das Korn in einem sachten Wind wogte. Er lauschte dem Gesang der Lerchen. Es ging vorbei an Wiesen und Weiden. Die Sonne tauchte das ganze Land in herrliche Farben. Es war wunderbar warm. Fritz war glücklich. Lisa verstand ihn offenbar. Wenn Fritz sagte „Halt“, blieb sie stehen, bei „Geh“ ging sie weiter, und bei „Lisa, zurück“ drehte sie um. Sie ging zurück auf den Hof. Es mussten Stunden vergangen sein, denn Fritz und Lisa wurden bereits sorgenvoll gesucht. Einer der Arbeiter hob Fritz vom Pferd. Lisa folgte ihm ohne Zaumzeug in den Stall. Die Standpauke von Mutter beeindruckte ihn überhaupt nicht. Sie störte nur sein Glücksgefühl und die Liebe zu diesem Pferd.
Der Schmied und die Tiere
Der Hof hatte eine eigene Schmiede. Davor stand, wie schon gesagt, der Trecker, ein Lanz Bulldog. Das war das Reich von „Schmittchen“, dem Schmied. Jeden Tag führte Fritzens Weg schon morgens zur Schmiede. Schmittchen war sein bester Freund. Er beschlug die Pferde, zog den Bullen Ringe durch die Nase, schmiedete Pflugscharen. Fritz war fasziniert von der Glut in der Esse und davon, wie Schmittchen das glühende Hufeisen auf dem Amboss formte, um damit die Pferde zu beschlagen.
Das absolute Glücksgefühl überfiel Fritz regelmäßig, wenn Schmittchen den Lanz Bulldog anschmiss. Dazu musste das Steuerrad abgenommen werden. An der Seite wurde es eingesteckt. Mit zwei bis drei Halbumdrehungen setzte sich der Motor stöhnend in Gang. Fritz liebte den Geruch des Dieseltreibstoffs. Er war begeistert von den blauen Ringen, die jeweils mit Getöse aus dem Auspuff über dem Motorstand entwichen. Blitzschnell war Fritz auf dem Schoß von Schmittchen. Raus ging es zum Pflügen, zum Eggen oder Säen auf die Felder.
Schmittchen wohnte im Dorf. Eine Frau hatte er wohl nicht. Er nahm den Jungen oft auf seinem Fahrrad mit. Da saß er dann auf der Stange des Herrenrades. Das tat zwar seinem Hinterteil weh, wenn Schmittchen über den holprigen Weg zu seinem Haus fuhr. Die Aussicht auf ein köstliches Zuckerbrot vertrieb jedoch jeden Schmerz. Außerdem schnitt Schmittchen ihm regelmäßig die Haare.
Dann gab es Bello. Das war ein stattlicher Rottweiler. Er lebte draußen angekettet in einer Hundehütte. Wie oft wurde Fritz gesucht und bei Bello in der Hundehütte gefunden. Beide waren ein Herz und eine Seele. Eines Tages war Bello nicht mehr da. Er sei von Soldaten abgeholt worden. Es hieß, er sei im Baltikum. Vier Wochen später war er wieder da. Spindeldürr und winselnd kroch er in seine Hütte. Fritz legte sich zu ihm. Er versprach: „Jetzt passe ich auf dich auf, die kriegen dich nicht wieder.“
Auf dem Kutschstall befand sich ein Storchennest. Jedes Jahr kamen die Störche wieder. Fritz war begeistert, wenn die Störche im Frühjahr das Nest bezogen. Er konnte ihnen stundenlang zusehen, wenn sie anflogen, den Kopf mit dem langen roten Schnabel klappernd nach hinten beugten und sich begrüßten.
Nein, die Kühe mochte er nicht und den Bullen schon gar nicht. Es war wohl der penetrante Gestank, der aus dem Stall entwich.
