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kurzen Nacht? Ich fühlte mich, nachdem ich aufgewacht war, wie gerädert.

      Die Spätherbstsonne stand schon als glühender Feuerball hoch am Himmel. Nur durch die schattenspendenden Bäume, ein Gemisch aus Laub und Nadelbäumen, die man rund um den Parkplatz platziert hatte, konnte ich ein paar mickrige Stunden durchschlafen.

      Gott sei’s gelobt. Frank und Bernd hatten sich in Luft aufgelöst, aber das verhinderte weder die Anspannung, noch den angestauten Ärger, der sich in mir breit gemacht hatte. War meine Verstimmung berechtigt?

      Nach mir kroch Karla aus dem Bus. Sie schaute verlegen auf den von den Saarländern verlassenen Platz. Da war bei mir der Vorhang gefallen und mir wurde klar, dass das frühzeitige Verschwinden der Saarländer eine Absprache zwischen Karla und Frank gewesen sein muss.

      Karla sah nicht gut aus, denn sie hatte einen mordsmäßigen Kater. Zeugnis von diesem Zustand legte ihr blasses und zerknittertes Gesicht ab. An Bier und Wein in großen Mengen war sie nicht gewöhnt, obwohl wir keine Kostverächter waren. Mein Hang zum Trinken ist ja hinlänglich bekannt.

      Als sich unsere Blicke am Frühstückstisch trafen, vermieden wir aus Sturheit die notwendige Aussprache, obwohl in mir die Ungewissheit brodelte. Ich stocherte ohne dabei Lust zu empfinden im Früchte Müsli herum, und auch der Kaffee schmeckte fad, denn für mich war jegliche Form der Nichtbeachtung verheerend.

      Ich fühlte mich auf einem Pulverfass und wurde ungeduldig, sogar richtiggehend wütend, schließlich tobte mein Sturm der Entrüstung über Karla hinweg.

      „Zum Donnerwetter. Ich hasse deine Eskapaden, du Luder!“

      Weit über Zimmerlautstärke hatte ich geschrien: „Was soll ich von dir halten? Mach, dass du Land gewinnst. Meinst du, ich habe jetzt noch Bock auf dich? Aber wie ich dich kenne, trage ich an allem die Schuld.“ Und wie reagierte die zusammengestauchte Karla?

      Die antwortete nicht, ja, sie stierte mit ihren glasigen Augen durch mich hindurch, als sei ich eine Wand aus Glas.

      Mein Wanken äußerte sich in der Körperhaltung. Ich hatte die Füße zu mir auf den Stuhl geholt und spielte an meinen Socken herum, dabei zupfte ich Flusen ab, meine Beine scharf angewinkelt, aber ich zauderte.

      So mögen wenige Minuten vergangen sein, bis ich meinen Schweigevorsatz durchbrach und nach dem rettenden Strohhalm griff, und das war die leidige Verständnisschiene.

      Ich fragte erstaunlich aufgeräumt: „Woher soll ich wissen, was dir Frank bedeutet hat?“

      Da Karla schwieg, ergänzte ich: „Bitte schweige mich nicht tot. Nur durch eine Aussprache vergessen wir den abscheulichen Abend. Pech und Schwefel halten auch zusammen. Wenn du willst, dann bin ich das Pech. Frank existiert nicht. Hörst du? Das Thema ist erledigt. Lass uns nach Vlissingen radeln.“

      Karla hatte die Augenbrauen hochgezogen. Mit dieser Mimik schacherte sie: „Dann stell dein vorwurfsvolles Gesicht ab.“

      Und so passierte das, was ich mir ganz und gar nicht erhofft hatte, denn alles weitere verlief nach einem vorhersehbarem Muster ab. Karla bekam Oberwasser. Sie hatte den Machtkampf für sich entschieden, was leider für viele unerfreulichen Anlässe in der Vergangenheit galt.

      Trotz allem dachte ich mir im Stillen, der Klügere gibt nach und unterdrückte meinen verärgerten Unterton. So wurde ich mutig und forderte Karlas Zustimmung für den weiteren Verlauf des Abschiedstages.

      „Bitte gib dir einen Ruck und lass uns aufbrechen. Ist das okay? Wenigstens eine kleine Radtour muss noch möglich sein.“

      Mein Einlenken erzielte die gewünschte Wirkung, denn Karla versuchte nun ihrerseits die entstandenen Wirren des Gefühlsdschungels zu entflechten.

      „Du gute Güte“, sagte sie. „Was soll zwischen Frank und mir vorgefallen sein? Es lag am Bier, dass ich mich in deinen Augen daneben benommen hatte.“

      Konnte ihre Erklärung tatsächlich die Wahrheit sein? Und was konnte sie mit dem sich daneben benommen meinen?

