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Human Agency and the fiţra in Ibn Taymiyya’s Thought, in: Birgit Krawietz and Georges Tamer (Hg.), Islamic Theology, Philosophy and Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013, S. 37-60.

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      Vernunft, Offenbarung und die Rekonstitution der Rationalität: Ibn Taymiyyas Darʾ ta ʿārudh

       3.1 Vorbemerkung

      Dieser Text ist eine referierende Zusammenfassung und Vorstellung des Buches Reason, Revelation & the Reconstitution of Rationality: Taqī al-Dīn Ibn Taymiyya's (d. 728/1328) Darʾ Taʿāruḍ al-ʿAql wa-l-Naql or ‚The Refutation of the Contradiction of Reason and Revelation‛, von Carl Sharif El-Tobgui.1 Der vollständige Titel lautet ins Deutsche übertragen:

      Vernunft, Offenbarung & die Rekonstitution der Rationalität: Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyyas (gest. 728/1328) Darʾ taʿarudh al-ʿaql wa an-naql oder »Die Widerlegung des Widerspruchs von Vernunft und Offenbarung«.

      Kürzlich ist die Dissertation als Buch veröffentlich worden unter dem Titel Ibn Taymiyya on Reason and Revelation. A Study of Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-l-naql (Ibn Taymiyya über Vernunft und Offenbarung. Eine Studie des Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-l-naql).2

       3.2 Einführung

      Mise en scène (Szenerie)

      Es ist das Jahr 1300. Syrien erzittert vor der mongolischen Invasion. Die meisten Einwohner sind bereits aus Damaskus geflohen. Währenddessen sitzt einer der berühmtesten Bürger dieser Stadt, Ibn Taymiyya, im Kerker der Zitadelle von Kairo und schreibt und schreibt, solange der Nachschub an Papier und Tinte anhält. Er war zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden wegen angeblich anthropomorpher Vorstellungen vom Wesen Gottes. Dies konnte einen so kraftvollen und mutigen Denker jedoch nicht abhalten, seinen geistigen Kampf mit spitzer Feder fortzuführen.

      Die Kampflinien waren schon lange zuvor gezogen worden. Nahezu sieben Jahrhunderte waren vergangen, seit der Prophet des Islam Gottes endgültige Botschaft der Menschheit überbracht hatte. Diese Offenbarung war das Wort Gottes. Ihre Botschaft war klar und ursprünglich. Gott war al-haqq, die wahre Wirklichkeit. Er war auch al-khāliq, der Schöpfer der Himmel und der Erde und allem, was darin ist.

      Gott hat auch den Menschen erschaffen und auf die Erde gesetzt, damit er seinem Herrn diene und gute Werke verrichte, bis er eines unvermeidlichen Tages den Tod kostet. Dann lässt Gott ihn, Körper und Geist, wiederauferstehen, um Rechenschaft über Glauben wie Taten abzulegen und gerichtet zu werden. Das war den Menschen offenbart worden, und daran glaubten sie mit Herz und Verstand.

      Doch das Wort Gottes wurde im Laufe der Jahrhunderte langsam, aber beständig von äußeren Einflüssen überdeckt, die manchen muslimischen Denker zu überwältigen drohten. Die Übersetzungen wissenschaftlicher und vor allem philosophischer Texte aus dem Griechischen ins Arabische seit dem frühen 3./9. Jahrhundert führten zu einem Zustrom allerlei neuer und eigentümlicher Ideen ins muslimische Denken. Die Werke von Aristoteles und verschiedenen neuplatonischen Denkern über Logik, Epistemologie und Metaphysik stießen auf Begeisterung und Ablehnung zugleich. Denn sie boten ein umfassendes und ausgearbeitetes Weltbild, das seine Überzeugungskraft nicht zuletzt aus dem Versprechen schöpfte, der Vernunft selbst zu entspringen.

      Aber warum sollte es überhaupt Grund zur Sorge geben? Ersucht der Koran selbst nicht die Muslime an vielen Stellen, nachzudenken, zu überlegen, ihren gottgegebenen Verstand zu gebrauchen, um das Geheimnis ihres Daseins zu ergründen? »Wollen sie denn nicht ihren Verstand gebrauchen?« (Koran 36: 68); »Wollen sie denn nicht verstehen?« (Koran 4: 82); »… auf dass sie nachdenken mögen.« (Koran 7: 176).

