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Augenblick schmerzvoll im Schnee. Ich muss über eine verborgene Wurzel gestolpert sein. Keuchend bleibe ich liegen.

      Trotz der einsetzenden Dämmerung sehe ich den Schatten eines Menschen, der über mir auftaucht. Ich hebe schützend die Hände.

      „Alles okay bei Ihnen? Können Sie aufstehen?“

      Erstaunt über die Freundlichkeit der Stimme, blicke ich auf. Ein Mann mit dunkelblauer Daunenjacke und Wollmütze bekleidet, steht neben mir und schaut besorgt auf mich herab.

      „Ja.“ Ich muss mich mehrmals räuspern, um meine Stimme wiederzufinden. „Ich denke schon.“ Ich ergreife die Hand, die er mir anbietet und lasse mir auf die Beine helfen. „Danke.“

      „Keine Ursache. Aber in der Dunkelheit sollten Sie sich hier nicht alleine rumtreiben.“ Seine braunen Augen mustern mich kritisch.

      „Ich weiß, ich dachte nur …“ Erneut aufkommende Panik lässt mich herumwirbeln. Keine Spur meines Verfolgers. Als hätte es ihn nie gegeben. Doch ich weiß, er war da. „Irgendwie scheine ich mich verlaufen zu haben.“

      „Gleich da vorn ist die 5th Avenue. Na kommen Sie, ich bringe Sie hin.“

      „Danke, ich komme klar.“ Es klingt cooler, als ich mich fühle.

      Er nickt. „Verstehe, aber keine Sorge. Ich möchte nur helfen. Folgen Sie mir einfach unauffällig.“ Lächelnd setzt er seinen Weg fort.

      Ich klopfe mir den Schnee von Jacke und Hose, bringe ein wenig Abstand zwischen uns, bevor ich ihm nachgehe. Auf dem Gehweg angekommen, dreht er sich noch einmal zu mir um.

      „Kommen Sie gut nach Hause.“

      „Danke.“

      Ich bin froh, den Park verlassen zu haben. Und plötzlich sind ein fremdes Haus und eine anstrengende Mum das definitiv kleinere Übel. Das Licht hinter den Fensterscheiben fühlt sich nach Geborgenheit an. Weil ich keinen Schlüssel habe, muss ich klingeln. Ich habe den Finger noch auf dem Knopf, da reißt Mum auch schon die Tür auf.

      „Gott sei Dank, da bist du ja. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Erleichtert nimmt sie mich in den Arm.

      „Ich bin siebzehn und kein Baby mehr. Mir geht‘s gut.“ Na gut, ging mir schon besser. Aber ich lebe. Immerhin.

      „Wo warst du denn?“

      „Spazieren. Ich brauchte frische Luft.“

      Ich will die Tür schließen und drehe mich um. Gerade in dem Augenblick, als eine dunkle Gestalt aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne in die Dunkelheit eintaucht. Ich könnte schwören, es war der Mann mit der blauen Daunenjacke. Ob er sich vergewissern wollte, dass ich gut nach Hause gekommen bin? Aber dann hätte er mir folgen müssen. Neue Gänsehaut überzieht meinen Körper. Okay, stopp. Es reicht, ich mache mich selbst verrückt.

      „Wo ist Evelyn?“

      „Sie ruht sich aus. Wir sollten ins Hotel fahren“, drängt Mum.

      „Ich möchte mich noch verabschieden. Du kannst im Auto warten“, bemerke ich beiläufig, in der Hoffnung noch einmal mit Evelyn allein zu sein.

      „Nein, schon gut. Ich warte hier.“ Sie lächelt gezwungen und folgt mir ins Wohnzimmer.

      O Mann, was für ein Theater.

      „Greta, meine Liebe.“ Evelyn liegt auf dem Sofa. Jetzt setzt sie sich auf und klopft neben sich. Kurz zögere ich, aber Mum bleibt ruhig und ich nehme Platz. „Ich habe mich wirklich gefreut zu sehen, dass aus diesem süßen kleinen Mädchen von damals eine starke junge Frau geworden ist. Dein Großvater ist davon stets überzeugt gewesen. Ich bin froh, dass er recht behalten hat.“ Sie macht eine kurze Pause. „Jetzt, wo du weißt, dass es mich gibt, zögere nicht, wenn du Rat benötigst. Meine Tür steht immer offen.“

      Ich kann sehen, wie ihr Blick für eine Sekunde zu Mum gleitet.

      „Schatz, wir sollten los“, beendet Mum unser Gespräch. Darin ist sie wirklich gut.

