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um die Zukunft seiner Enkel. Für sie ist Frieden etwas ganz Normales. Das Nachdenken darüber beschäftigt sie kaum, schon gar nicht die Frage, ob und wie er erhalten werden kann und ob sie womöglich selbst etwas dazu beitragen sollten. Wer den Irrsinn des Krieges miterlebt hat, weiß jedoch, wie kostbar Frieden in Freiheit und Demokratie ist. Angesichts rechter und linker Radikaler zucken die jungen Leute nur mit den Schultern. Offensichtlich erkennen sie nicht die damit verbundenen Gefahren. Aufgewühlt und traurig über die Gleichgültigkeit so vieler Menschen beschloss Fritz – wie er genannt wird –, sein Leben zu erzählen. Die ihm noch verbleibende Zeit will er nutzen, um der schmerzenden Gleichgültigkeit etwas entgegenzusetzen. Auch, um die Nachgeborenen zu mahnen, diesen Frieden und die Freiheit zu schützen, denn es ist kaum zu glauben, dass sich Frieden und Freiheit von selbst erhalten. Jeder ist gefordert, sich dafür einzusetzen.

      Fritz hatte – wie man noch sehen wird – seinen Beitrag geleistet, der Gesellschaft zu dienen. Die Erfahrungen seines Lebens haben ihn zu dem werden lassen, der er ist – gerade auch die bitteren Erlebnisse sind Schätze seiner Lebensschule. Er will sie unbedingt vererben. Diese Erbschaft ist absolut und garantiert steuerfrei.

      Nichts in seinem Leben war vergeblich. Alles hatte am Ende einen Sinn. Aber vieles in der Vergangenheit, manches Mal zu vieles, war für ihn unglaublich schwer. Zeitweise schien er daran zu zerbrechen.

      Dieses Buch reicht nicht aus, um all die abenteuerlichen Erlebnisse seines Lebens zu erzählen, auch einem Anspruch an Objektivität kann es nicht genügen. Was er aufschrieb, ist das, was er für sich in seinem Leben als wesentlich wahrgenommen hat; er schildert, wie er die Dinge erlebte, sah und empfand.

      Fritz dankt allen, die durch guten Rat mitgeholfen haben, dieses Buch zu erstellen.

      Er widmet dieses Buch allen Seeleuten, die draußen auf See blieben – auch seinem Vater und dessen Bruder, die ihm der Krieg nahm und die er so sehr vermisste; ebenso seiner Großmutter Constantin, die sich für ihn aufopferte, und nicht zuletzt seiner unaufhörlichen Liebe, seinem Mädchen, die bis heute seine Frau ist, und seinem Sohn Marcus.

       Fritzens junges Leben

      Kaum war er geboren, schon stritten sie: In seinem jungen Erdenleben führte die Namenswahl zu einem heftigen Streit in der Familie. Die Großmutter väterlicherseits fand, dass er den Vornamen ihres verstorbenen Ehemannes bekommen und wie sein Großvater Otto heißen müsse. Das stieß auf heftigen Widerstand in der Familie der Mutter. Nein, er müsse auf jeden Fall den Vornamen seines Großvaters mütterlicherseits tragen. Schließlich habe der ja seinem Schwiegersohn den Hof übertragen. Ernst hieß er, und so müsse auch der Junge diesen Vornamen tragen, Punktum. Heraus kam ein Kompromiss. „Ernst-Otto“ stand fortan in der Geburtsurkunde. Bei der Taufe offenbarte Großvater Ernst, dass er in Wahrheit Ernst-Otto heiße. „Fritz“ hieß der Junge nun bei Vater und dessen ganzer Familie, vielleicht auch deshalb, weil man sich vom Großvater über den Tisch gezogen fühlte. Auch auf dem Hof rief ihn jeder Fritz, und dabei blieb es.

      Fritz erlebte eine unvergessliche Zeit in Ostpreußen. Sie ist noch heute ganz lebendig in ihm. Wargienen hieß das Gut und das Dorf, die zusammengehörten – gerade mal 20 km von Königsberg entfernt, im Samland gelegen. Im Dorf lebten die Mitarbeiter des Gutes mit ihren Familien. Kein Tag vergeht, an dem er nicht an all das denkt, was er dort so sehr liebte. Und doch gab es schon damals Dinge, die ihm zu schaffen machten, die wehtaten.

      1937 wurde Fritz in Königsberg geboren. Die frühen Ereignisse seiner Kindheit, die aus dem Dunst der Vergangenheit auftauchen, erinnert er ab etwa seinem vierten Lebensjahr. Sie sind seitdem klar und gegenwärtig. Noch heute denkt er sehnsuchtsvoll an diese ersten bewusst gelebten Jahre in Ostpreußen zurück.

