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achte darauf, dass ich morgens pünktlich das Haus verlasse und abends zur richtigen Zeit wieder da bin. Tagsüber bewerbe ich mich oder halte mich in der Bibliothek auf. Da bin ich gerne. Schlafwandlerisch finde ich mich in der Musikabteilung zurecht. Je mehr ich lese, desto weniger weiß ich wirklich. Mein Hunger nach Büchern ist der einzige, den ich in der vergangenen Woche habe stillen können. Ich muss mit dem Geld über die Runden kommen, das mir der Toilettengast in die Hand gedrückt hat.

      Die Temperaturen sind eigentlich zu warm für April. Die Musiker haben ihre blauen Uniformjacken mit den goldenen Knöpfen zugeknöpft, aber sie sitzen auch im Schatten der Bedachung; die Zuschauerbänke stehen in der prallen Sonne.

      Mir war schon aufgefallen, dass meine Mutter unter der Wärme leidet. Sie fächelte sich kühlende Luft zu, aber jetzt wird es ihr zu viel, und sie steht auf. Mein Vater folgt ihr. Ich bleibe sitzen und blicke stur auf das Orchester. Die fröhliche Marschmusik, die sie spielen, macht mir Mut. Ich weiß aber, was von mir erwartet wird. Auf halber Strecke dreht sich meine Mutter um und signalisiert mir, dass ich gefälligst mitkommen soll. Ich halte ihrem Blick stand und schüttele den Kopf. Mein Vater merkt, dass sich einige Zuhörer durch Mutters Verhalten gestört fühlen. Meine Mutter kann man nicht so einfach ausblenden, nicht nur weil sie ziemlich dick ist.

      »Wir stehen hier im Weg«, ermahnt er sie und hofft, dass sie weitergeht. Erstaunlicherweise protestiert sie nicht – ihre Kopfschmerzen müssen wirklich schlimm sein.

      Als das Konzert vorüber ist und die Musiker allmählich ihre Instrumente einpacken, sehe ich meine Chance gekommen. Ich gehe rasch die Treppe zur Musikmuschel hinauf.

      »Mr Goldsmith?«, sage ich laut.

      Ich schaue auf den grau melierten Hinterkopf des Dirigenten. Er ignoriert mich, als erforderte das Zusammensuchen der Partituren seine ganze Konzentration.

      »Mr Goldsmith?«

      Widerwillig wendet er sich um und reibt sich dabei über den dünnen Schnurrbart. Wer wagt es, ihn nun schon wieder zu belästigen?

      Ich lege los. »Meine Eltern und ich … wir besuchen schon seit Jahren Ihre Mittagskonzerte.«

      »Wahrscheinlich weil es nichts kostet«, antwortet er ohne jegliche Ironie.

      Ich lächle. Er dreht sich wieder weg.

      »Beim letzten Teil von The Liberty Bell … Also ich glaube, die Posaune hat sich verspielt, kurz vor der Wiederholung des Trios. Sie spielte ein E, aber es musste ein Es sein.«

      Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Er schaut mich leicht irritiert an, sucht in der Partitur, läuft dann zur Posaune und nimmt die Noten vom Ständer.

      »Gut aufgepasst«, muss er zugeben. »Kennst du den Posaunenpart auswendig?«

      »Nicht nur diesen, sondern alle«, entgegne ich.

      Goldsmith hat seine Tasche gepackt und geht die Stufen hinunter. Er versucht offensichtlich, sich rasch davonzumachen. Ich muss mich beeilen, um überhaupt hinterherzukommen.

      »Sie geben doch Klavierunterricht am Konservatorium?«

      »Das ist richtig.«

      »Ich möchte auch auf das Konservatorium.«

      »Na dann, viel Erfolg.« Er geht einfach weiter. Diese Unterhaltung macht ihm keinen Spaß. In einem Bogen laufe ich um ihn herum und stelle mich ihm in den Weg; jetzt muss er stehen bleiben.

      »Darf ich einmal vorspielen?«

      »Ich verschwende meine Zeit nur ungern.«

      »Das geht mir auch so.« Ich weiß, das ist ganz schön frech, aber was bleibt mir übrig.

      »Das kostet aber was«, sagt Goldsmith. »Zwei Dollar.«

      »Das ist in Ordnung.«

      Er begutachtet meine schäbige Sonntagskleidung.