Eines Tages kam Großvater Overkamp (Mutters Vater). Seine Frau war bei der Geburt ihres dritten Kindes gestorben. Fritz hat diese Großmutter nie erlebt. Trömpau hieß sein durchaus hochherrschaftliches Gut. Das war größer als Wargienen. Fritz suchte Großvaters Nähe nicht. Er sah immer etwas ernst und grimmig aus. Aber dieses Mal war alles anders. Großvater kam mit einem Pony und einer kleinen Kutsche. „Fritz, komm, das Pony Ella gehört jetzt dir.“ Das Ansehen von Großvater stieg in ungeahnte Höhen. Ella und Fritz verstanden sich sofort. Eine tiefe Liebe und Zuneigung empfanden wohl beide füreinander. Fritz füttert und tränkte Ella jeden Tag. Sie wurde immer liebevoll gestriegelt. Fritz sprach mit Ella oft so, als sei sie eine verständige Schwester, der man alles erzählen konnte. Ella wieherte, wenn Fritz in den Stall kam, weil dem immer eine Umarmung folgte. Er kraulte und streichelte sie zärtlich.
Wochen später kam Großvater mit seinem Mercedes wieder auf den Hof. „Wie geht es dem Pony?“ Großvater wollte Ella streicheln. Das gefiel ihr offensichtlich gar nicht. Sie biss Großvater kräftig in den Arm. Noch am gleichen Tag ließ er Ella samt Kutsche wieder abholen. Fritz ging zu Lisa in den Stall und umarmte seinen Liebling an den Vorderbeinen und weinte bitterlich. Sie beugte ihren Kopf zu Fritz, als wollte sie ihn trösten. Fritz wollte nie wieder etwas von Großvater wissen.
Ach, was waren die Erntezeiten schön. Wenn das Getreide gemäht, in Hocken aufgestellt und später eingefahren wurde, wenn gedroschen und das Stroh in Garben gebunden wieder in der Scheune hoch aufgestaut wurde. Es roch alles so gut. Nach der Ernte wurde mit dem Trecker gepflügt. Er zog Furche um Furche. Fritz saß stundenlang auf Schmittchens Schoß und durfte das Steuer halten. Schmittchen war ein warmherziger, lieber Freund. Er verstand Fritz. Er hielt auch mit ihm zusammen und nahm ihn in Schutz.
Die Winter waren Fritz ein Graus. Sie waren in Ostpreußen bitter kalt. Am schlimmsten war es, wenn seine Füße eiskalt wurden, was regelmäßig geschah. Tiefer Schnee bedeckte das ganze Land. Gelegentlich wurde Lisa geholt und vor die Schlitten der ganzen Dorfkinder gespannt. Sie zog die ganze Bande geduldig durch die Landschaft. Fritz war froh, wenn er Lisa wieder in den warmen Stall bringen konnte.
Nikolaus wurde angekündigt. Es war üblich, am Vorabend einen Strumpf außen an der Tür aufzuhängen. Morgens war er gefüllt mit köstlichen Pfefferkuchenkeksen, leckeren Karamellstücken aus der eigenen Küche, Nüssen, roten Äpfeln, Schokolade und anderen Leckereien.
Es wurde Weihnachten. Im Damenzimmer stand jedes Jahr ein wunderbar geschmückter großer Weihnachtsbaum mit roten Kugeln, gelben Kerzen und ganz viel Lametta. Er reichte bis unter die Zimmerdecke. Die Kerzen leuchteten. Im Kachelofen gab es oben eine Öffnung, in der Bratäpfel schmorten. Es war warm und gemütlich und es roch herrlich.
Der Weihnachtsmann war angekündigt. Es klopfte. Fritz sah den Kerl mit einem Sack und einer Rute kommen. Blitzschnell verschwand er unter dem Sofa. Angstvoll lugte er von da unten in den Raum. Er traute seinen Augen nicht. Hatte doch der Weihnachtsmann Schmittchens Schuhe an. Kein Zweifel, die kannte er nun wirklich gut. Und dann die Stimme! „Wo ist der Lorbass?“1 Ganz sicher. Das war Schmittchen. Nichts wie raus aus dem Versteck, den Weihnachtsmann umarmt. „Schmittchen“, war alles, was er herausbrachte. Der nahm ihn auf seinen Arm. Von da an kam nie wieder ein Weihnachtsmann.
1 Lorbass = ostpreußisch für Lümmel, Taugenichts.
Sein Onkel, der Leutnant
Aber da gab es noch etwas.