      Doch was tun, wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die vernunftgegründeten Lehren der Philosophen über Mensch, Welt und Gott dem, was Gott selbst, der Schöpfer von Mensch, Himmel und Erde offenbart hat, nicht entsprechen oder gar widersprechen? Die Vernunft, so lehrt Aristoteles, erkennt, dass Gott ein vollkommenes Wesen ist. Nun, dem mögen alle zustimmen. Aber die Vernunft, so Aristoteles weiter, urteilt zudem, dass ein vollkommenes Wesen auch vollkommen einfach, unteilbar und nicht-zusammengesetzt sein muss. Während also die Offenbarung Gott mancherlei Eigenschaften, Qualitäten oder Attribute zuschreiben mag – wie etwa hayy (lebendig), dschabbār (mächtig), wadūd (liebend), ʿalīm (wissend), basīr (sehend), samīʿ (hörend) -, erklärt die Vernunft, dass Gott in Wirklichkeit solche Attribute nicht besitzen kann, da Er sonst nicht mehr vollkommen einfach wäre, was die Vernunft doch von Ihm verlangt, sondern zusammengesetzt, nämlich zusammengesetzt aus Seinem einzigartigen unteilbaren Wesen und Seinen vermeintlichen Attributen oder Qualitäten.

      Desgleichen fordert die Vernunft, so heißt es der philosophischen Tradition zufolge weiter, dass Gott nicht das Wissen von irgendeinem besonderen, individuellen, gewordenen Ding zugeschrieben werden kann, da solche Dinge vergänglich sind, in der Zeit entstehen und vergehen und ein Wissen solcher Flüchtigkeiten eine Veränderung in Seinem Wissen bedingen würde. Aber Gott Selbst sagt doch in der Offenbarung: »Kein Blatt fällt herab, ohne dass Er es weiß« (Koran 6: 59).

      So sind die Kampflinien gezogen. Und die Fehde wird ausgetragen.

       3.2.1 Überblick

      In diesem Text wird Ibn Taymiyyas Versuch, den vermeintlichen Konflikt zwischen Vernunft und Offenbarung im islamischen Denken seiner Zeit aufzulösen, in groben Umrissen dargestellt. Dieses Ziel verfolgte Ibn Taymiyya vor allem in seinem großen Werk Darʾ taʿārudh al-ʿaql wa an-naql (Die Widerlegung des Widerspruchs von Vernunft und Offenbarung), das in zehn Bänden 4046 Seiten umfasst.3

      Ibn Taymiyya verfolgt darin das Anliegen, den Gegensatz von Vernunft und Offenbarung zu überwinden, indem die Voraussetzungen und Kategorien, die der Debatte über den Begriff der Vernunft und ihr Verhältnis zur Offenbarung zugrunde liegen, untersucht, kritisiert und neu gefasst werden. Ibn Taymiyya vertritt dabei die Auffassung, dass die klare und reine Vernunft (ʿaql sarīh) und die recht verstandene Offenbarung (naql sahīh) gar nicht in Widerspruch zueinander geraten können. Jeder vermeintliche Gegensatz zwischen ihnen entspringt entweder einem Missverstehen der Offenbarung oder einem verfehlten Verständnis und Gebrauch der Vernunft. Je spekulativer und deshalb zweifelhafter die rationalen Prämissen und vorgängigen Festlegungen sind, desto ausgefallener muss die Offenbarung interpretiert oder nach Ibn Taymiyya »verdreht« werden, um sie in Gleichschritt mit solcher »Vernunft« zu zwingen.

      Carl Sharif El-Tobgui veranschaulicht diese Auffassung in folgender Abbildung mit einer »taymiyyanischen Pyramide«, an deren Spitze gesunde, unverfälschte Vernunft und authentische Offenbarung zusammenstimmen:

      Schaubild 2: Taymiyyanische Pyramide

      Wahrheit ist der Punkt der Einigkeit, Klarheit und Gewissheit (yaqīn), an dem das Zeugnis der gesunden Vernunft und der authentischen Offenbarung völlig übereinstimmen. Am Gegenpol liegen Sophisterei (safsata) im Vernunftgebrauch und Allegorisierung (qarmata; abgeleitet von qarāmita, einer ismaʿlitischen Gruppe, die für ihre äußerst esoterische Interpretation des Koran bekannt war) der Offenbarung. Je weiter die Entfernung vom Einklang zwischen Vernunft und Offenbarung desto größer wird die Uneinigkeit (ikhtilāf) und Zweifelhaftigkeit, selbst in grundlegenden Fragen, in absteigender Reihenfolge ausgehend von den Aschʿariten über die Muʿtaziliten bis hin zu den falāsifa (Philosophen).

      Die Debatte um das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung drehte sich weitgehend um die Frage der Attribute Gottes. Die Offenbarung beruht nicht nur darauf, dass Gott überhaupt existiert, sondern auch als besonderes Wesen mit bestimmten intrinsischen und irreduziblen Eigenschaften. Doch manche dieser Eigenschaften wurden von verschiedenen Gruppen wie den falāsifa, Muʿtaziliten und Aschʿariten als rational unhaltbar erachtet, da sie zu einer unzulässigen Angleichung Gottes an erschaffene Dinge (taschbīh) führen müssten oder im Widerspruch zu den rationalen

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