ТОП просматриваемых книг сайта:
Über Vernunft und Offenbarung in Ibn Taymiyyas Denken. Yusuf Kuhn
Читать онлайн.Название Über Vernunft und Offenbarung in Ibn Taymiyyas Denken
Год выпуска 0
isbn 9783748292555
Автор произведения Yusuf Kuhn
Жанр Религия: прочее
Серия Studien zur Kritik der Philosophie im islamischen Denken
Издательство Readbox publishing GmbH
Worüber argumentieren die Muʿtaziliten, Aschʿariten und Schiʿiten? Nicht über fiqh (Recht/Moral), ihr fiqh stimmt zu 99% überein. Das Trennende ist die ʿaqīda, die Theologie.
In unserer Gegenwart hat sich dieses Verhältnis, das vordem im Großteil der umma (muslimische Gemeinschaft) als fragloses Paradigma galt, umgekehrt. Theologie ist in den Hintergrund gerückt. Wir interessieren uns im Großen und Ganzen nicht so sehr dafür. Themen wie Imamat, Attribute Allahs, qadr (Bestimmung) gelten als Kontroversen der Vergangenheit.
Was sind die heißen Themen unserer Zeit? Sexualität, Rolle der Frau, fiqh-Fragen, Freiheit, Demokratie, Regierungsformen usw.
1.4 Beschluss: Über Vernunft und Offenbarung
Ibn Taymiyyas Konzepte mögen überholt sein, aber seine Argumente sind immer noch gültig. Jeder, der Veränderungen im islamischen Denken herbeiführen möchte, muss die Anziehungskraft von Denkern wie Ibn Taymiyya verstehen. Warum war er so populär?
Ibn Taymiyya hat den ʿaql bewahrt und zugleich den Vorrang des naql gewahrt. Er hat den ʿaql gepriesen, nicht verworfen, und zugleich gesagt: ʿaql gebietet uns, naql zu folgen.
Und in dem Prozess, in dem er beiden ihre gebührende Achtung und Wertschätzung erhielt, sagte er im Kern: So wie der Mensch seinen Höhepunkt erreicht, wenn er sich Allah unterwirft, so erreicht der ʿaql seinen Höhepunkt, wenn er seine Grenzen erkennt und sich dem Wort Allahs unterwirft.
Jeder, der eine radikale Veränderung in den nusūs (offenbarte Schriften, Texte) herbeiführen will, muss verstehen, dass er dem von Ibn Taymiyya kritisierten Weg folgt und letztlich die nusūs und die Offenbarung überflüssig macht.
Als aktuelles Beispiel dafür kann die Debatte um die HomoEhe gelten. Der Koran ist sehr klar. Aber es gibt viele Gruppen, die für eine koranische Akzeptanz argumentieren. Da wirft sich die Frage auf: Wenn euch das problematisch erscheint, werden dann nicht Leute andere Interpretationen von anderen nusūs problematisch finden?
Der einfache Muslim kann den Gott der Philosophen nicht akzeptieren – diesen Gott, der wechselweise als erster Beweger, unbewegter Beweger, aktiver Intellekt usw. beschrieben wird.
Ibn Taymiyya sagt zu ihnen, auch zu den Anhängern des Gottes der Philosophen, die er als Muslime anerkennt:
O ihr Muslime, seht ihr nicht, dass ihr etwas ganz Ähnliches tut in euren eigenen intellektuellen Spielen?
Unsere Religion ist ewig und unter allen Umständen gültig, aber wir müssen uns dieser harten Kritik von Ibn Taymiyya bewusst sein, wenn wir unseren Weg zu bahnen versuchen. Ja, wir müssen den Islam mit Zeit und Ort in Einklang bringen, aber meines Erachtens brauchen wir keine Überholung.
Ich glaube nicht, dass wir den Motor auswechseln müssen, dass wir Koran und Sunna noch einmal machen müssen. Eine vollständige Überholung zu fordern, würde Koran und Sunna überflüssig machen. Es wäre nicht nötig gewesen, dass Allah ein Buch oder einen Propheten sendet. Aber Allah hat ein Buch und einen Propheten gesandt, um die höchste und letztgültige Rechtleitung zu bieten. Und er hat dem Intellekt (oder der Vernunft) seinen Bereich zugewiesen. Wenn wir uns daran halten, so Ibn Taymiyya, dann ist das perfekt. Wenn der Intellekt (oder die Vernunft) aber seine Grenzen überschreitet und in Konflikt mit Koran und Sunna tritt, werden wir sowohl den Intellekt (oder die Vernunft) wie auch Koran und Sunna letztlich verlieren.
Und Allah weiß es am besten!
18 Website des IIIT: https://iiit.org
19 Siehe seine Dissertation: Yasir Qadhi, Reconciling Reason and Revelation in the Writings of Ibn Taymiyya (d. 728/1328). An Analytical Study of Ibn Taymiyya's Darʾ al-taʾāruḍ, Yale University: unveröffentlichte Dissertation, 2013 (eingereicht unter dem Namen Yasir Kazi); zum Herunterladen verfügbar unter: https://archive.org/details/YasirQadhiDissertation.
