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das ist …«

      Er weiß ihren Namen nicht.

      »Willy Wolters«, sagt sie und stellt die zweite Kaffeetasse vor mir ab. Augenkontakt vermeidet sie. Damit sie mir nicht die Hand geben muss, wischt sie sich umständlich die Finger am Rock ab.

      »Verschwenden wir keine Zeit.« Mark zeigt auf den großen Flügel mitten im Arbeitszimmer. Willy setzt sich auf den Hocker. Zögernd berührt sie einige Tasten, ohne jedoch zu spielen. Als würde sie mit dem Instrument erst Kontakt aufnehmen wollen.

      »Spiel etwas.« Mark lehnt sich zurück und rührt in seinem Kaffee.

      Sie beginnt mit einem Stück von Bach, BWV 731: Liebster Jesu, wir sind hier. Sie schlägt die Tasten ziemlich kräftig an und setzt das rechte Pedal zu häufig ein. Wir warten, denn eigentlich sollte sich jetzt beim Zuhören unser Herz öffnen. Mark unterbricht sie schon bald.

      »Hör mal auf.«

      Sie hört auf. Langsam gleiten ihre Finger von den Tasten.

      »Schön«, sagt sie.

      »Meinst du?«, fragt Mark.

      »Der Flügel«, führt sie aus. »Ich übe auf einem Klavier mit Lappen auf den Saiten.«

      »Wie um Himmels willen kommt man denn auf so eine Idee?«

      »Weil die Nachbarn sich sonst beschweren. Aber es ist ein altes Ding. Mein Vater hat es auf dem Müll gefunden.«

      Quasi gleichzeitig heben wir fragend die Augenbrauen.

      »Im Müll?«, fragt Mark entsetzt.

      »Mein Vater ist Müllmann.«

      »Und wer hat dich unterrichtet?«, möchte Mark wissen.

      »Eine Bekannte meiner Mutter.«

      Ich hatte mir zwar vorgenommen, den Mund zu halten, aber jetzt beteilige ich mich doch am Gespräch.

      »Und was weißt du über Bach?«

      Es bringt sie kurz aus dem Konzept, dass ich etwas frage, sie schaut mich dann aber zum ersten Mal mit ihren großen braunen Augen an.

      »Ich spiele nach seinen Noten, das mache ich.«

      Die Antwort reicht mir nicht. »Man kann keine Noten interpretieren, wenn man den Mann dahinter nicht gründlich studiert hat«, sage ich ihr. »Weißt du denn, wer der größte Bach-Experte auf der Welt ist?«

      »Woher soll sie das wissen?«, unterstützt mich Mark.

      Ihre Antwort überrascht uns dann beide. »Albert Schweitzer. Er hat sich so tiefgehend mit Bach beschäftigt wie niemand zuvor«, antwortet sie, während sie aufsteht und sich vor uns stellt. Jetzt muss ich zu ihr hochschauen.

      »Leider gab er eine einzigartige Karriere auf und wurde Arzt im afrikanischen Urwald«, sage ich. »Was meiner These, dass Genialität allzu häufig mit einer Geistesstörung einhergeht, neue Nahrung gibt.«

      »Sie halten ihn also für gestört?«

      »Nun, er versündigt sich an seiner Begabung, wenn er keinen Gebrauch davon macht.«

      »Vielleicht hat er mehr Begabung als Arzt.«

      Sie blickt mich herausfordernd an, und ich weiß kurz nicht, was ich sagen soll. Sie hat einen wunden Punkt getroffen. Habe ich nicht ebenfalls meine Begabung aufgegeben? Auch wenn die Gründe dafür niemand kennt? Und einem anderen Talent dafür den Vorzug gegeben? Ich entschließe mich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

      »Warum spielst du so?«

      »Wie, so?«

      »So ohne Gefühl.«

      Sie kneift ihre Augen zusammen.

      »Weil ich lernen musste, dass niemand meine Gefühle braucht«, sagt sie nach einer kurzen Pause.