      »Im Voraus.«

      Zu seiner Überraschung nehme ich den Betrag aus der Tasche und überreiche ihn ihm. »Bitte sehr.«

      Widerwillig gibt er mir seine Visitenkarte. »Morgen um vier.« Dann wendet er mir den Rücken zu.

      Ich betrachte die Karte: Mark Goldsmith, Music Professor, lautet die Aufschrift.

      Drei Minuten zu früh betrete ich das große Foyer des Apartmentkomplexes, in dem Goldsmith lebt. Da ich in den sechsten Stock muss, steige ich in den Aufzugkäfig in der Mitte des Treppenhauses. Ich will nicht außer Puste oben ankommen.

      Als ich die richtige Tür gefunden habe, klingele ich. Eine hübsche, leicht übermüdet wirkende Frau öffnet.

      »Ja bitte?«, fragt sie.

      Ich sehe, dass sie schwanger ist.

      »Ich bin mit Professor Goldsmith verabredet.«

      Sie öffnet die Tür weiter und bittet mich herein. Sofort wuseln Kinder lautstark um mich herum. Ich komme auf fünf. Das kleinste fängt an zu weinen. Mrs Goldsmith nimmt es auf den Arm und geht in das große Wohnzimmer.

      Professor Goldsmith kommt hemdsärmelig aus seinem Arbeitszimmer.

      »Ruhe, Kinder! Ich versuche zu arbeiten«, meckert er. Dann blickt er seine Frau an, als wäre die Standpauke eigentlich für sie gedacht.

      »Könnte ich eine Tasse Kaffee bekommen?«

      »Der muss erst gemahlen werden«, antwortet sie.

      Erst jetzt sieht er mich. »Sie kann das erledigen. Wenn der Kaffee fertig ist, kannst du reinkommen.«

      Er verschwindet wieder im Arbeitszimmer. Mrs Goldsmith nimmt mich mit in die Küche und drückt mir die Kaffeemühle in die Hand. »Du hast ihn gehört«, sagt sie.

      Die Kinder geben keine zwei Sekunden Ruhe.

      »Sind das alles Ihre?«

      »Ja, und das sechste ist auch schon unterwegs.«

      Ich versuche, nicht auf ihren Bauch zu starren, setze mich an den Küchentisch und fange an, den Kaffee zu mahlen. Ich atme auf, als ich in der Küche allein bin. Mein Arm schmerzt, aber der Duft des gemahlenen Kaffees beruhigt mich etwas.

      Dann habe ich plötzlich das Gefühl, als würde mich jemand durch einen Türspalt im Flur ansehen. Wahrscheinlich beobachtet mich heimlich eines der Kinder. Als ich aufschaue, wird die Tür geschlossen.

      Mrs Goldsmith reicht mir zwei Tassen dampfenden Kaffees. Ich gehe damit zum Arbeitszimmer und stehe hilflos vor der Tür. Wie soll ich so klopfen? Ich trete mit dem Fuß gegen die Tür. Die Tür geht auf, und mir gegenüber steht niemand anderes als der Kerl von der Toilette …

      ~ Frank ~

      7

      Wie ein erschrecktes Reh schaut sie mich an. In den Händen hält sie zwei Kaffeetassen. Sie kann weder vor noch zurück. Als ich sie eben beim Mahlen des Kaffees gesehen habe, wurde mir ganz merkwürdig zumute. Sie tut mir jetzt doch irgendwie leid. Mark hatte gerade erst erzählt, dass noch jemand zum Vorspielen kommt – ich habe das zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert. Und auch jetzt zucke ich nicht mit der Wimper.

      Ich trete zur Seite und lasse sie herein. Sie geht auf Mark zu. Er sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch, der ganz unter Papierstapeln begraben ist. Ich lasse mich wieder auf dem Lehnstuhl nieder, auf dem ich schon den ganzen Mittag verbringe. Die Tassen klappern auf den Untertassen. Ich bin erleichtert, als Mark die Stille unterbricht.

      »Dieser Haushalt ist ein einziges Chaos, darum lade ich eigentlich niemanden nach Hause ein, abgesehen von dem da«, er deutet auf mich, »aber der gehört sowieso zum Mobiliar.«

      Das trifft es durchaus. Er gehört schon seit Jahren zu meinen engeren Freunden, und ich besuche ihn ziemlich häufig. Wir hatten

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