20 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=46EF-mpC25E
21 Ibn Taymiyya, Darʾ ta‘āruḍ al-‘aql wa-l-naql, Hg. Muhammad Rashād Sālim, Riyāḍ: Dschāmiʿat al-Imām Muḥammad Ibn Saʿūd al-Islāmīyya, 1979–1981.
2
Die koranische rationale Theologie von Ibn Taymiyya und seine Kritik der Mutakallimun
2.1 Vorbemerkung
Dieser Text ist eine referierende Zusammenfassung des Artikels The Quranic Rational Theology of Ibn Taymiyya and his Criticism of the Mutakallimun von M. Sait Özervarli.1 Der vollständige Titel lautet ins Deutsche übertragen: Die koranische rationale Theologie von Ibn Taymiyya und seine Kritik der Mutakallimun. Dieser Artikel ist in dem Ibn Taymiyya gewidmeten Sammelband Ibn Taymiyya and His Times (Ibn Taymiyya und seine Zeit) mit weiteren interessanten Beiträgen erschienen.2
2.2 Einführung: Vernunft und Offenbarung
M. Sait Özervarli stellt seiner Untersuchung der »koranischen rationalen Theologie von Ibn Taymiyya« als Motto voran:
Vernunft mit Glauben und dem
Koran ist wie Augen mit Licht und der Sonne.3
Darin kommt schon deutlich das Anliegen von Ibn Taymiyya (1263-1328) zum Ausdruck, nämlich Vernunft und Offenbarung in ihrem Einklang aufzuzeigen. Dieser koranische Rationalismus sollte zugleich eine Alternative zum Kalam (kalām; oftmals etwas unzutreffend mit »islamische Theologie« übersetzt4) bieten, der sich allzu einseitig auf eine noch dazu falsch verstandene Vernunft stützt. Denn Ibn Taymiyya erkannte eine Verbindung zwischen der geistigen Krise seiner Zeit und dem Denken, das im Kalam Gestalt annahm.
Die Wurzeln dieser Krise verortete er nicht so sehr auf der rechtlichen Oberfläche des fiqh (Recht/Moral), als vielmehr in den philosophischen Tiefen des islamischen Denkens. Die Ursachen für die Schwäche und Zerrüttung der islamischen Gemeinschaft (umma) glaubte er daher in einer kritischen Untersuchung der Entwicklung des islamischen Denkens aufsuchen zu müssen. Durch die Kritik der vorherrschenden Denkschulen und die Überwindung ihrer Unzulänglichkeiten wollte er das islamische Denken beleben und zur Einigung der Umma beitragen.
Dafür war eine Doppelbewegung erforderlich: eine Besinnung auf die Grundlagen des Islam, auf Koran und Sunna, in Verbindung mit einer Anknüpfung an den aktuellen Stand des islamischen Denkens, an das es kritisch anzuschließen galt, ohne der Illusion zu verfallen, die geschehene Entwicklung einfach rückgängig machen zu können. Sollte die islamische Tradition wiederbelebt werden, so nicht in abstrakter, rückwärtsgewandter Gestalt, sondern konkret vermittelt mit dem zeitgenössischen Denken.
Dieses Denken war zutiefst geprägt nicht nur vom Kalam, sondern allgemeiner von allerlei philosophischen Einflüssen. Diese Einflüsse waren so stark, dass es sich als unvermeidlich erwies, eine wiederum philosophische Interpretation und Verteidigung der islamischen Tradition selbst vorzunehmen. Dies tat Ibn Taymiyya auf bislang nicht dagewesene Weise. Er konnte dabei auf keinesfalls oberflächliche, sondern erstaunlich breite und tiefe Kenntnisse der Philosophie zurückgreifen. Aus diesem Spannungsfeld heraus entwickelte er ein Denken, das durch eine Kritik der Philosophie vermittelt das islamische Denken wahrhaft erneuerte. Dieses Denken ist bis heute nicht wirklich verstanden worden, obgleich es mit seiner Verbindung von Vernunft und Offenbarung auch für unsere Gegenwart Maßstäbe setzen könnte und mithin äußerst lehrreich zu sein verspricht.
Statt den eigentlichen Gehalt von Ibn Taymiyyas Denken in seinem Verständnis einer für die Offenbarung geöffneten Rationalität zu suchen, werden in der heutigen Öffentlichkeit die kritischen und rationalen Aspekte nahezu vollständig ausgeblendet und ganz andere in den Vordergrund gerückt, wenn nicht hinzugedichtet. In endlosen Schleifen wird Ibn Taymiyya als Verfechter eines blinden Traditionalismus präsentiert, der durch seinen Einfluss auf den zeitgenössischen »Salafismus«