      Mark wirft mir einen warnenden Blick zu. Hat er gemerkt, dass ihre Augen diesen wässrigen Glanz bekommen haben? Sie steht unter Druck, das ist deutlich. Sie will heute und hier etwas erreichen. Aber sie darf dann nicht gleich im ersten Gespräch über Musik kapitulieren.

      »Du musst doch interpretieren, was sich hinter der Musik verbirgt, oder?«, frage ich sie.

      »Interpretationen können falsch sein. Sich auf die Noten zu konzentrieren ist immer richtig«, antwortet sie.

      »Das ist keine Kunst, das ist bloße Wissenschaft.«

      »Bach war ein mathematischer Komponist«, kontert sie.

      »Allerdings einer der wenigen, die die Sprache Gottes beherrschen«, entgegne ich.

      »Nun, was Gott vorhat, das weiß niemand so genau, oder?«

      Zum zweiten Mal bin ich sprachlos. Der Gedanke schießt mir durch den Kopf, dass das nicht so oft passiert. Ich blicke sie direkt an, aber sie sieht nicht weg. Ich wende als Erster den Blick ab und schaue zu Mark, der mich rettet.

      »Deine Technik ist schrecklich. Da hilft es auch nicht, so häufig das Fortepedal zu benutzen. Schlag dir das Konservatorium aus dem Kopf. Du hast keine Chance.«

      Eine Falte bildet sich auf ihrer Stirn. Dann macht sie einen Schritt auf Mark zu und nimmt all ihren Mut zusammen:

      »Können Sie mich unterrichten? Ich werde hart arbeiten. Ich werde alles tun, damit ich besser werde.«

      Mark steht auf. »Wenn ich dir einen Rat geben darf: Heirate und schau, dass du ein paar Kinder bekommst.«

      »Wie Ihre Frau.«

      »Genau.«

      Sie schaut von Mark zu mir und dann wieder zu ihm. Schließlich macht sie einen angedeuteten Knicks, voller beißender Ironie.

      »Ich hoffe, der Kaffee war zumindest recht.«

      Erhobenen Hauptes geht sie zur Tür hinaus.

      Mark blickt mich kopfschüttelnd an. »Merkwürdige Person.«

      »So schlecht war sie gar nicht«, sage ich.

      »Aber sie ist eine Frau«, entgegnet er mir.

      Ich nicke. »Sogar eine sehr hübsche Frau.«

      ~ Willy ~

      8

      Ich schiebe das Metallgitter des Aufzugs mit einem Ruck zu. Vielleicht war alles sowieso vergebliche Liebesmüh, rede ich mir ein. Goldsmith hatte nie vor, mir eine echte Chance zu geben. Ich schlage kräftig auf den Knopf im Aufzug. Nach unten. Kreischend setzt sich das Ding in Bewegung.

      Der Aufzug versinkt mit mir schon im Boden, als Goldsmith aus der Wohnungstür stürmt. Er sieht gerade noch, wie mein Kopf verschwindet.

      »Halt, halt!«, ruft er, während er die Treppe, die den Aufzug umkreist, hinuntereilt, um mit mir auf einer Höhe zu bleiben. Ich unternehme nichts. Soll er ruhig mal ein paar Runde drehen, denke ich gehässig.

      »Du wolltest doch aufs Konservatorium.«

      »Wahrscheinlich, weil ich ›gestört‹ bin, oder?«

      »Ich habe es mir überlegt, ich kann dich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten!«

      Der Aufzug ist schneller als er. »Drei Stunden pro Wochen, für je zwei Dollar.«

      Nun, das ist ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Ich bringe den Aufzug zum Stehen.

      Als ich am Abend spät nach Hause komme, sehe ich, wie meine Mutter hinter den bleiverglasten Zwischentüren mit drei ihrer Freundinnen eine Séance abhält. Dass die Damen dabei die Augen geschlossen halten, kommt mir gelegen. Als ich vorbeihuschen will, entdecke ich ihre Taschen auf dem Flurschränkchen. Aus der teuersten schaut ein Schminketui hervor. Das muss die Tasche von Mrs Brown

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