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seid. Was darf ich dir anbieten? Kaffee? Toast?“

      „Sehr gern.“ Ich sehe ihm dabei zu, wie er mit geübten Fingern mein Frühstück zubereitet.

      Inzwischen ist Mario so etwas wie ein Ersatzvater für mich und weil er und Mum unter der Woche in der Regel später aufstehen und ich normalerweise allein frühstücke, koste ich die Zeit bis auf die letzte Minute aus.

      Als ich im Flur in meine Turnschuhe schlüpfe, öffnet sich Mums Schlafzimmertür. Müde lächelt sie mich an. Dann verliert sich ihr Lächeln. Ihre Gesichtszüge wirken wie versteinert. Die Augen sprühen vor Zorn. Verwirrt starre ich sie an.

      „Was ist das da um deinen Hals?“, zischt sie.

      Im ersten Moment weiß ich nicht, wovon sie spricht. Dann fällt mir der Ring ein. Erst da merke ich, dass die Halskette unter meinem Shirt hervorgerutscht ist. Das hat ja bestens funktioniert. Ich seufze innerlich. Wappne mich gegen eine Auseinandersetzung.

      „Greta, warum hast du dieses Ding noch?“

      „Weil ich ihn nicht in den Briefkasten geworfen habe. Evelyn hat ihn mir geschenkt.“

      „New York war ein Fehler. Vergiss Evelyn. Sie vergiftet deine Gedanken. Nimm ihn ab und gib ihn mir! Sofort!“ Ihre Stimme duldet keine Widerworte.

      Trotzdem erwidere ich: „Es ist nur ein Ring und er gehört jetzt mir.“

      „Greta, benimm dich nicht wie ein trotziges Kleinkind! Gib mir den Ring!“

      „Du benimmst dich wie ein Kind. Schon in New York warst du unerträglich. Wenn ich dich frage, antwortest du nicht. Bist stur ohne Ende. Ich bin deine Tochter. Ich kann auch stur sein.“ Demonstrativ umschließe ich den Ring mit meinen Fingern. Fast im selben Augenblick strömt ein Kribbeln durch meinen Körper, ein Windstoß fährt durch meine Haare und hinter Mum fällt die Schlafzimmertür mit einem lauten Knall ins Schloss.

      Erschrocken dreht sie sich um. Ich nutze den Moment der Ablenkung, lasse den Ring wieder unter meinem Shirt verschwinden, greife nach Jacke und Tasche und rausche aufgewühlt aus der Wohnung.

      Auf der Straße bleibe ich kurz stehen, versuche mir einzureden, dass das, was gerade geschehen ist, Zufall war. Doch noch immer spüre ich ein leichtes Vibrieren in mir nachhallen. Was hat das alles zu bedeuten, und warum reagiert Mum derart aggressiv? Hasst sie Dads Eltern so sehr, dass sie mir nicht mal ein Erbstück gönnt? Oder weiß sie vielleicht sogar mehr über den Ring? Verdammt, wenn sie doch nur nicht jedes Mal gleich an die Decke springen würde, sobald es um meine Großeltern geht. Wie gern würde ich ihr Fragen stellen. Sie ist außer Evelyn die Einzige, die mir Antworten geben kann. Heute Abend werde ich versuchen, ihr ein paar davon zu entlocken. Hoffentlich hat sie sich bis dahin wieder beruhigt.

      Die Straßen sind vollgestopft mit Autos. An den Ampeln geht es nur stoßweise voran. Auch auf dem Bürgersteig herrscht Hochbetrieb. Im Zickzackkurs laufe ich um entgegenkommende Menschen herum. Bei dem Wetter und dazu um die Uhrzeit, sind die Gesichter tief in Jacken und Schals vergraben. Trotzdem bilde ich mir ein, ihre Blicke auf mir zu spüren. Nicht nur wegen des Schreckens in der U-Bahn vom gestrigen Tag. Es ist eigenartig, aber vielleicht liegt es daran, dass ich das Gefühl habe, mich selbst von außen zu beobachten. Irgendetwas geht in meinem Leben vor sich, nur ist es nicht greifbar.

      „Hey, wie geht’s dir?“ Lara nimmt mich in den Arm.

      „Keine Ahnung“, gebe ich ehrlich zu.