      In ca. 100 m Entfernung von der Toreinfahrt zum Hof standen zwei große Kastanien vor einer Buchenhecke am Eingang des Gutshauses. Er mochte das Haus. Pompös oder hochherrschaftlich war es nicht. Und doch hatte es einen unaufdringlichen Charme. Im Mai schmückten sich die Kastanien mit riesengroßen Blüten. Er liebte diese Bäume. In einem Viereck gegliedert standen die Gebäude des Hofes. Zuerst der Hühnerstall. Daran schloss sich der Kuhstall an. Unter dessen Satteldach wurde Heu und Stroh für das Vieh gelagert. Dann führte eine Ausfahrt zu den Weiden. Nach links ging ein Sandweg nach Spitzings und rechts einer zum Dorf. Spitzings war ein Ort mit nur wenigen Häusern und einer Kleinbahnstation, wo der Zug hielt, der nach Königsberg fuhr. Etwas abseits von jenem Kleinbahnhof befand sich ein besonderes Gebäude. Fritz hat dieses Gebäude in denkbar schlechter Erinnerung. Es war seine Schule. Er fand sie immer freiheitsberaubend, anstrengend, mit einer strengen Lehrerin ausgestattet, die ihm jede Menge unangenehme Hausaufgaben auflud. Im Tornister trug er seine Last morgens hin und mittags zurück. Und dann die ätzenden Schularbeiten, die ihm oftmals den schönsten Teil des Tages raubten. Allzu oft hieß es in dieser verdammten Schule: „Fritz, nach vorn kommen. Hände ausstrecken!“ Dann setzte es zwei bis drei Hiebe mit einer Gerte auf die Handinnenfläche. Zu Hause angekommen taten die Hände noch immer weh. Mutter sagte nur: „Benimm dich, dann passiert auch nichts.“ Kurz und gut, diese Schule empfand er als Strafe des Lebens. Welchen Sinn die Schule haben sollte, wollte sich ihm damals nicht so recht erschließen. Nein, er ging überhaupt nicht gerne zur Schule. Das sollte sein ganzes Leben so bleiben. Später erkannte er deren Notwendigkeit, aber Freude kam bei dem Gedanken an Schule trotzdem nicht auf. Dass jemand Freude am Lernen hat, konnte er überhaupt nicht verstehen. Für ihn war das stets Plage und Mühsal.

      Im rechten Winkel zum Gutshaus stand der Kutschstall, auf ihm befand sich ein Storchennest. Ein breiter Zugang zu den Weiden für das Jungvieh gab den Blick fast bis Spitzings frei. Daran schloss sich eine große Scheune an, in welcher die Getreideernte samt Dreschmaschine untergebracht war. Mit etwas Abstand folgte die Schmiede. Davor standen zwei große Birken und zwischen ihnen der Trecker, ein Lanz Bulldog. Hier war das Reich des Schmiedes. Fast jeden Tag führte Fritzens Weg dorthin, denn der Schmied war für ihn ein Mensch, den er liebte. In der Mitte des Hofes gab es einen Teich. Dahinter standen Leiterwagen, die Kutsche und andere Gerätschaften. Hier war Fritz zu Hause.

       Der Geruch des Krieges

      Vater war ein glühender Anhänger der Land-SA, einer fürchterlichen Nazi-Organisation. Im August 1940 ging es für ihn von Wuppertal aus an die Front nach Frankreich. Dort angekommen war er eine halbe Stunde später tot.

      Er wurde von seinen Kameraden an einem Straßenrand verscharrt und später von Franzosen auf den ortseigenen Friedhof umgebettet. Bis heute denkt Fritz mit Respekt und Dankbarkeit an die Großmut der Franzosen. Wärme breitet sich in seinem Herzen aus, wenn er bedenkt, dass die damaligen Feinde so viel menschliche Größe zeigten und einem ihrer Gegner, seinem Vater, ein würdiges Grab auf ihrem Friedhof schenkten. Fritz war 3 Jahre alt, als der Vater fiel. An Vater hat er keine Erinnerungen mehr. Später berichtete Mutter, dass Vater in seinem letzten Feldpostbrief aus Wuppertal schrieb: „Hitler ist ein Verbrecher. Wir müssen ihn loswerden.“ Er hat in Wuppertal wohl von den KZs erfahren und glaubte jetzt seinem Bruder, mit dem er sich so oft wegen der SA und der Naziherrschaft heftig stritt.

      Diese Zeit hat der Nebel des Vergessens verdunkelt und fast aus seiner Erinnerung getilgt. Nur dunkel erinnert er sich auch an die Geburt seiner Schwester im März 1940. Vater hat sie nie gesehen. So richtig lieb hatte er seine Schwester schon damals nicht. Die klaute ihm die frisch gepflückten Himbeeren und ärgerte ihn, wo es nur ging. Es ging ihm wirklich gut, wenn er ihr aus dem Weg gehen konnte.

      Mutter stand jetzt mit ihren 22 Jahren alleine da. Die große Landwirtschaft, zwei kleine Kinder und die vielen Sorgen waren für sie eine schwere Last. Ihre Mitarbeiter wurden einer nach dem anderen zur Front eingezogen. Dabei brauchte sie doch jeden Einzelnen. Mutter bekam 16 belgische Kriegsgefangene, die auf dem Hof arbeiten mussten. Sie wurden von einem Soldaten bewacht. Sein kugelrunder Bauch wurde offensichtlich nur mit Mühe von einer breiten schwarzen Koppel und einem imposanten Koppelschloss zusammengehalten. Ein grimmiges Gesicht und dicke rote Wangen machten diesen Fettwanst nicht sympathischer. Ein geschultertes Gewehr trug er beständig mit sich herum. Fritz mochte diesen Kerl nicht. Kontakt zu den Gefangenen war ihm selbst streng verboten. Morgens mussten sie sich vor der Hecke, die den Hof vom Gutshaus trennte, zur Arbeitsverteilung aufstellen. Der „Herr Soldat“, so sprach Fritz ihn stets an, stand jeden Morgen – wie die

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