      „Ja, das solltet ihr wohl. Der Sturm …“ Evelyn beendet den Satz nicht. Sorgenfalten bilden sich auf ihrer Stirn. Ihr Blick gleitet zum Fenster hinaus.

      „Was ist mit ihm?“, frage ich neugierig.

      „Er wird stärker. Es wird Zeit für einen neuen Ringträger, sonst gerät er außer Kontrolle. Die Erben Erebos’ sind sicher schon auf dem Weg hierher.“

      „Geht’s dir nicht gut?“ Ängstlich sehe ich Evelyn an.

      „Das reicht jetzt wirklich. Du bist keinen Deut besser als Alexander. Hört endlich auf mit diesen Horrormärchen.“

      Ich sehe zu Mum und stehe auf. „Was für Märchen?“

      „Keine Märchen. Eine Überlieferung“, übernimmt Evelyn das Gespräch wieder. „Die Meteorologen können sich den starken Wind aus gutem Grund nicht erklären. Es ist kein normaler Wind.“

      „Verdammt, Evelyn! Ich wusste, es war ein Fehler herzukommen.“

      Evelyn erhebt sich nun ebenfalls. „Du darfst die Augen nicht davor verschließen, Maria. Es ist Gretas Schicksal. Und nach Alexanders Tod ist sie die rechtmäßige Erbin.“

      „Könnte mir einer erklären, wovon ihr redet?“, frage ich verwirrt.

      „Da gibt es nichts zu erklären. Wir gehen. Verabschiede dich von deiner Großmutter.“

      Tausend Fragen schwirren mir durch den Kopf, doch mir ist klar, ich werde im Augenblick keine davon beantwortet bekommen.

      „Also dann.“ Mir fällt nichts Sinnvolles ein, was ich sagen könnte.

      Evelyn legt zum Abschied ihre beiden Hände auf meine. Dabei sieht sie mich eindringlich und irgendwie merkwürdig an. Im nächsten Moment spüre ich, wie sie mir etwas in die Handfläche drückt. Ich möchte sie darauf ansprechen, doch ihr Blick lässt mich schweigen. Dann lächelt sie und umarmt mich.

      „Von deinem Großvater“, flüstert sie dicht an meinem Ohr. „Nun gehört er dir.“

      Mir ist klar, dass sie nicht möchte, dass Mum davon erfährt. Nach dem Wortgefecht von eben durchaus nachvollziehbar, auch wenn ich noch nicht dahintergekommen bin, um was genau es dabei eigentlich ging. Aber um nicht noch mehr Ärger heraufzubeschwören, nehme ich den Gegenstand stumm entgegen. Er fühlt sich an wie ein Ring. Eiskalt und erstaunlich schwer wiegt er in meiner Hand, trotzdem umschließe ich ihn fest in meiner Faust. Ich nicke ganz leicht, als sich Evelyn von mir löst. Unbemerkt verschwindet meine Hand kurz in meiner Hosentasche, wo der Ring vor Mums Augen sicher ist. Ich habe das Gefühl, ihn beschützen zu müssen.

      Im Hotel angekommen verschwinde ich im Badezimmer, um mir den Ring genauer anzusehen. Er ist aus Gold und wirkt ziemlich alt. Vielleicht ein Familienerbstück. Und wow, ist das ein Diamant? Ob er echt ist? Ziemlich cool, aber nicht unbedingt die Art von Schmuck, die ich trage. Ich halte ihn weiter in der Hand und drehe ihn im hellen Licht hin und her. In mir regt sich etwas. Ein Kribbeln breitet sich in meinem ganzen Körper aus. Ich lasse den Ring keine Sekunde aus den Augen.

      Eine plötzlich aufsteigende Traurigkeit drückt mir förmlich die Luft aus den Lungen. Sie sind fort. Alle. Dad, Aaron, mein Großvater. Nicht mal Erinnerungen sind mir geblieben. Nichts, wonach mein Herz greifen kann. Ich dachte immer, ich komme damit klar. Aber das stimmt nicht. Dieses Gefühl von Verlust, es hatte sich einfach nur sehr gut versteckt. Dieser Ring ist meine Verbindung in die Vergangenheit. Ein Erbstück, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Warum sonst hätte Evelyn ihn mir anvertrauen sollen?

      Trotzig recke ich mein Kinn nach vorn. Mir ist egal, was Mum sagt. Er gehört mir. Und ich werde ihn behalten. Mit wilder Entschlossenheit nehme ich den Ring, streife ihn über den Ringfinger meiner linken Hand und strecke den Arm nach vorn aus. Verwundert stelle ich fest, dass der Ring mir perfekt passt. Das kühle Gold schmiegt sich sanft um meinen Finger.

      „Au!“ Verdammt, was war das denn?

      Es fühlt

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