      „Ich konnte auch die halbe Nacht nicht schlafen. Die Geschichte ist einfach unglaublich. Diese Beerdigung, das komische Verhalten deiner Mum, dann dieser unheimliche Kerl und um das Ganze zu toppen, ein geheimnisvoller Ring.“

      „Der geheimnisvoll bleibt, wenn ich Evelyn nicht erreiche.“

      „Immer noch nichts?“

      „Nein. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.“

      „Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.“

      Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Und es nicht zu wissen, quält mich. Vergeblich versuche ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, aber mir jagen tausend Gedanken durch den Kopf. Wie Laub, das durch einen Windstoß immer wieder aufgewirbelt wird und von selbst nicht in der Lage ist, zur Ruhe zu kommen.

      Meine Laune verfinstert sich. Diese andauernde Unwissenheit nervt. Ich werde nicht zulassen, dass ein kleiner Ring mein Leben auf den Kopf stellt. Frustriert balle ich die Hände zu Fäusten und setze mich aufrecht hin. Noch bevor ich das Kribbeln wahrnehme, fliegen krachend die Fenster auf. Erschrockene Schreie hallen durch den Klassenraum. Der hereinströmende Wind reißt die Blätter von den Tischen und wirbelt sie durch die Luft. Ungläubig beobachte ich die Szene. War ich das?

      Ich starre auf meine Hände, sehe mich dann im Raum um. Neben mir sitzt Lara. Unsere Blicke treffen sich. Meine Verwirrung spiegelt sich in ihrem Gesicht.

      „Alles okay mit dir?“ Lara sieht mich besorgt an.

      „Ich …“ Meine Stimme versagt, während mein Kreislauf in den Keller sackt.

      Lara wendet sich an unsere Lehrerin. „Greta sollte sich hinlegen. Sie ist ganz blass.“

      Noch immer irritiert durch die merkwürdige Unterbrechung ihres Unterrichts, nickt Frau Pauli. Langsam stehe ich auf und gehe unter den neugierigen Blicken der anderen zur Tür. Lara stützt mich, lässt mich auch auf dem Flur nicht los.

      „Wie krass das eben war. Hast du so was schon erlebt? Da hat der kleine Windstoß den kompletten Unterricht lahmgelegt.“ Lara kichert.

      „Ich denke, der Wind … das war ich.“

      Laras Kichern endet abrupt. Sie zieht an meinem Ärmel. Wir bleiben stehen. „Wie meinst du das?“ Sie erforscht mein Gesicht nach Anzeichen für einen Scherz. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass sie außer einen Hauch von Hysterie etwas finden wird.

      „Wie ich es sage. Es …“

      Hinter uns öffnet sich eine Tür. Ich verstumme und setze mich wieder in Bewegung. Laut ausgesprochen klingt diese Vermutung absolut verrückt. Lara hat es offensichtlich die Sprache verschlagen, denn sie hakt vorerst nicht weiter nach. Im Krankenzimmer angekommen, lege ich mich auf eine Liege. Noch immer sind meine Beine nicht so standfest wie sie sein sollten.

      Lara setzt sich neben mich und flüstert mit aufgeregter Stimme. „Du willst mir also sagen, dass du die Fenster geöffnet hast? Ohne sie anzufassen?“

      „Ja. Das klingt total dämlich, ich weiß.“

      „Egal, erklär es mir trotzdem.“

      Seufzend schaue ich auf die nicht mehr ganz so weiße Decke über mir und schildere Lara meine Vermutung. Ich erzähle ihr von dem Kribbeln, sobald ich den Ring über den Finger streife. Und dass genau dieses Kribbeln heute schon zweimal aufgetreten ist, bevor in meiner Nähe eine Tür zu- oder Fenster aufgeflogen sind.“

      „Dann hast du dank des Rings also eine Art Superkraft entwickelt?“

      Ich schaue sie hilflos an. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich bilde mir das alles keinesfalls ein.“

      „Ich glaube dir.“ Lara greift nach meiner Hand. „Aber genau deshalb sollten wir dringend an mehr Infos kommen.“

      Wir. Das Wort beruhigt mich. Ich bin nicht allein, egal, welche Katastrophe sich in meinem Leben auch gerade entwickeln mag.

      „O Mann, wer weiß, woher deine Familie wirklich stammt.“ Laras Blick gleitet vielsagend zur Zimmerdecke empor.

      „Außerirdische? Echt jetzt?“

      Sie zuckt nur mit den Schultern und grinst. „Wäre doch cool.“

      „Ähm, ja …“ Ich seufze und beiße mir nachdenklich auf die Innenseite meiner Unterlippe.

      „Na gut, das Wort cool ist vielleicht nicht angebracht.“ Sie schweigt kurz. „Denn wenn da wirklich etwas mit dir geschieht, lässt dich deine Familie damit ziemlich im Regen stehen.“

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