      Die Begründung klang gestelzt, merkwürdig unterkühlt, eher unglaubwürdig, sogar ein bisschen verzweifelt. Aber warum, wenn angeblich nichts war? Und was konnte ich tun? Den Liebeskrempel hinschmeißen?

      Ob das richtig war, das wusste ich nicht, deshalb hatte ich nachgegeben. Nach Karlas Version war ihr Techtelmechtel harmlos gewesen. In meiner Verfassung war ich nur allzu gern bereit, Karla diese Beschreibung abzukaufen. Misstrauen ist ein schlechter Berater, hatte ich mir gedacht. Womöglich war meine Verdächtigungsstrategie sogar unangebracht?

      Unsere Liebe war den Versuch wert, den Albtraum zu vergessen. Aber würde mir das gelingen? Ich hegte berechtigte Zweifel mit dem unsichtbaren Splitter des Seitensprungs unter die Haut.

      Trotz längerem Zögern hatte mein nachgiebiger Charakter gewonnen, daher beendete ich meine Vorwürfe. Ich hatte mich Karla geöffnet und sie umschmeichelt: „Meine Gefühle für dich gleichen einem lodernden Flammenmeer. Bitte lass uns wieder zusammenrücken. Mit etwas Verständnis füreinander wird es eine wunderschöne Radtour.“

      Alsbald umgab uns ein laues Lüftchen, denn wir redeten wieder miteinander. Als sei nichts vorgefallen, warfen wir uns in die Radmontur und machten die Fahrräder flott, dann radelten wir nebeneinander durch die anheimelnde Dünenlandschaft. Meine Liebesschwüre und das anhaltende Traumwetter hatten uns aus der Erstarrung verholfen. So war der Start in den zweiten Tag zwar durchwachsen verlaufen, aber im Endeffekt erstaunlich gut gelungen.

      „Versetze deinen Bewegungsapparat in Trab“, trieb ich Karla an. „Du erlebst eine Sensation, denn die Radtour lohnt sich.“

      In Unserer Lage mussten positive Taten her. Der Frust gehörte raus aus den Knochen. Daher strampelten wir uns, gegen die sturmartigen Windböen von der Nordsee ankämpfend, in eine passable Grundstimmung. Und die führte in Vlissingen zu Karlas erster Berührung. Schwer atmend sank sie mir in die Arme.

      „Alle Achtung, Georg! Für einen Kranken warst du eine Klasse für sich“, tönte Karla mit dem Blick auf meinen Allgemeinzustand, und vor allem auf mein Bein gerichtet. Ihre Bemerkung strotzte vor Hochachtung, die sie durchaus ehrlich meinte, denn Fitnessbeweise standen bei ihr hoch im Kurs.

      „Du bist der blanke Wahnsinn“, lobte sie meine Ausdauer. „In dir schlummern die hervorragenden Voraussetzungen für einem Radrennfahrer.“

      Und das stimmte, denn was meine Ausdauerwerte betraf, da konnte mich niemand überbieten. Dermaßen gewappnet hielt ich bei Karla die wertvollsten Trümpfe in Händen.

      Der Ausflug endete mit einem Spaziergang durch die Stadt und mit einer geruhsamen Heimfahrt, dabei ging mir die nicht aufgearbeitete Komödie nicht aus dem Kopf. Ich hoffte inständig, dass unsere Liebe keinen Schaden genommen hatte. Aber wie konnte ich verhindern, dass sich derart niederschmetternde Vorkommnisse wiederholen?

      Darüber ausgiebig nachzudenken, damit hatte ich genug zu tun.

      Anscheinend war der Schaden gering, denn als wir in der Schlafkoje lagen, hörte ich Karlas Herz geheimnisvoll schlagen, und das schlug, wie sie mir tausendfach versicherte, nur für mich.

      Durch diese zufriedenstellende Aussage zweifelte ich nicht mehr an Karlas Aufrichtigkeit, trotz allem war diese Frau ein Wildpferd, das es zu zähmen galt.

      Unsere dreistündige Heimfahrt durch das Nachbarland Belgien behinderte kein Stau, doch bei der Ankunft in Aachen bedeckten Regenwolken den Himmel. „Es wird regnen“, sagte Karla und ich antwortete: „Dann beeilen wir uns eben.“

      Aus Angst vor dem sich andeutenden Platzregen und rechtzeitig vor dem zu Bett gehen der Kinder, holten wir die Katzen bei Andrea ab, dabei gebärdeten sich meine Kids wie kunterbunte Freudenbecher, die meine Frau mit überschäumender Ausgelassenheit abgefüllt hatte. Sie bestürmten mich orkanartig mit ihren Wochenenderlebnissen.

      Ich ging intensiv auf sie ein, so jagte eine spannende Erzählung die Nächste. Doch trotz der Genugtuung über die Kinder, verbarg sich hinter der Situation auch Bedrückung, denn Andreas neuer Freund beobachtete uns dabei.

      Okay,

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